Udo Lindenberg ist fast 66, Udo Jürgens wurde am Freitag 77 Jahre alt. So unterschiedlich und doch beide wieder ganz oben
Auf einer Gartenparty vor zwei Wochen baute sich plötzlich ein dreijähriger Knirps vor uns auf, stemmte die Fäuste in die Hüften und krähte: "Hallo, ich heiße Hugo. Und das ist ein lieber Name." Dann zog er stolz weiter zur Hüpfburg, und wir wussten: Klassische Namen sind nicht mehr altmodisch. Paul, Karlotta, Emma kommen alle wieder. Es fehlt nur noch Udo.
Viele werden jetzt panisch denken: Warum Udo? Das klingt doch nach hängender Unterlippe, die aussieht wie ein leeres Schlauchboot, das seit Monaten im Atlantik dümpelt. Nach Eierlikör, Blue Curaçao und Escorial Grün - und das noch gemischt. Nach altem Mann mit Hut. Schon recht, in Udo steckt durchaus viel Lindenberg.
Udo kommt aus dem Friesischen und bedeutet (als Kurzform von Ulrich) Heimat und reich. Lindenberg, 65, lebt in der Heimat der Reichen im Hotel Atlantic, malt in seinem Atelier seine Likörelle und vermacht dem heimatlichen Pop einen Schatz unsterblicher Melodien. Zwei Songs über die "Reeperbahn", "Alles klar auf der Andrea Doria", "Sonderzug nach Pankow" und ungezählte weitere bilden einen Kanon des schwankenden, aber stets aufrechten Rockers, der deutschsprachigen Pop in den 70ern "cool" machte. Oder genauer: "Nöoa cool, ey, easy, nöoa."
Und im Gegensatz zu Eierlikör wird Udo Lindenberg mit den Jahren immer besser. Erfolgreicher. Sein letztes Studioalbum "Stark wie zwei" war 2008 gut 37 Jahre nach dem Erstling "Lindenberg" sein erstes Werk, das es an die Spitze der deutschen Charts schaffte. Und jüngst hat er sich mit "MTV Unplugged - Live aus dem Hotel Atlantic" (aufgenommen auf Kampnagel) erneut auf Platz eins hingelümmelt. Udo im Fernsehen, Udo als Musical in der Stadt mit dem großen Lockefinger (Berlin), Udo überall. Der Astronaut ist oben.
Im Jahr 1934, zwölf Jahre bevor Udo Lindenberg die Welt erblickt, wird Udo Jürgen Bockelmann alias Udo Jürgens im österreichischen Klagenfurt geboren. Zwischendurch wollen viele Österreicher lieber heim ins Reich als reich ins Heim, aber als diese Wirren überstanden sind, kann Udo Jürgens 1950 endlich loslegen und dominiert als jüngster Teilnehmer mit "Je t'aime" den Komponisten-Wettbewerb des Österreichischen Rundfunks. Nach ersten Erfolgen als Sänger und Songschreiber ist es ein weiteres frankophiles Lied, "Merci Chérie", das ihm 1966 den Durchbruch beschert. Sieg beim Eurovision Song Contest. Weltkarriere. Hits, Hits, Hits. 100 Millionen abgesetzte Tonträger.
Auf dem ersten Blick könnte das Udo-Duo unterschiedlicher kaum sein. Lindenberg, der immer etwas derangiert wirkende, stets schutzbebrillt die Sonne morgens um 18 Uhr begrüßende Nuschelnöler. Jürgens, der Mann, der nie auf Hawaii oder in New York (schon gar nicht auf der "Andrea Doria", die ist 1956 untergegangen) ankommende Reisende. Immer sieht er aus wie aus dem Ei gepellt, und selbst unter seinem Bademantel trägt er noch Anzug. Seine Stimme ist mit 77 Jahren (am Freitag feierte er Geburtstag) immer noch so klar und weittragend, dass der Sohn Klagenfurts von überall nach Hause telefonieren könnte. Ohne Telefon.
Zwei Männer, die im Fernsehen sind. Lindenberg mit der "MTV Unplugged"-Aufzeichnung und Jürgens mit dem Spielfilm-Zweiteiler "Der Mann mit dem Fagott". Männer, die Pate für Musicals stehen, die immer noch Berge von Platten verkaufen - Jürgens eroberte im März mit "Der ganz normale Wahnsinn" Platz drei - und die immer noch Tausende in die Konzerte locken. Jürgens kommt im Februar und Lindenberg im März 2012 in die Hamburger Großarena.
Und sie haben es krachen lassen. Weine, selten aus Griechenland, Mädchen, von überall her, sogar aus Ost-Berlin. Nicht immer konnten die Udos an sich halten, aber sie haben dabei sogar im Liegen immer Haltung bewahrt. Es könnte demnach keinen unspießigeren Namen für den Nachwuchs geben als Udo. Schließlich haben Lindenberg und Jürgens sogar aus den zwei wichtigsten Nebenzutaten eines biederen Blechkuchen-Kaffeekränzchens große Kunst und Lieder für die Ewigkeit gemacht: Eierlikör. Und Sahne.