Der forensische Psychiater Friedrich Schwerdtfeger, Chefarzt am Klinikum Bremen-Ost, erklärt, warum Menschen wie Martin N. zu Kindermördern werden.
Hamburg. Vergewaltiger, Mörder, Psychopathen - mit den besonders schweren Fällen ist er tagtäglich befasst: Friedrich Schwerdtfeger, Chefarzt der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Bremen-Ost. Im Gespräch mit dem Abendblatt spricht er über die Biografien und die Motive von Sexualstraftätern, die häufig über eine hohe Intelligenz und Sensibilität verfügen.
Hamburger Abendblatt: Was treibt Sexualtäter wie Martin N. an?
Friedrich Schwerdtfeger: Das ist schwer zu sagen, da diese Tätergruppe sehr uneinheitlich ist. Zum einen haben wir Täter, die töten, um eine Straftat zu verdecken. Die zweite Tätergruppe sucht Opfer, die - wie Kinder - leicht verfügbar und kontrollierbar sind, um dann ihre aggressiven Sexualfantasien auszuleben. Hierzu gehören auch Täter aus dem pädo-sadistischen Spektrum.
Was kennzeichnet diese Sadisten?
Schwerdtfeger: Häufig handelt es sich um Menschen, die im Kindesalter durch sadistische Handlungen, etwa Tierquälereien, aufgefallen sind, dann immer weitreichendere Fantasien entwickelten. Diese Fantasien können in konfliktträchtigen Situation immer intensiver werden. Je angespannter die Situation, etwa in der Beziehung oder am Arbeitsplatz, desto drängender werden die sexuellen Impulse. Nicht selten stammen die Täter aus zerrütteten Elternhäusern, wachsen bei einer alleinerziehenden Mutter auf und/oder haben selbst schwere Gewalterfahrungen gemacht. Charakterisiert durch ein eher geringes Selbstwertgefühl, morden sie, um schrankenlose Macht zu erleben - die Macht, Herr über Leben und Tod zu sein. Die Jagd nach dem begehrten Objekt und die Kontrolle sind für ihn das wirklich Erregende.
Martin N. hat sich beruflich als Sozialpädagoge in Menschen hineinversetzen müssen. Wie sind vor diesem Hintergrund die kaltblütigen Taten zu werten?
Schwerdtfeger: Menschen mit pädo-sexueller Orientierung gehen häufig in Berufe mit leichtem Zugang zu ihren Opfern, eben auch in die Jugendbetreuung. Sie interagieren da völlig unauffällig mit Kindern, sie sind intelligent, sensibel. Gerade diese Fähigkeit versetzt sie in die Lage, sich der Kinder zu bemächtigen. Solchen Menschen kann es auch gelingen, die Tat komplett in den Hintergrund zu drängen, ein scheinbar angepasstes, bürgerliches Leben zu führen.
Halten Sie es für möglich, dass Martin N. seine Taten bereut?
Schwerdtfeger: Das ist nicht auszuschließen. So wie es den psychopathischen Typus gibt, der keinerlei Mitgefühl mit seinen Opfern empfindet, gibt es auch den zur Empathie fähigen. Täter, die unter dem leiden, was sie getan haben. Das führt bei einigen bis zu Selbstbestrafungstendenzen oder dazu, dass sie unbewusst verdächtige Spuren hinterlassen.
Was bringt eine Kastration von Sexualtätern, die ja auch unter Juristen sehr umstritten ist?
Schwerdtfeger: Es senkt den Testosteron-Spiegel und mindert die Aggressivität. Allerdings: pädo-sadistische Täter töten unter Umständen auch ohne ihre Hoden. Es sind die Fantasien, die sie antreiben - das Kino läuft im Kopf.