Hamburg fragt immer nur, was sie kostet. Dabei ist sie unser Überlebenskapital.
Mit rund 25 Milliarden Euro ist Hamburg verschuldet. Ganz klar, dass endlich gespart werden muss. Und doch erscheint es merkwürdig unüberlegt, wenn bei einer Umfrage 29 Prozent der befragten Hamburger erklären, es solle nun an der Kultur gespart werden. Denn das würde zur Rettung der Stadt vor dem Bankrott so gut wie gar nichts beitragen.
Es wäre ungefähr so, als wollte sich eine Familie vor dem Verhungern retten, indem sie den monatlichen Lottoschein nicht mehr abgibt, stattdessen aber den Sportwagen behält. Das Kürzen am Kulturetat ist also bestenfalls ein symbolischer Akt. Noch dazu ein finanziell schädlicher, denn es gilt als gesichert, dass jede Million, die für Kultureinrichtungen zur Verfügung gestellt wird, bis zu 1,4 Millionen an Einkommen in der Gesamtwirtschaft schafft. Und dass 100 geförderte Arbeitsplätze im Kulturbereich bis zu 150 Arbeitsplätze in der Wirtschaft nach sich ziehen. Mit anderen Worten: Wenn eine Stadt noch kein Theater hat, sollte sie sich eins bauen. Aber Kultur, einer der größten Wirtschaftsfaktoren des Landes, sollte sich eben nicht nur wirtschaftlich begründen. Sie dient uns - dem Volk der Dichter und Denker - zur individuellen Gestaltung und Interpretation der Welt. Nur so können wir friedlich zusammenleben und Neues schaffen.
Der Kulturhaushalt beträgt gut zwei Prozent am Hamburger Gesamtetat, rund 284 Millionen Euro, eine Summe, die nicht etwa einem Akt des guten Willens zuzurechnen ist, sondern die sich zu weiten Teilen aus tarifgebundenen Gehältern, Sozialleistungen, Mieten und Bauinvestitionen zusammensetzt. Selbst wenn man hier den totalen Kahlschlag betriebe und den gesamten Etat wegsparen würde, könnte das allenfalls dazu dienen, rund 100 Tage lang die Zinsen der Stadt zu sparen, die gut eine Milliarde betragen, ein Zehntel des Elf-Milliarden-Haushalts. Danach wäre kulturell hier alles tot. Kein Theater, keine Musik, keine Bilder - kann man sich ein trostloseres Leben vorstellen? Und warum schreit eigentlich niemand auf, wenn der Umzug der Stadtentwicklungsbehörde 192 Millionen Euro kostet? Was sind dagegen beispielsweise die 138 000 Euro Zuschuss ans Literaturhaus für Programmarbeit und Bauunterhaltung? Ist eigentlich bekannt, dass mehr Menschen in Hamburg ins Theater gehen als auf den Fußballplatz?
Sparen an der Kultur ist kein Zeichen von Armut, sondern ein geistiges Armutszeugnis. Über Musik, Malerei, Theater und Tanz definiert sich die Menschheit seit Tausenden von Jahren. In einer Zeit, in der Angestellte der HSH Nordbank nur mit Bonuszahlungen zum Arbeiten angetrieben werden können, in der Kirche, Staat und Familie zunehmend an moralischer Legitimation und glaubhafter Wertevermittlung eingebüßt haben und das Fernsehen mehr Verblödendes als Anregendes sendet, müssen Kunst und Kultur für alles aufkommen, was moralische Orientierung verspricht. Kultur ist unser Überlebenskapital, keine hübsche Dekoration. Alle Kinder und Jugendlichen und sehr viel mehr Erwachsene sollten an der Kultur partizipieren. Aber wahrscheinlich bleibt das ein genauso frommer Wunsch wie die Aufforderung, man sollte sich gesünder ernähren und mehr Sport treiben.
Hamburg ist nicht stolz auf seine Kultur. Hamburg fragt immer nur, was es kostet. Das mindert nicht nur das Image der Stadt, sondern auch die Lebensqualität und die Zukunftsaussichten. Können wir uns vorstellen, dass Menschen, die im Konzert sitzen, einer Lesung zuhören, die Tanz und Theater zusehen, in der U-Bahn Menschen zusammentreten, ihre Kinder verhungern lassen oder Autos anzünden? Eher nicht. Gewiss, Kultur bietet nicht die Rettung der Welt, aber sie bietet Träume, Spaß, Anregung und das Gefühl, dazuzugehören. Und wer bitte schön, möchte das einsparen?