Die Aufstände in Arabien haben die Sicherheitslage des jüdischen Staates verschlechtert
Könnten Sie sich vorstellen, in einer Stadt zu leben, in der fast jeden Tag irgendwo ein tödlicher Hagel aus Raketen niedergeht? In der jede Bushaltestelle zum Bunker ausgebaut ist, da die Vorwarnzeit bis zum Einschlag oft nur 15 Sekunden beträgt? In der Schulen bevorzugte Raketenziele darstellen und Sie nie wissen, ob Sie ihr Kind am Nachmittag wiedersehen? Nun, Zehntausende Israelis leben in solchen Städten. Unter Verdrängung einer lähmenden Todesangst, die unterschwellig die Seele auffrisst.
Rund 400 Raketenangriffe hat Israels Süden allein seit Jahresbeginn ertragen müssen. Die jüngste Serie stellt zusammen mit den vier Terroranschlägen am Donnerstag, denen acht Israelis, darunter Kinder, zum Opfer fielen, eine neue Eskalationsstufe im nahöstlichen Dauerdrama dar. Es ist kein Zufall, dass diese Verschärfung der Lage zeitlich mit der vor sich hin schwelenden Revolution in Ägypten korreliert.
Der gestürzte Pharao Mubarak war fraglos ein Despot, zugleich aber ein verlässlicher Friedenspartner Israels. Seine Nachfolger sind es nicht. Der "Kairoer Frühling" mit neuen, noch israelfeindlicheren Akteuren stellt die ganze Sicherheitsarchitektur der Region infrage. Der jüdische Staat steht vor der Herausforderung, ein völlig neues strategisches Konzept erarbeiten zu müssen. Und dies wird ausgerechnet in einer Zeit notwendig, in der die Solidarität der Israelis mit ihrer Führung erstmals einer starken Belastung ausgesetzt ist.
Die Grenzkontrollen der Ägypter zum Gazastreifen, wo die radikalislamische Hamas herrscht, sind mittlerweile derart nachlässig, dass Terroristen dort nun nicht mehr nur selbst gebasteltes Schießzeug wie die berüchtigte "Kassam"-Rakete einsetzen, sondern problemlos sogar veritable Kurzstreckenraketen vom russischen Typ "Grad" einschmuggeln können. Damit geraten weitere 120 000 israelische Bürger in die Reichweite ihrer erbittertsten Feinde. Das kleine Land, das von einem Jet in wenigen Minuten überflogen werden kann, muss sich gegen diese neue Bedrohung zur Wehr setzen. Doch Israel, das sich schon hinter Schutzmauern und den Raketenabwehrschirm "Eiserne Kuppel" ducken muss, erlebt zähneknirschend, dass sich die Welt stets nur dann empört, wenn es zurückschlägt.
Von der Eskalation profitieren die Hardliner beider Seiten. Israels Premier Benjamin Netanjahu zum Beispiel, der nicht im Verdacht steht, allzu bereitwillig mit den Palästinensern Frieden schließen zu wollen. Die Terrorwelle schweißt sein entsetztes Volk zusammen und nimmt kurzfristig den größten sozialpolitischen Druck von seiner Regierung. Dass israelische Spezialeinheiten die Mörder liquidieren, ist nachvollziehbar. Doch der alte Reflex, danach noch Luftangriffe im Gazastreifen fliegen zu lassen, wobei immer wieder auch palästinensische Zivilisten ums Leben kommen, ist ebenso töricht wie sinnlos, weil er nur noch mehr Hass sät, aber die Terroristen keineswegs beeindruckt.
Dann die Hamas, die nie von ihrem erklärten Ziel abgewichen ist, den Staat Israel zu vernichten, und die den vergleichsweise liberalen Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas entmachten will. Und andere, womöglich noch radikalere Terrorgruppen, die sich nun in Ägypten, der Heimat der Muslimbruderschaft, ungehindert formieren können. Schließlich die Gegner Israels in der neuen Kairoer Führungsebene. Ägypten gerät allmählich in den Verdacht, Israels Todfeinden zumindest passive Unterstützung zu gewähren.
Die arabische Revolution von Tunesien bis Bahrain hatte viele Hoffnungen geweckt, dass sie, ähnlich wie die Tyrannendämmerung in Europa um 1990, zu Frieden und mehr Demokratie führen würde. Stattdessen wird sie zunehmend zu einer Bedrohung für die einzige echte Demokratie der ganzen Region: Israel.