Die 35-jährige Juliane St. ist angeklagt, weil sie ihre Fürsorge-und Erziehungspflicht gegenüber ihren Kindern vernachlässight haben soll.
Hamburg. Sie wirkt über alle Maßen empört und fällt der zunehmend genervten Richterin ein ums andere Mal ins Wort. Als die Staatsanwältin die Anklage verlesen hat, überschlägt sich die knarzige Stimme der kräftigen Frau. An den Füßen trägt sie beige Wasserschuhe. Sie kann nicht fassen, was sie da gerade zu hören bekommen hat. „Wie bitte“, tönt sie vor der Amtsrichterin, „das grenzt ja an Rufmord.“
In der Tat, die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer, und sollten sie sich bewahrheiten, welch ein Abgrund täte sich auf. Angeklagt ist Juliane St., 35, weil sie ihre Fürsorge- und Erziehungspflicht gegenüber ihren Kindern Rafael, 5, Alina, 7, Jolina, 9, Peter, 11 und Georgia, 13, massiv vernachlässigt haben soll. Der Prozess vor dem Amtsgericht sollte vor zwei Monaten schon einmal beginnen, doch weil Juliane St. damals unentschuldigt nicht erschien, lässt die Richterin sie von einem Polizisten vorführen. Auf rechtlichen Beistand hat sie verzichtet.
Alle Kinder fehlten laut Staatsanwaltschaft etliche Male unentschuldigt in der Schule, ohne, dass die Mutter einschritt. Jolina blieb dem Unterricht an 28 Tagen fern, lief ungewaschen und in verdreckter Kleidung herum. Der elf Jahre alte Peter fehlte gar derart häufig, dass er inzwischen eine Schule für Kinder mit geistigen Behinderungen besuchen muss. Juliane St. duldete es auch, so die Anklage, dass die 13-jährige Georgia sich tagelang nicht zuhause blicken ließ.
Auch die kleineren Kinder der 35-Jährigen zeigten deutliche Anzeichen von Verwahrlosung. Obgleich ihr Sohn Rafael, 5, regelmäßig unter Kopflausbefall litt, soll die Mutter keinen Finger gerührt haben. Und Alina, 7, brachte sie einmal im Schlafanzug, ohne Schuhe, mit blutig-eitrigem Herpes am Auge in den Kindergarten. „Alle Kinder“, so die Staatsanwältin, „leiden unter deutlichen Entwicklungsstörungen und zeigen bereits Defizite in sozialer Kompetenz.“ Sämtliche Hilfsangebote des Jugendamtes habe die Mutter aber bisher ausgeschlagen.
Die 35-Jährige indes fühlt sich zu Unrecht beschuldigt, „Dass sie öfter in der Schule gefehlt haben stimmt. Ansonsten sind das alles Unterstellungen“, sagt Juliane St und setzt um Verständnis werbend nach: „Als Mutter hat man nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte.“
Die haben Kinder allerdings auch. Bis zu drei Jahre Haft drohen der 35-Jährigen im Falle einer Verurteilung. Weil Juliane St. die Vorwürfe energisch bestreitet und nun doch nach einem Verteidiger verlangt, vertagt sich das Gericht, um dann am 26. August voll in die Beweisaufnahme einzusteigen. Als Zeugen sollen unter anderem Lehrer, Erzieher und Mitarbeiter des Jugendamtes Rahlstedt gehört werden. Was den nächsten Verhandlungstermin angeht, da habe sie noch eine Bitte, sagt Juliane St. „Bitte nicht ganz so früh.“