Der TV-Journalist und Buchautor Ulrich Wickert, 68, war Moderator der Tagesthemen und ist Frankreich-Kenner

Hamburger Abendblatt: 1. Kann man einen Mann zum Staatspräsidenten wählen, der als notorischer Frauenheld gilt?

Ulrich Wickert: Das mit dem Frauenheld ist kein Problem in Frankreich. Das kommt beim Wähler nicht negativ an. Schauen Sie sich doch mal die Geschichte der französischen Präsidenten an. Einer ist mal während eines Schäferstündchens mit der Frau des Hofmalers tot umgefallen. Oder nehmen Sie die früheren Liebesgeschichten des amtierenden Präsidenten Nicolas Sarkozy. Als Jacques Chirac in der Nacht, in der in Paris Lady Di starb, nicht auffindbar war, sagte seine Frau sinngemäß: Woher soll ich wissen, wo mein Mann ist? Die Geschichten um François Mitterand waren noch abenteuerlicher.

2. Viele Franzosen scheinen sich für die Affäre sehr zu interessieren und wittern eine große Verschwörung. Ist das die Meinung der Mehrheit der Franzosen?

Wickert: Das ist nicht die Mehrheit der Franzosen, die einer Verschwörungstheorie anhängen. Aber man darf eines nicht vergessen, und das ist das Verrückte an dieser Geschichte: Strauss-Kahn hat einige Monate, bevor er verhaftet wurde, in Frankreich vor Journalisten gesagt: Es kann sein, dass jemand einer Frau eine halbe Million Euro gibt und sie behauptet, ich hätte sie in einer Garage vergewaltigt. Und denken Sie an diese scheinbar unglaubliche Geschichte, dass der französische Geheimdienst das Greenpeace-Schiff, die "Rainbow Warrior", versenkt. Wenn so etwas möglich ist, so denkt man in Frankreich, dann ist alles möglich.

3. Trotz seiner offenkundigen privaten Verfehlungen hält eine Mehrheit der Franzosen Strauss-Kahn für einen akzeptablen Kandidaten. Was ist das spezifisch Französische an dieser Haltung?

Wickert: Die Italiener haben auch kein Problem damit. Das ist nicht speziell französisch. Vielleicht hat das mit einer anderen Mentalität von lateinischen Völkern zu tun.

4. Hätte Strauss-Kahn als Präsidentschaftskandidat 2012 eine Chance gegen Nicolas Sarkozy?

Wickert: Das ist schwer zu sagen. Man kann nur spekulieren, was passieren wird. Denn ich glaube nicht, dass Strauss-Kahn noch kandidiert.

5. Wären Autorität und Glaubwürdigkeit eines Präsidenten oder hochrangigen Politikers Strauss-Kahn schon mit seinem Amtsbeginn untergraben?

Wickert: Das glaube ich nicht, er hat sich eine große Autorität erworben durch seine hervorragende Arbeit im Internationalen Währungsfonds. Auch in Deutschland wird über einige Affären geschrieben, über andere nicht. Das muss nicht die Autorität eines Politikers untergraben.