Es gibt keinen Grund, Nordafrikas Flüchtlinge weiterzuschicken.
Die Debatte darüber, welches Land Nordafrikas Flüchtlinge aufnehmen soll, sollte mit nüchternen Zahlen anfangen: Seit den Umbrüchen in Nordafrika sind auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa etwa 26 000 Flüchtlinge gestrandet. Für das winzige Eiland mit seinen rund 4500 Einwohnern stellt das ein gewaltiges Problem dar. Doch die bedrückende Enge, die auf Lampedusa herrschen mag, verzerrt die Dimensionen des Problems.
Im vergangenen Jahr musste das Industrieland Italien gerade mal 8000 Flüchtlinge aufnehmen - die Zahl der Asylbewerber in Deutschland lag im gleichen Zeitraum bei 41 000. Zudem handelt es sich bei den Flüchtlingen größtenteils um Tunesier, die Jobs in Europa suchen. Wirtschaftsmigranten aber haben keinen Anspruch auf Asyl und könnten bald wieder abgeschoben werden.
Die Vermutung liegt nahe, dass europäische, insbesondere italienische Warnungen vor einem "Dammbruch" durch den "menschlichen Tsunami" eher medialer Neigung zu Superlativen und politisch motivierter Panikmache geschuldet sind. Die konservative Regierung Berlusconi hat jedenfalls ein Interesse daran, das Flüchtlingsproblem schnell abzuwälzen. So verkündete Innenminister Maroni, bei den Boatpeople handele es sich um ein europäisches Problem - und das, bevor die ersten Schiffe in Italien angekommen waren.
Nun hat Italien - wütend darüber, dass die EU die Angelegenheit als eine italienische ansieht - angekündigt, den Flüchtlingen Visa auszustellen, mit denen sie 90 Tage lang frei in Schengen-Staaten wie Deutschland ein- und ausreisen dürfen - eine Einladung zum Untertauchen. Damit beschädigt das Land die EU gleich mehrfach. Denn im Dublin-II-Abkommen haben sich die Mitgliedstaaten darauf geeinigt, dass sich um Flüchtlinge deren Ankunftsländer kümmern. Zugleich fügt Italien dem Gedanken von Schengen Schaden zu, also der Idee, dass Grenzen überflüssig werden, wenn Länder in Rechtsfragen eng zusammenarbeiten. Schlagbäume abzumontieren erfordert jedoch Vertrauen - Vertrauen, das Italien zugunsten seiner Innenpolitik gerade verspielt.
Dennoch trifft auch die EU eine Mitschuld. Seit Jahren vertrödelt sie es, eine tragfähige gemeinsame Asylpolitik zu installieren. Feste Regeln aber, welches Land wann wie viele Flüchtlinge aufzunehmen hat, sind nötig, damit Europa auch in Krisen zusammenhält. Schlagbäume sollten in der EU da bleiben, wo sie hingehören: im Museum.