Mit Hochspannung, aber nicht zu stark: Experte erklärt Weg des Stroms vom Kraftwerk zum Toaster zu Hause
Lokstedt. Metallstangen, so dick wie Bäume, verlaufen in Haushöhe quer über das Gelände, Stahltrossen zweigen ab und führen zu Schaltanlagen, die an Beine von Riesenspinnen erinnern. Ganz am Ende schließlich verschwinden beindicke schwarze Kabel in das Erdreich. "Das", sagt Bastian Pfarrherr und deutet auf eines dieser Kabel, "geht direkt zur Lufthansawerft."
Der 34-jährige Elektro-Ingenieur ist Projektleiter Umspannwerke beim Energielieferanten Vattenfall. Heute sieht er im Hauptverteilwerk Lokstedt nach dem Rechten, das einer der rund 50 kleineren und größeren Verteilungspunkte in Hamburg ist, wo letztlich der Strom aus den Kraftwerken ankommt und weiter bis zu den Steckdosen der rund 900 000 Hamburger Haushalte geleitet wird.
Doch wie funktioniert das eigentlich: der Stromtransport über lange Distanzen, etwa vom Atomkraftwerk Brokdorf bis zum Toaster in Altona? Bevor Pfarrherr erklärt, wie der Strom transportiert wird, will er noch die Sache mit der Stromspannung und der Stromstärke erläutern. Mit seiner rechten Hand zeichnet er einen Bogen in die Luft: "Strom lässt sich gut mit Wasser erklären und stellen Sie sich jetzt einen Wasserfall vor", sagt er. Der Wasserfall ist die Spannung, je mächtiger das Gefälle, desto höher die Spannung. Und die Menge des Wassers - das sei die Stromstärke, die in Ampere gemessen werde. Wieder macht er eine Bewegung mit der Hand: "Der Rhein - das ist viel Strom, die Bille - das ist dann weniger." Und die Leistung ist die Multiplikation von Ampere und Volt. Das Problem: je höher die Stromstärke, die transportiert wird, desto eher erwärmen sich die Leitungen und desto größer ist der Energieverlust. Hohe Spannungen aber führen nicht zu Wärmeverlusten. Also wird der Strom mit hoher Spannung, aber geringerer Stärke transportiert.
Mit Transformatoren wird er in den Städten dann auf eine geringe Spannung von 230 Volt heruntertransformiert - ohne dass große Verluste entstehen. Selbst bei 100 Kilometern liegen sie bei weniger als fünf Prozent, sagt Pfarrherr und erläutert das System des deutschen Leitungsnetzes: Von den Kraftwerken führen Überlandleitungen mit 380 000 Volt Höchstspannung zu den Metropolen. Rund 35 700 Kilometer lang sind diese Strom-Autobahnen in Deutschland. Nahe am Verbraucher übernehmen dann Verteilnetz-Betreiber wie Vattenfall den Strom. Drei Knotenpunkte betreibt das Unternehmen am Rand von Hamburg, wo die 380 000 Volt ankommen und dann über weitere Verteilpunkte wie in Lokstedt schrittweise bis zu den Hausverteilkästen heruntertransformiert werden. Ab den Schaltwerken wie in Lokstedt verlaufen die Leitungen fast ausschließlich unterirdisch. Insgesamt ist dieses ganze Hamburger Verteilnetz 27 000 Kilometer lang.
Doch mit dem Leitungsnetz allein ist die Aufgabe nicht getan: Stromverbrauch und Stromeinspeisung ins Hamburger Netz müssen permanent zu 100 Prozent übereinstimmen. "Sonst kommt es zu Frequenzschwankungen, Kraftwerke schalten sich dann ab und am Ende könnte ein Blackout drohen", sagt Pfarrherr. Steigt also in der Stadt am Abend der Verbrauch plötzlich an, müssen die Stromproduzenten augenblicklich mehr liefern. Pfarrherr: "Da kann es dann vorkommen, dass in Kraftwerken angerufen wird, damit dort die Leistung erhöht wird."