Das Oberhafenquartier in der HafenCity soll Kunstschaffenden und Kreativen eine neue Heimat bieten. Nicht alle sind von der Idee begeistert.
Hamburg. Noch ist hier Niemandsland, ein rauer, verwilderter Möglichkeitsraum. Geht es nach der HafenCity Hamburg GmbH (HCH), soll das Oberhafenquartier, im Herzen der Stadt am Ostrand der kühlen Neubauten gelegen, zur neuen Heimat für Künstler und Kreative werden. Geht es nach manchen der Künstler, die auf bezahlbare Arbeitsräume und erträgliche Rahmenbedingungen angewiesen sind, ist dieser Plan zum Scheitern verurteilt, weil er ein Plan ist.
Experten aus dem In- und Ausland redeten am Wochenende bei einem Symposium auf Kampnagel über Möglichkeiten, Visionen und Probleme. Die Künstler verweigerten sich der Möglichkeit zum Dialog. Ohne ihr Zutun blieben die Diskussionen allzu oft im Ungefähren stecken, anstatt konkret oder gar provokant kreativ zu werden.
HCH-Chef Bruns-Berentelg ist dennoch schon jetzt voll der Vorfreude. Er spricht von der Möglichkeit, einen Zugang zum Wasser zu schaffen, indem man die Gleise vor dem Schuppen 4 entfernt und so auf 400 Meter eine öffentliche Fläche hätte, die im Sommer vielfältig genutzt werden könne. "Das kann ein Markt sein, Gastronomie oder Ausstellungen." Im Sommer könnten dort auch Bildhauer arbeiten, weil die Flächen teilweise überdacht wären.
Unter einem Dach ganz anderer Art arbeitet die Bildhauerin Marion Walter, sie ist Aktivistin im Gängeviertel. "Eine Würgekralle" nennt sie die bisherigen Pläne. "Kreativität braucht Freiheit", sagt Walter, und die auf drei Jahre ausgerichteten "Knebelverträge" der städtischen Kreativgesellschaft böten alles andere als das. "Mieten schaffen den Druck, kreativ sein zu müssen. Das funktioniert nicht." Sie möchte, dass solche Quartiere auf Gegenseitigkeit aufbauen. Künstler müssten für die Gebäude, in denen sie arbeiten, Verantwortung übernehmen. Im Gegenzug müsste die Stadt Flächen zur Verfügung stellen, die Kreative auf ihre Weise nutzen könnten. Es sei eine wechselseitige Beziehung. "Die Stadt muss nur ihre Angst verlieren und sich wirklich auf die Künstler einlassen."
Einige von ihnen leisten schon jetzt Pionierarbeit vor Ort. "Wir wohnen in Luke 18", müssen die Ereignisarchitekten Marten Lojenburg und Stefan Münich als Adresszusatz erwähnen. Ihre Werkstatt befindet sich in einer der lang gestreckten, eingeschossigen Lagerhallen. Seit elf Jahren bauen sie dort Kulissen für Veranstaltungen und beobachten die Entwicklungen aufmerksam. "Am Anfang waren wir nur geduldet, zwischenzeitlich hieß es, wir müssen ausziehen. Durch die aktuellen Planungen können wir glücklicherweise langfristig bleiben." Die Halle sei perfekt geeignet, groß und hoch genug. Vor allem stören sie hier niemanden, wenn sie nachts arbeiteten. "Und das alles mitten in der Stadt. Ich brauche nur zehn Minuten von meinem Zuhause in St. Pauli hierher", sagt Lojenburg. Diese zentrale Lage sei für die beiden der Grund, weshalb die Pläne für ein Kreativ- und Kulturquartier funktionieren würden.
Ein kahles Zimmer, grauer Schreibtisch, grauer Laptop. Viel Inspirierendes bietet das Büro der Schriftstellerin Susanne Hoffmann nicht, wäre da nicht die Fensterwand. Seit Februar hat sie ein Büro im ehemaligen Zollamt gemietet. Dort fühlt sie sich frei. "Wenn ich hinausblicke, sehe ich die Züge, das Wasser, den Ballon. Ich sehe, wie hier alles pulst und durch die Stadt strömt." Das mache den Ort so inspirierend und werde sicher auch weitere Künstler und Kreative anlocken.
Sollte das so sein, will der Investor Klausmartin Kretschmer gern bei den Weichenstellungen mitreden. Er hat durch sein Engagement bei der Oberhafenkantine seit Jahren einen Fuß in der Tür zum Areal und hofft, das Gebäude der Roten Flora gegen Teile dieses Quartiers einzutauschen. "Ich finde gut, dass die Qualität des Gebietes erkannt worden ist", sagt Kretschmer, der für viele Künstler, die am Brandshof mit ihm zu tun hatten, ein rotes Tuch darstellt, "und dass man meinen Ideen im Groben folgt. Man muss auch über eine Organisation nachdenken. Der Verwaltungsakt der HCH ist so kunstfern und so auf Sicherheit bedacht."
Deutliche Worte zum "Auftaktsymposium" findet der SPD-Stadtentwicklungsexperte Andy Grote: "Das war der falsche Einstieg in den Prozess. Wer die Hamburger Künstler und Kulturschaffenden nicht einbezieht, setzt sich dem Verdacht aus, dass es ihm gar nicht um diese geht. Der Oberhafen darf aber nicht zum kulturellen Feigenblatt der HafenCity werden. Es muss ein ganz eigenständiger kultureller Ort sein, der mit den Künstlern und Kulturschaffenden gemeinsam geschaffen wird und nicht über ihre Köpfe hinweg", sagt er, "engagierte Kulturschaffende haben den Flächennotstand der Kultur überhaupt erst zum Thema gemacht, es ist absurd, sie nicht von Anfang an einzubinden. Dieser Geburtsfehler weckt erneut Zweifel daran, dass ein Kulturort Oberhafen bei der HCH in den richtigen Händen ist. Es würde der Sache dienen, wenn sie sich weitgehend aus dem Prozess zurückziehen würde."
Frisch im Thema ist Kultursenatorin Barbara Kisseler, die ihre erste Hamburger Rede am zweiten Tagungstag hielt und die Aufgabe der Stadt betonte: "Es geht darum, offene Räume zu produzieren und kontinuierlich künstlerische Arbeit zu unterstützen." Auf dem Weg zum Kreativquartier seien zwei Dinge besonders wichtig: der Dialog mit den Kreativen, und Zeit, um Ideen wachsen zu lassen. "Denn der Begriff Kreativität stammt nicht nur vom lateinischen Wort creare, Neues herstellen, sondern auch von crecere, also wachsen lassen."