Der Leerstandsmelder macht sichtbar, wo es unbewohnte Gebäude gibt. Wer in Hamburg eine neue Bleibe sucht, braucht viel Ausdauer.

Hamburg. Die roten Kuller verteilen sich über den ganzen Stadtplan, im Stadtzentrum sind sie etwas dichter, am Rand etwas lichter, aber auch in Schnelsen, Neuenfelde oder Duvenstedt gibt es Einträge. Jede rote Markierung steht für freie Wohn- und Gewerberäume sowie Häuser, die leer stehen. Für Immobilienspekulanten ist es in Hamburg deutlich ungemütlicher geworden, seit am 1. Dezember 2010 die Internet-Plattform www.leerstandsmelder.de ins Netz gegangen ist.

"Es ist eine Plattform, um alle Leerstände in der Stadt zu sammeln", erklärt Michael Ziehl, Mitinitiator von Leerstandsmelder. Die Gruppierung ist aus der Gängeviertel-Initiative hervorgegangen. "Inzwischen sind 325 Objekte gemeldet", sagt Ziehl, "wir sind sehr zufrieden, dass es schon so viele sind." Auch die täglichen Seitenaufrufe seien beachtlich. Gleich am Starttag seien es 20 000 Nutzer gewesen.

Es sei Zeit gewesen für diese Plattform, sagt der Hamburger. "Wir wollen den Diskurs in der Stadt anschieben. Das Melden von Leerstand ermöglicht jedem die Partizipation an der Stadtentwicklung."

Vor allem im Innenstadtbereich gebe es viel spekulativen Leerstand, sagt der Aktivist. "In Hamburg gibt es 1,4 Millionen Quadratmeter Büroleerstand. Wir wollten das optisch darstellen." Für Wohnungen würden diese Zahlen jedoch nicht erhoben. "Eigentümer müssen nach sechs Monaten den Leerstand anzeigen, aber die Bezirksämter tun nichts, sie verwalten diese Daten nur."

Da gibt es beispielsweise die Jugendstilvilla in Sülldorf, die erst am Donnerstag eingetragen wurde. Das Wohngebäude soll seit fünf Jahren leer stehen, für den 6. Mai ist die Zwangsversteigerung angesetzt. Im Karolinenviertel meldet jemand den Leerstand von zwei Parterrewohnungen, die seit einem Jahr unbewohnt sein sollen. An der Bismarckstraße in Hoheluft steht ein Haus seit Jahren leer. Im Vorgarten hat der Immobilienmakler sein Schild aufgebaut, ein Architektenname taucht auf. Aber passiert ist seit dem Verkauf nichts. Das Haus steht einfach leer.

Kevin Wiegmann, 32, und seine Freundin Britta, 36, würden sicherlich gern in einem solchen Haus mit Garten direkt am Isebekkanal leben. Sie suchen seit eineinhalb Jahren eine neue Wohnung. Noch wohnen sie mit ihrer Tochter Lina, 3, auf 90 Quadratmetern in Sülldorf. Nicht gerade klein. Aber: Da das zweite Kind unterwegs ist und die Wohnung ungünstig geschnitten ist, will die Familie unbedingt umziehen. "Wir brauchen dringend eine Rückzugsmöglichkeit", sagt Kevin Wiegmann. Am liebsten wären ihm eine Vier-Zimmer-Wohnung oder ein Reihenhaus in einer ruhigen Gegend im Hamburger Westen oder in Winterhude. Dieser Wunsch scheint illusorisch zu sein: "Man findet nichts, was bezahlbar wäre", sagt der Vertriebsangestellte. Zwar verdienten er und seine Freundin, die Sonderschullehrerin ist, ganz gut, "aber eine Kaltmiete von 1200 bis 1600 Euro ist abartig teuer", sagt Kevin Wiegmann. Bei den Wohnungsbaugenossenschaften hat es der Familienvater auch schon probiert. Aber die Wartezeit beträgt bis zu acht Jahre.

Seit vier Jahren sucht Sabrina Vernunft, 25, aus St. Pauli eine neue Wohnung in ihrem Stadtteil. Vielleicht liegt es auch an ihrem Aussehen, dass sie und ihr Freund keine finden: Die Mutter der siebenjährigen Freya trägt keine brave Dauerwelle, sondern pinkfarbene Haare und Piercings im Gesicht. Sie sehe aber wilder aus als sie sei, sagt sie: "Ich fühle mich diskriminiert. Dabei bin ich ganz freundlich." Eine Drei- bis Vierzimmer-Wohnung für 850 Euro warm wünschen sich die Hausfrau und der Feinmechaniker. Bis zu vier Wohnungen schauen sie sich in jeder Woche an.

"Mich überrascht es nicht, dass die Wohnungsnot in Hamburg am schlimmsten ist. Die Politik hat sich in den letzen Jahren auf den Zuzug von Besserverdienenden fokussiert und der Immobilienlobby keine Grenzen gesetzt", sagt der Autor Christoph Twickel ("Gentrifidingsbums") zu den Ergebnissen der neuen Studie von Engel & Völkers über die Wohnungsnot. "In den innerstädtischen Szenevierteln wird zwar gebaut, aber vor allem sind es Eigentumswohnungen oder teure Mietwohnungen, so ab 13, 14 Euro Miete pro Quadratmeter", sagt Twickel. Den Leerstandmelder begrüßt er: "Es ist eine gute Initiative, weil es ein Bewusstsein dafür schafft, dass es unheimlich viel ungenutzten Raum in der Stadt gibt."

Im aktuellen Kooperationsprojekt "Tu was dagegen" erheben die Initiative Leerstandsmelder, der Hamburger Mieterverein und die Obdachlosen-Zeitung "Hinz & Kunzt" in einer großen Plakataktion ihre Stimme gegen die aktuelle Wohnungsnot. Nach Angaben von "Hinz & Kunzt" stehen derzeit schätzungsweise 1000 Wohnungen in Hamburg leer, zugleich leben etwa 1000 Menschen auf der Straße. "Für Hamburg als Umwelthauptstadt ist Energieverschwendung durch leer stehende, aber beheizte Häuser nicht akzeptabel", heißt es bei "Hinz & Kunzt".

Inzwischen gibt es nach Angaben von Michael Ziehl auch in drei anderen deutschen Städten Leerstandsmelder-Portale: in Düsseldorf, Freiburg/Breisgau und in Frankfurt am Main. "Wir freuen uns, dass unsere Idee auch in anderen Städten aufgenommen wird", sagt Ziehl, "vermutlich werden es noch ein paar mehr."