Es ist jedes Mal das Gleiche: Wenn ich den Raum betrete, meine Wahlbenachrichtigungskarte in der Hand, dann überkommt es mich. Dieses Gefühl der Erhabenheit. Ein leichtes Kribbeln. Fast ein bisschen Stolz. Ich, Sven Kummereincke, werde jetzt meine Entscheidung fällen, wer diese Stadt künftig regieren soll. Spätestens in diesem Moment denke ich nicht mehr an all den Frust, den man als Staatsbürger schon mal aufbauen kann. Die Skandale und Skandälchen, die großen und die kleinen (Fehl-)Leistungen, die vielen hohlen Phrasen und die (leider selteneren) klugen Sätze aus den Mündern unserer Politiker - sie haben zu meiner Wahlentscheidung beigetragen. Aber sie haben nie infrage gestellt, dass ich eine Wahlentscheidung treffen werde.
Ich bin in einer funktionierenden Demokratie aufgewachsen. Ich habe als Bürger nie ein anderes System kennengelernt. Das Recht auf eine freie, gleiche und geheime Wahl sollte mir also eine Selbstverständlichkeit sein. Doch das ist es nicht.
Ich durfte 1987 das erste Mal wählen. Damals lag die Beteiligung bei Bundestagswahlen weit über 90 Prozent, bei Landtagswahlen über 80 Prozent. Heute geht manchmal nur noch jeder Zweite wählen. Unsere Demokratie scheint immer mehr Leuten gleichgültig zu sein.
Ich betrete um 11.50 Uhr mein Wahllokal. Fünf Wahlhelfer sitzen in dem karg eingerichteten Raum einer Handelsschule. Es gibt keine Musik, keine Dekoration, keine Computer, fast archaisch kommt es mir vor. Ich mache meine Kreuze und werfe meine vier Abstimmungsbögen in die Plastikurne.
Ob die Partei, die ich gewählt habe, gewinnt, weiß ich nicht. Aber eines weiß ich: Ich fühl mich gut.