Hamburg. „Die Soziale Marktwirtschaft ist ein Konzept gegen die Krise, sie ist aus einer solchen erwachsen. Sie ist kein Schönwetter-Modell. Das Gegenteil ist der Fall.“
Wie zutreffend diese Worte unseres früheren Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff doch sind. Die Soziale Marktwirtschaft hat einmal mehr ihre Fähigkeit bewiesen, Krisen zu überwinden: Die deutsche Wirtschaft steht in einem stabilen Aufschwung. Mehr noch: Deutschland hat sich besser als die meisten Industriestaaten von den Folgen der Krise erholt. Nach dem Export hat auch die Binnenkonjunktur Fahrt aufgenommen. Und eingedenk der Maxime, dass „sozial ist, was Arbeit schafft“, haben wir allen Grund, uns darüber zu freuen, dass die Zahl der Arbeitslosen die Drei-Millionen-Grenze unterschritten hat.
Blicken wir auf die weltwirtschaftliche Entwicklung, so erwarten die Konjunkturexperten, dass Weltproduktion und Welthandel deutlich aufwärts gerichtet bleiben.
Wie keine andere Volkswirtschaft hat China diese Krise am besten gemeistert. Das hat nicht zuletzt unser „Hamburg-Summit: China meets Europe“ vor wenigen Wochen eindrucksvoll bestätigt.
Die Welt sieht nach der Krise anders aus als vorher: China hat Japan als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Erde überrundet, Deutschland hat seinen Titel als Exportweltmeister an das Reich der Mitte abgetreten. China ist nun eine ökonomische Supermacht auf Augenhöhe mit den USA und Europa. Diese multipolare Welt – ergänzt um Indien, Russland und Brasilien – wird das 21. Jahrhundert prägen.
Beim Blick auf die weltwirtschaftliche Entwicklung dürfen wir natürlich Risiken nicht aus den Augen verlieren. Als solche sehe ich insgesamt fünf:
• eine immer noch eher labile Weltfinanzmarktordnung,
• das Aufleben protektionistischer Tendenzen,
• eine zu expansive Geldpolitik,
• Engpässe bei der Rohstoffversorgung und
• die Gefährdung freier Handelswege.
Lassen Sie mich auf diese fünf Risiken kurz eingehen. Erstens: Was die Finanzmärkte angeht, so wurde vor zwei Jahren beim G20-Gipfel im Grundsatz vereinbart, dass jeder Finanzdienstleister, jedes Finanzprodukt und jeder Finanzplatz reguliert werden sollte.
Dieses wegweisende Prinzip ist bisher noch nicht flächendeckend umgesetzt, auch wenn einiges erreicht wurde.
Die beim diesjährigen G20-Gipfel in Seoul vereinbarten neuen Eigenkapitalvorschriften der Banken (kurz: „Basel III“), das Banken-Regulierungspaket in den USA, die Stärkung der Finanzaufsicht in Europa, eine bessere Kontrolle der Ratingagenturen – all dies sind wichtige und im Grundsatz richtige Schritte. Dabei muss aber im Konkreten immer darauf geachtet werden, dass sie am Ende nicht zu unerwünschten Effekten bei der Kreditvergabe an die Realwirtschaft oder zu ungerechtfertigten Belastungen bei denjenigen Kreditinstituten führen, die in der Vergangenheit ordentlich gewirtschaftet haben. Wettbewerbsverzerrungen sind zu vermeiden, und unser im deutschen Bankwesen bewährtes Drei-Säulen-System darf nicht gefährdet werden.
Zweitens: Amerikanische und französische Vorstellungen, unter anderem deutsche Exportüberschüsse künstlich zu begrenzen, sind Ausdruck zunehmender protektionistischer Tendenzen. Die Weltwirtschaft wird nicht dadurch erfolgreicher, dass einer ihrer besseren Schüler gedeckelt wird, um die anderen nicht so schwach aussehen zu lassen. Es geht vielmehr darum, unsere ganze Kraft in eine gemeinsame Wachstumsstrategie zu stecken.
Drittens: Mit dem Kauf von Staatsanleihen durch die US-Zentralbank in Höhe von 600 Milliarden Dollar haben die USA in einem bislang nicht vorstellbaren Umfang die Notenpresse angeworfen, um ihre Konjunktur zu beleben. Damit wird derselbe Fehler ein zweites Mal begangen. Denn es war gerade eine Politik des extrem billigen Geldes, die in den USA Ausgangspunkt der Krise war. Dass nun auch die Europäische Zentralbank dazu übergegangen ist, Staatsanleihen bestimmter EU-Mitgliedsländer zu kaufen, macht deutlich, dass es keinerlei Anlass für Entwarnung gibt.
Viertens: Zu einer erheblichen Herausforderung gerade für die deutsche Wirtschaft wird zunehmend die Rohstoffversorgung. Allein der Nachholbedarf der sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) führt zu einer drastischen Mehrnachfrage nach Rohstoffen wie Kupfererze und Erdöl, was langfristigen Preisdruck erzeugt. Gravierender noch ist die Debatte um Verfügbarkeiten. Dies zeigt das Beispiel der für die Entwicklung der Elektro-Mobilität unverzichtbaren Metalle der sogenannten Seltenen Erden, an denen China zurzeit einen Weltmarktanteil von 97 Prozent hält. Ich begrüße daher sehr, dass der Generalsekretär des chinesischen Staatsrates Ma Kai bei seinem Besuch am 27. November in unserer Handelskammer ausgeschlossen hat, dass China unserer Industrie den Zugang zu diesen Rohstoffen versperrt. Vielmehr soll ein Dialog über deren Nutzung erfolgen, wozu der Präsident des chinesischen Industrieverbandes Xu Kuangdi Hamburg als Konferenzstandort vorgeschlagen hat.
Fünftens: Die Sicherung der Freiheit der internationalen Handelswege ist von elementarer, geostrategischer Bedeutung für den Welthandel und für die deutsche Volkswirtschaft. Richtigerweise engagieren wir uns bereits beim EU-Einsatz im Indischen Ozean vor Somalia, um freie und sichere Handelswege auch für Deutschland zu sichern. Dass hierin ein Auftrag der Bundeswehr liegen muss, in dieser Hinsicht stimme ich Herrn Minister zu Guttenberg ausdrücklich zu. Dass auch internationaler Datenschutz eine sicherheitspolitische Aufgabe darstellt, das haben uns die Veröffentlichungen von diplomatischen Dossiers auf der Internetplattform „WikiLeaks“ gezeigt. In der Pflicht, für mehr Datensicherheit zu sorgen, sehe ich dabei nicht allein oder vorrangig den Gesetzgeber. Auch und gerade wir alle als Nutzer der vielfältigen Möglichkeiten des Internets müssen eine neue Verantwortungskultur im Umgang mit der damit weltweit verbundenen Informationsfülle und Informationsfreiheit entwickeln.
Weltweit hat unsere Handelskammer auch im zu Ende gehenden Jahr die außenwirtschaftliche Rolle unseres Standortes weiter intensiv gepflegt – im Rahmen von Delegationsreisen nach Dubai, Shanghai, Beijing, Singapur, Seoul, Prag und Chicago, durch Gespräche mit ausländischen Staatsgästen, Konsulaten und Geschäftspartnern und nicht zuletzt durch eine Vielzahl von außenwirtschaftlichen Veranstaltungen.
Als führender deutscher Außenwirtschaftsstandort begrüßen wir ausdrücklich die von der Bundesregierung beherzt in Angriff genommene Reform der deutschen Entwicklungshilfe, die stärker auf die Mitwirkung der deutschen Wirtschaft setzt. Für eine Hilfe zur Selbsthilfe erweist sich als besonders wirkungsvoll, dass unser bewährtes deutsches System der dualen Berufsausbildung verstärkt in geeignete Partnerländer übertragen werden soll. Unsere Handelskammer hat mit ihrem Madagaskar-Projekt hierfür den Boden bereitet und große Anerkennung erfahren.
Die Entwicklungs-, die Schwellen- und die früheren Ostblockländer tragen inzwischen mehr als die Hälfte zur Weltwirtschaftsleistung bei. Für Deutschland gilt aber weiterhin und auch ungeachtet mancher unterschiedlicher Auffassungen, dass die Pflege der transatlantischen Beziehungen von besonderer Bedeutung ist und bleibt. Altbürgermeister Hans-Ulrich Klose hat dies in seiner Atlantikrede bei unserer Hamburger Morgensprache in diesem Jahr eindrucksvoll aufgezeigt.
Europa kann in dieser Welt nur dann eine gewichtige Stimme bleiben, wenn es gemeinsame Positionen findet. Europa aber ist nicht in Bestform! Vor dem Hintergrund der Schuldenkrise einiger europäischer Staaten und massiver Finanzmarktturbulenzen sahen sich die Euro-Regierungschefs veranlasst, zur Sicherung der Stabilität des Euro-Finanzsystems einen Rettungsfonds in Höhe von 750 Milliarden Euro aufzulegen. Damit wurde klar gegen die Vereinbarung im Rahmen der Währungsunion verstoßen, dass die Mitgliedsstaaten nicht untereinander für ihre Schulden haften.
Zwar wurde die finanzielle Unterstützung für Griechenland und inzwischen auch für Irland an erhebliche Auflagen zur Haushaltskonsolidierung geknüpft. Aber die Wirkung auf zukünftige Problemfälle ist schlecht: Wer sich im Falle staatlichen Missmanagements am Ende des Tages doch auf die Hilfe seiner Nachbarn verlassen kann, ist letztlich versucht, es mit der Budgetdisziplin nicht so genau zu nehmen. Uns muss deshalb klar sein, dass mit dem milliardenschweren Rettungsschirm – als eine Art Feuerwehr – im Wesentlichen nur Zeit gekauft wurde. Sinnvoller und preiswerter als Brände zu löschen, ist es nämlich, Brände zu verhindern.
Dafür – und um den sonst vorgegebenen Weg Europas in eine Transferunion zu stoppen –
• muss der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt nachhaltig gestärkt werden und
• brauchen wir einen Krisenmechanismus für überschuldete Staaten, bei dem auch die privaten Gläubiger der ja mit Risikoaufschlägen versehenen Staatsanleihen hinreichend in die Haftung genommen werden.
Bei der Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes muss es vor allem darum gehen, dass die Spannungen durch unterschiedliche Wirtschaftspolitiken der Mitgliedsländer abgebaut werden. Langfristig kann ein Währungsraum nur bestehen, wenn in ihm eine einheitliche Wirtschaftspolitik betrieben wird. Unterbleibt dies fahrlässig, bricht er auseinander, unterbleibt eine einheitliche Wirtschaftspolitik willentlich, muss er wieder aufgeteilt werden.
Es kann auch nicht angehen, dass einige Länder über den Vorschlag für Eurobonds den Versuch starten, Trittbrettfahrer der deutschen Bonität zu werden. Diese Länder müssen ihre Hausaufgaben genauso machen, wie Deutschland es bei der Renten-, der Arbeitsmarkt- und der Gesundheitsreform vorgemacht hat.
Meine Damen und Herren, Sie alle kennen das Sprichwort: „Jammern füllt keine Kammern.“ Erinnern wir uns nach zwei Jahrzehnten der Wiedervereinigung, so haben wir keinen Anlass zum Jammern, sondern im Gegenteil allen Anlass zur Freude, zum Stolz und zum Dank über die Einheit und über die gewonnene Freiheit und Rechtsstaatlichkeit im östlichen Teil unseres Vaterlandes.
Das gilt auch für die Erfolge in der Wohlstandsentwicklung, beim Ausbau der Infrastruktur, im Gesundheits- und Bildungswesen und nicht zuletzt und in besonders hohem Maße im Umweltschutz. Das aktuelle Wachstum in Deutschland schafft Arbeitsplätze und eröffnet Spielräume für steigende Einkommen.
Der Aufschwung muss aber auch bei den Menschen ankommen! Zur erfreulichen Entwicklung der Beschäftigung hat auch die Agenda 2010 beigetragen, durch die der deutsche Arbeitsmarkt flexibler geworden ist. Sie, Herr Scholz, haben deshalb allen Grund, den sozialdemokratischen Anteil an diesem Werk mit Stolz zu vertreten. Halten Sie daran fest und verhindern Sie die Rolle rückwärts, die einige Kräfte aus kurzfristigem und sachfremden Kalkül betreiben.
Das Ansehen der Regierungskoalition in Berlin hält noch nicht ganz Schritt mit dem aktuellen wirtschaftlichen Erfolg des Landes. Zu sehr und zu lange hat das Regierungsbündnis das Bild einer Koalition des Misstrauens, der Widersprüche und der Beschäftigung mit sich selbst vermittelt. Nach einem regierungsseitig fast verlorenen Jahr hat die schwarz-gelbe Koalition im Herbst nunmehr überaus wichtige und richtige Weichenstellungen vorgenommen.
Ich nenne dazu als Stichworte
• erstens die Aussetzung der Wehrpflicht,
• zweitens eine Reform der Krankenversicherung, die erste Ansätze einer Entkoppelung von Gesundheitsfinanzierung und Arbeitskosten enthält,
• drittens die an den Vermittlungsausschuss überwiesene Neuregelung von Hartz IV, die Kindern mehr Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten verschafft und damit stärker auf eine aktivierende Sozialpolitik setzt,
• viertens die Vorlage eines Energiekonzeptes mit einer Verlängerung der Restlaufzeit der Atomkraftwerke und
• fünftens das Sparpaket zur Haushaltskonsolidierung.
Trotz konjunktureller Steuermehreinnahmen halte ich es für zwingend, der Haushaltskonsolidierung weiterhin Priorität einzuräumen. Schulden zu begrenzen bedeutet aber nicht zwangsläufig, sich jeglicher Steuerreform zu enthalten. Der sogenannte „Mittelstandsbauch“ und die „kalte Progression“ gehören eliminiert. Nachdrücklich plädiere ich vor allem für eine spürbare Steuervereinfachung. Hiermit kann auch ein wesentlicher Beitrag zum Bürokratieabbau geleistet werden. Dieser darf sich aber nicht in erster Linie auf die Finanzverwaltung beziehen, sondern muss vor allem die Perspektive des Bürgers und der Unternehmen im Auge behalten.
Hier ein Beispiel dafür, wie es nicht sein darf: 2008 regelte der Gesetzgeber die elektronische Übermittlung von Bilanzen im Steuerbürokratieabbaugesetz. Der Name ist schon schlimm! Schlimmer ist, dass sich die aktuell geplante Umsetzung für die Wirtschaft in das genaue Gegenteil verkehrt. Die Finanzverwaltung fordert nämlich jetzt deutlich mehr Angaben als gesetzlich vorgeschrieben. Ihr Umfang wird, wenn es so kommt, um sage und schreibe fast 700 Prozent steigen. Mit unseren Protesten haben wir zunächst die Verschiebung der Regelungen um ein Jahr erreicht.
Diese Zeit muss genutzt werden, um überzogene Bürokratie wieder zurückzudrehen, sonst bewahrheitet sich einmal mehr die Tatsache: „Das Paragrafenzeichen allein sieht schon aus wie ein Folterwerkzeug.“
In die richtige Richtung weisen die energiepolitischen Beschlüsse der Bundesregierung. Als Hamburger Wirtschaft setzen wir auf einen breiten Energiemix, der den Ausbau der erneuerbaren Energien, aber auch den Neubau von konventionellen hocheffizienten, umweltfreundlichen Kraftwerken und die notwendige Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken umfasst. Nur so können wir Versorgungssicherheit, wettbewerbsfähige Preise und unsere Klimaziele erreichen.
In der kürzlich von uns vorgelegten Kraftwerkslandkarte für Norddeutschland haben wir nachgewiesen, dass uns die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken die notwendige Zeit gibt, um den erforderlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzutreiben. Ansonsten drohen insbesondere der norddeutschen Wirtschaft Versorgungsunsicherheiten ab 2020. Mit dem Kraftwerk Moorburg entsteht das weltweit modernste Kohlekraftwerk hier in Hamburg mit einem unübertroffenen Wirkungsgrad von 61 Prozent, – wenn, ja wenn ein Anschluss an das Fernwärmenetz erfolgt, womit dann immerhin 50.000 Hamburger Wohnungen beheizt werden können. Es wäre ein Schildbürgerstreich, ja, eine gravierende Umweltsünde, dies nicht zu tun. Es ist deshalb überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die Nutzung des Kraftwerks als Fernwärmelieferant ausgerechnet von grüner Seite bekämpft wird.
Zur Frage der künftigen Eigentümerschaft der hiesigen Energienetze hat sich unsere Handelskammer bereits mehrfach klar geäußert. Aus unserer Sicht wäre die Übernahme der Netze durch die Freie und Hansestadt zwar eine in Frage kommende Möglichkeit, sie darf allerdings nicht zum Selbstzweck stilisiert werden. So wie es für mich momentan aussieht, würde der Aufwand in dieser Sache die Erträge übersteigen.
Denn angesichts eines durch die Bundesnetzagentur überwachten freien und fairen Netzzugangs kann ich nicht erkennen, worin der Vorteil liegen soll, dass die Stadt Milliarden, die sie nicht hat, für den Erwerb der Energienetze ausgeben will. Das wäre ein finanzpolitisches Hasardeurspiel.
Freude machen die positiven Signale, die uns der Arbeitsmarkt sendet. Sorgen muss uns jedoch, dass nach Umfragen der Kammerorganisation jeder zweite Betrieb in den nächsten fünf Jahren einen Fachkräftemangel erwartet. Daher müssen wir
• das Potenzial an Erwerbspersonen noch besser ausschöpfen, indem wir weitere Fortschritte bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erzielen,
• die Integration in Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund verstärken,
• das Potenzial beruflicher Qualifikationen von Zugewanderten besser nutzen und
• schließlich auch qualifizierte Zuwanderung organisieren.
Vernünftige Zuwanderungspolitik muss sich an den Interessen unserer Volkswirtschaft orientieren dürfen, sie stärken statt schwächen. Deshalb geht es um qualifizierte Zuwanderung in unser Wirtschaftssystem, nicht dagegen um Zuwanderung in unser Sozialsystem. Von den Zugewanderten sind gleichermaßen Integrationsfähigkeit und Integrationsbereitschaft gefordert. Ich plädiere für eine offene Debatte dieser Themen als Teil unserer politischen Kultur, sonst entfremdet sie sich zunehmend dem Bürger.
Deutschland verdankt seine Wettbewerbsfähigkeit und seinen Wohlstand zu einem guten Teil auch seiner hervorragenden Infrastruktur. Derzeit aber zieht sich quer durch die Republik ein Investitionsstau von Großprojekten, der nicht nur Folge von Finanzknappheit ist, sondern häufig Ergebnis teilweise Jahrzehnte währender Planungsprozesse, die in ihrer Komplexität nicht mehr überschaubar sind. Der Streit um Stuttgart 21 ist dafür ein besonders drastisches Beispiel. Selbstverständlich muss sich auch die Wirtschaft in der Pflicht sehen, mit den Betroffenen in den Dialog zu treten. Wenn allerdings durch unser überbordendes Planungs-, Beteiligungs- und Klagerecht zwischen Planung und Baubeginn inzwischen eine ganze Generation liegt, die Betroffenen also die Kinder derer sind, die einst an den Anhörungsverfahren teilgenommen haben, dann frage ich mich: Bringt uns das mehr Teilhabe, mehr Gerechtigkeit oder gar Planoptimierung? Ganz sicher nein!
Die Parlamente, die sich nach dem Schlichterspruch in Stuttgart möglicherweise um die Umsetzung ihres rechtsstaatlichen Willens gebracht sehen, sind nicht Opfer des Bürgerprotests. Sie sind vielmehr Opfer der völlig überfrachteten und sich teilweise widersprechenden Planungsgesetze, die sie nach dem Motto „gut gemeint“ selbst geschaffen haben. Warum soll es nicht möglich sein, die Reihenfolge von Planung, Anhörung, Entscheidung und Beginn der Umsetzung in maximal fünf Jahren ablaufen zu lassen? Das muss die Lehre aus Stuttgart sein. Jetzt ist die Zeit zu erkennen: Weniger wäre mehr!
Was Infrastrukturprojekte angeht, so müssen wir gerade im Norden noch stärker in Wirtschaftsräumen denken und unsere Interessen bündeln, um sie mit einer Stimme in Berlin zu vertreten. Ich denke, dass wir in der norddeutschen Wirtschaft hier schon ein gutes Stück vorangekommen sind. Lassen Sie mich dazu vier Beispiele nennen:
Erstens die Fehmarnbelt-Querung: In einer „Copenhagen Declaration“ haben sich norddeutsche, dänische und südschwedische Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Verwaltung darüber verständigt, diese Querung des Fehmarnbelts zugleich als mentale Brücke zu nutzen. Dadurch kann das wirtschaftliche Potenzial im Dreieck zwischen Kopenhagen/Malmö – Hamburg – Arhus noch besser ausgeschöpft werden. Wir denken dabei vor allem daran, den anforderungsgerechten Ausbau der Hinterland-Anbindungen der Fehmarnbelt-Querung, wie beispielsweise die A21, voranzubringen und eine länderübergreifende Zusammenarbeit von Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen zu schaffen. Halten wir erneut fest: Die beschlossene Fehmarnbelt-Querung bietet die einmalige Chance, die wirtschaftlichen Gewichte in Europa ein Stück nordwärts zu verschieben. Nutzen wir sie!
Zweitens: Gemeinsam mit der IHK Schleswig-Holstein und der IHK Stade hatten wir vor einem Jahr für die Region entlang der Unterelbe die Entwicklungsperspektiven unter der Überschrift „Die Zukunft liegt an der Küste“ aufgezeigt. Jetzt geht es für Kommunen, Kreise und regionale Wirtschaft darum, ein Maßnahmenbündel und ein gemeinsames Marketing für die Unterelbe-Region zu entwickeln.
Drittens: Die IHK Schleswig-Holstein und unsere Handelskammer haben ein Aktionsprogramm zur wirtschaftlichen Kooperation zwischen beiden Ländern vorgelegt, das den Weg zu einer Wirtschaftsregion Nord weist. Wir schlagen darin insbesondere gemeinsam getragene Entwicklungskonzepte für die Verkehrsachsen A1, A7 und A23, ein gemeinsames Clustermanagement für die Bereiche Maritime Wirtschaft, Häfen / Logistik und Erneuerbare Energien sowie eine gemeinsame Technologietransfer-Einrichtung vor.
Mit der Eröffnung einer gemeinsamen Geschäftsstelle unserer Handelskammer und der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck in Norderstedt haben wir ein sichtbares Zeichen für länderübergreifende Zusammenarbeit gesetzt. Es handelt sich um die erste gemeinsame und zudem länderübergreifende Geschäftsstelle zweier deutscher IHKs. Sie soll sowohl zahlreichen Hamburgern als auch schleswig-holsteinischen Mitgliedsunternehmen kürzere Wege für unsere Serviceleistungen bieten.
Viertens: Als Arbeitsgemeinschaft Norddeutscher Industrie und Handelskammern – kurz IHK Nord – haben wir vor der süddeutschen Wirtschaft in Stuttgart, Nürnberg und Augsburg deutlich gemacht, dass die Maritime Wirtschaft kein regionales Hobby, sondern eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung ist. Auch auf diese Weise wollen wir Unterstützung für unsere Forderung nach mehr Investitionen in den Ausbau der Hinterland-Anbindungen der deutschen Seehäfen mobilisieren.
Meine Damen und Herren, der Volksentscheid zur Primarschule am 18. Juli markiert eine politische Zäsur in unserer Stadt und hat ein politisches Erdbeben ausgelöst, dessen Nachbeben immer noch andauern. Mit dem abrupten Rücktritt des Ersten Bürgermeisters, Ole von Beust, endete zugleich eine politische Ära in Hamburg.
Wir verbinden seine Amtszeit vor allem mit dem Programm der „Wachsenden Stadt“; hiermit hat er Hamburg den Glauben an die eigene Stärke zurückgegeben und für nachhaltige Aufbruchstimmung gesorgt. Dafür gebührt ihm unser Dank!
Die von ihm geführte schwarz-grüne Koalition – als parteipolitisches Experiment gestartet – hat sich zu Beginn als Partnerschaft gezeigt, die von einer bemerkenswerten Harmonie geprägt war. Die fehlende Kraft zu einem Kompromiss in der Schulstrukturdebatte war der Anfang vom Ende. Seit dem verlorenen Volksentscheid war die Koalition auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Schneller als von vielen gedacht, wurde dann, vor einem Monat, die Scheidung eingereicht. Seitdem herrscht Wahlkampf.
Richten wir den Blick auf die wirtschaftliche Lage in unserer Stadt, so erkennen wir: Die Hamburger Wirtschaft zeigt sich auch dank ihrer mittelständisch geprägten Struktur in guter Verfassung. Diese Entwicklung aber darf nicht im Geringsten Anlass sein, sich auf ihr auszuruhen. Wir dürfen nicht der Gefahr erliegen, in einen selbstgefälligen „Schlaf der Schönen“ zu verfallen, den unser Altbundeskanzler Helmut Schmidt unserer Stadt einst attestierte. Wir brauchen im Standortwettbewerb den Ehrgeiz, in der Spitze der europäischen Metropolen mitzuspielen. Für mich bedeutet dies, dass Hamburg sein Ziel zu wachsen, unter welchem Slogan auch immer, nicht aufgeben darf!
Nach einem umfangreichen Diskussionsprozess innerhalb der insgesamt 700 Plenar- und Ausschussmitglieder unserer Handelskammer werden wir in Kürze unter der Überschrift „Hamburg 2030“ ein umfassendes Zukunftsbild für Hamburg aufzeigen. Wir wollen dabei Politik, Gesellschaft und Wirtschaft für die Frage sensibilisieren, was zu tun ist, um die Weichen richtig zu stellen und unser Potenzial zu entwickeln und auszuschöpfen.
Aktuell sehe ich Herausforderungen für unseren Standort vor allem in vier Handlungsfeldern.
Wir müssen
• erstens die finanzpolitische Handlungsfähigkeit unserer Stadt sichern,
• zweitens unsere Quellen der Wertschöpfung pflegen,
• drittens verstärkt in Bildung und Ausbildung investieren und
• viertens die Stadtentwicklung umweltgerecht und mit hoher Lebensqualität gestalten.
Erstens: Im Hamburger Haushalt wurden in den vergangenen 40 Jahren insgesamt 32 Milliarden Euro mehr ausgegeben als eingenommen. Diese andauernde Schieflage der öffentlichen Finanzen macht deutlich, dass es hier kein „weiter so“ geben kann und geben darf. Höher als erwartet anfallende Steuereinnahmen sind zu nutzen, um weniger neue Schulden zu machen. Sie haben, Herr Bürgermeister Ahlhaus, in Ihrer Regierungserklärung ein klares Bekenntnis zu einer dynamischen Wirtschafts- und Finanzpolitik abgegeben! Das gilt auch für das beschlossene Sparpaket, welches Sie als alternativlos bezeichnet haben. Jetzt kommt es darauf an, das, was als richtig erkannt wurde, nicht dem Kalkül des Wahlkampfes zu opfern. Sonst schaffen wir die haushaltspolitische Wende nicht und das Staatsschiff kentert.
Zweitens: Zu den zentralen Quellen wirtschaftlicher Wertschöpfung gehört nach wie vor unser Hafen als industrieverbundener Universalhafen mit Containerschwerpunkt. Wollen wir verlorenes Terrain aufholen und sich bietende Chancen nutzen, dann müssen wir die Erreichbarkeit des Hafens sichern. Der Beginn der Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe im Jahr 2011 ist für die Glaubwürdigkeit nach innen und nach außen von ausschlaggebender Bedeutung. Ich danke Ihnen, Herr Bürgermeister Ahlhaus, und Ihnen, Herr Senator Karan, dass Sie dieses Projekt zur Chefsache gemacht haben. In unser aller Interesse hoffe ich, dass Sie auch in diesen Wahlkampfzeiten Tag und Nacht für dieses Projekt arbeiten!
Nicht minder wichtig sind die Hafenquerspange, die Y-Trasse sowie die notwendige Ertüchtigung der Mittel- und Oberelbe bis Dresden. Für die Entwicklung des Hafens kommt auch der Hafenfinanzierung maßgebliche Bedeutung zu. Ich stehe dazu, dass die Nutzung spezifischer Hafenanlagen grundsätzlich kostenpflichtig sein muss. Zugleich kann kein Zweifel daran bestehen, dass die öffentliche Infrastruktur im Hafen aus dem Haushalt zu finanzieren ist. Stets müssen wir unsere Wettbewerbsposition gegenüber den Konkurrenzhäfen der Nordrange im Auge behalten. Der neue Hafenentwicklungsplan sollte im Übrigen beim Bau neuer Kapazitäten in Steinwerder und später in Moorburg die Türen für Kooperationen auch mit internationalen Partnern offen halten.
Auch in der Kreativ- und in der Medienwirtschaft nimmt Hamburg eine führende Rolle ein. Der Medienkoordinator hat für den Medien- und Kreativstandort viel Positives bewegt. Daher hat unsere Handelskammer vorgeschlagen, den Medienkoordinator, aber auch den Kunst- und Mediencampus zu stärken. In enger Zusammenarbeit sollten sich beide als Leuchttürme einer wettbewerbsfähigen Medienpolitik in Deutschland positionieren.
Für die Gesundheitswirtschaft in Hamburg bildet der gewonnene Bundeswettbewerb als „Gesundheitsregion der Zukunft“ einen wichtigen Meilenstein ihrer Entwicklung. Die Auszeichnung ist ein Beweis für die hiesige Dynamik in der Branche und für die Chancen, die daraus entstehen.
Der Finanzplatz Hamburg steht vor besonderen Herausforderungen als weltweit wichtiger Standort für Schiffsfinanzierungen. Die Wirtschaft – allen voran die Schifffahrt – braucht dabei auch die HSH Nordbank als soliden Finanzpartner. Es bleibt zu hoffen, dass ihre Restrukturierung gelingt und sie auch weiterhin als starker Akteur in den Bereichen Schifffahrt, Luftfahrt und Erneuerbare Energien auftreten kann.
So begrüßenswert die Erfolge bei der Sanierung der Kernbank sind, so sorgenvoll blicke ich auf die Risiken, die in der Restrukturierungsbank liegen und die die Steuerzahler in Hamburg und Schleswig-Holstein bedrohen. In dieser Gemengelage sind mehr Transparenz, gute Kommunikation und hanseatisches Geschäftsgebaren das Gebot der Stunde.
Meine Damen und Herren, ein Musterbeispiel an Solidität bietet derzeit die industrielle Basis unseres Landes. Viele Ökonomen sind sich einig, dass sich Deutschland auch deshalb schneller von der Krise erholt hat als andere Staaten, weil unser Land noch über einen relativ hohen Industrieanteil verfügt, der Ausgangspunkt für viele Dienstleistungen, für Handel und für Logistik ist. Wir werden uns deshalb für eine weitere Verbesserung der industriellen Rahmenbedingungen einsetzen – wie im Masterplan Industrie vereinbart.
Ein wichtiger Punkt auf der wirtschaftspolitischen Agenda ist darüber hinaus die von unserer Handelskammer und der Handwerkskammer vorgeschlagene "Mittelstandsallianz III". Ein wesentlicher Bereich ist dabei das Flächenmanagement in unserer Stadt.
Grundsätzlich findet die Ankündigung des Senats, die Schaffung von Wohnraum zu einem Schwerpunkt zu machen, unsere volle Zustimmung. Wenn wir eine wachsende Stadt sein wollen, müssen jedes Jahr sechstausend Wohnungen hinzukommen. Für mich sind allerdings Gewerbe- und Industrieflächen einerseits und Flächen für den Wohnungsbau andererseits zwei Seiten ein und derselben Medaille. Denn was nützt zusätzlicher Wohnraum, wenn nicht zugleich ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht – und umgekehrt. Daher muss gelten: Wenn eine Umwidmung von Gewerbegebieten zu Wohngebieten erfolgt, muss zwingend immer zeitnah ein Ausgleich in Form neuer Industrie- oder Gewerbeflächen geschaffen werden.
Es ist daher notwendig, neben das Wohnungsbau-Entwicklungsprogramm auch ein Gewerbeflächen-Entwicklungsprogramm zu stellen. Hierzu werden wir in Kürze Vorschläge unterbreiten. Wir identifizieren darin Potenziale für die Entwicklung als Gewerbe- und Industrieflächen sowie als Technologieparks von knapp sechshundert Hektar.
Ich komme drittens zum Bereich Bildung und Ausbildung. Mit 10.002 neuen Ausbildungsverträgen in Industrie, Handel und Dienstleistungen können wir 2010 7,4 Prozent mehr als 2009 verzeichnen. Wir erreichen damit fast das bisherige Rekordjahr 2008. Das von der Wirtschaft im Ausbildungspakt gegebene Versprechen, jedem ausbildungsfähigen und ausbildungswilligen Jugendlichen ein Angebot zu machen, wurde damit auch dieses Jahr gehalten. Mein herzlicher Dank gilt den ausbildenden Unternehmen für ihr herausragendes Engagement!
Angesichts dieses Erfolges wird deutlich, dass sich der Ausbildungsmarkt an einem Wendepunkt befindet: Nicht Ausbildungsstellen, sondern Bewerber werden knapp! Das sind Vorboten eines sich verschärfenden Fachkräftemangels, der auf dem Ausbildungsmarkt schon sichtbar ist und der von den Unternehmen alle Anstrengungen erfordert, durch überzeugende und kreative Angebote die Jugendlichen an sich zu ziehen und an sich zu binden. Damit erhöhen sich auch die beruflichen Chancen für schwächere Jugendliche deutlich. So wie die Firmen auf diese Jugendlichen verstärkt zugehen müssen, so müssen auch die Schulen das ihrige tun, diese Jugendlichen auf die Welt der Wirtschaft hin zu orientieren. Das im gemeinsamen Aktionsbündnis mit der ehemaligen Senatorin Goetsch vereinbarte Übergangsmanagement ist hierzu eine ganz wichtige und gute Maßnahme. Künftig soll kein Jugendlicher mehr seinen Schulabschluss machen, ohne dass vorher geklärt ist, was sein nächster Schritt ist.
Viele der hier Anwesenden werden jetzt sagen, dass sich dies doch schon im Elternhaus klärt. Dies spiegelt aber leider nicht die Realität für viele der Hamburger Jugendlichen wider. Durchschlagende Erfolge bei der Integration aller Jugendlichen einschließlich der Migranten in die Arbeits- und Berufswelt werden wir nur erzielen, wenn wir den schulischen Erfolg von dem Bildungs- und sozialen Hintergrund der Eltern, die dies nicht leisten können oder wollen, entkoppeln. Das Übergangsmanagement und die echte Ganztagsschule sind hierauf die zeitgemäßen Antworten.
Dass Schulstrukturdebatten demgegenüber fruchtlos, ja sogar kontraproduktiv sind, das hat diese Stadt im abgelaufenen Jahr einmal mehr leidvoll erfahren müssen. Die Hamburger wünschen sich, so meine ich, nichts sehnlicher als ein Ende der Experimente und einen Schulfrieden, der das versprochene Jahrzehnt währt. Es kommt jetzt darauf an, in Stadtteilschulen und Gymnasien endlich die Entwicklung der Qualität des Unterrichts ins Zentrum zu rücken. Der Arbeit der Schulinspektion kommt dabei herausragende Bedeutung zu, und es wäre ein großer Fortschritt, wenn endlich der Mut zur flächendeckenden Veröffentlichung ihrer Ergebnisse aufgebracht würde, um so Anreize zu weiteren Verbesserungen zu schaffen.
Weiter verbessert hat sich in Hamburg die Verbindung der Kulturen von Wirtschaft und Wissenschaft. Der Wirtschaftsstandort Hamburg und der Wissenschaftsstandort Hamburg sind nicht losgelöst voneinander zu betrachten.
Erfolge stellen sich dort ein, wo Hochschulen und Wirtschaft an einem Strang ziehen. Das gemeinsame Memorandum der Konferenz der staatlichen Hochschulen und unserer Handelskammer ist hierfür ein wichtiger Meilenstein.
In der Innovations-Allianz zwischen Senat, Hochschulen und Hamburger Wirtschaft haben wir jetzt auch den Durchbruch für den an dieser Stelle immer wieder angemahnten besseren Technologietransfer geschafft. Mit der Innovations-Kontaktstelle, kurz IKS, steht unseren mittelständischen Unternehmern in Kürze endlich eine zentrale Anlaufstelle zur Verfügung, die Transparenz über die in den Hamburger Hochschulen und Forschungseinrichtungen bestehenden Technologieangebote schafft.
Natürlich noch besser ist, wenn diese Zusammenarbeit durch räumliche Nähe von Forschungseinrichtungen und Gewerbeansiedlungen stattfinden kann. Für die Einrichtung eines zentralen Forschungscampus der Hamburger Hochschulen mit Erweiterungsflächen für „Spin-Offs“ und forschungsaffine Industrie bietet zum Beispiel das Gelände des ehemaligen „Huckepack-Bahnhofs“ in Rothenburgsort herausragende Perspektiven. In Bahrenfeld und auf dem Gelände des UKE bieten sich ähnliche Chancen. Gehen wir solche Projekte entschlossen an!
Den Glauben an Bildung und Wissenschaft bewiesen im Übrigen schon die Vertreter der Commerzdeputation, als sie sich 1735 entschlossen, eine Bibliothek für die Kaufleute der Stadt zu gründen. So konnten wir im zu Ende gehenden Jahr nichts Geringeres als den 275. Geburtstag unserer Commerzbibliothek feiern. Mit dem gegenwärtigen Komplettumbau stellen wir die älteste Wirtschaftsbibliothek der Welt als moderne Bibliothek des 21. Jahrhunderts auf. Ich komme viertens zum Thema umweltgerechte Stadtentwicklung und Lebensqualität.
Unsere Hansestadt ist eine der wirtschaftlich erfolgreichsten Städte in Europa. Sie ist zu Recht im nächsten Jahr Europas Umwelthauptstadt. Diese Auffassung haben bis vor wenigen Tagen alle gesellschaftlichen Kräfte dieser Stadt vertreten. Nur mit Kopfschütteln kann ich den durchsichtigen Schwenk des BUND in dieser Frage quittieren. Mit dem Titel Umwelthauptstadt werden auch die seit den 90er-Jahren sehr hohen Investitionen der Hamburger Wirtschaft in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz gewürdigt. Unsere Umwelt-Partnerschaft Hamburg mit ihren mehr als 650 Mitgliedern und den seit 2003 erbrachten knapp 3000 freiwilligen Umweltleistungen zeigt das breite Engagement der Unternehmen eindrucksvoll auf. Die Auszeichnung als Umwelthauptstadt sehen wir aber zugleich als Chance für das internationale Marketing unseres Standortes.
Grüne Technologien „made in the European Green Capital Hamburg“ sollten im kommenden Jahr das Bild unserer Stadt in der Welt prägen. Eine Umweltzone oder gar die Erhebung einer City-Maut bilden demgegenüber nur grüne Symbolpolitik. Der Umwelt helfen sie so gut wie gar nicht, sie bedrohen aber die gewachsene City- und Einzelhandelsstruktur, die die Lebendigkeit unserer Metropole ausmacht. Hiermit darf nicht leichtfertig experimentiert werden.
Der Stärkung von Umwelt- und Klimaschutz dient dagegen zu Recht der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Hamburg braucht einen leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr – zumal als wachsende Metropole! Wenn objektive Probleme mit einer Stadtbahn-Trassenführung in Winterhude zu einem Stopp der Stadtbahnplanung führen, folgt zwingend, dass alternative Systeme und Trassierungen geprüft und auch das Bussystem optimiert werden müssen.
Darüber hinaus gilt es, nun alle Kraft auf die Verlängerung der S-Bahn nach Ahrensburg und der U-Bahn nach Wilhelmsburg zu legen, auch um mögliche Bundesmittel nach Hamburg zu holen. Allerdings muss auch der Hamburger Eigenanteil finanzpolitisch stets vertretbar bleiben.
Geht es bei diesen Projekten um die Lebensqualität für die Hamburger Bürger, so gilt es auch, Hamburg als gastfreundliche Stadt für unsere Gäste aus nah und fern zu entwickeln. Der Tourismus wird in diesem Jahr mit knapp neun Millionen Übernachtungen wieder einen neuen Rekord verzeichnen.
Dieser Zuspruch weckt fiskalische Begehrlichkeiten in Form der sogenannten Kulturtaxe. Die Einführung dieser Steuer ist rechtlich umstritten, sie würde dem Image der Stadt im Tourismus schaden und die Wettbewerbssituation der Hamburger Hotellerie belasten. Vor allem aber würde sie durch die vorgesehene Überprüfung der Reiseanlässe – ob privat oder geschäftlich – zu unzumutbaren Diskussionen an den Rezeptionen unserer Hotels führen. Unsere Handelskammer hat deshalb gemeinsam mit dem DEHOGA einen alternativen Vorschlag entwickelt, der eine freiwillige Abgabe der Hamburger Hotellerie pro Übernachtung vorsieht und unter ihrer Mitsprache Mittel für die zweckgebundene Förderung der kulturellen und touristischen Attraktivität unserer Stadt zur Verfügung stellt. Ich appelliere an die Vertreter der Großhotellerie, diesen Weg mit zu beschreiten, um Schaden vom Tourismus-Standort Hamburg abzuwehren. Zur Attraktivität der Stadt gehört ein exzellentes Kulturangebot. Die Hamburger Wirtschaft ist hier traditionell überdurchschnittlich engagiert.
Dies beweisen nicht zuletzt unsere Preisträger des KulturMerkurs für unternehmerische Kulturförderung, den wir gemeinsam mit der Hamburger Kulturstiftung in diesem Jahr zum zwölften Mal verliehen haben.
Natürlich gilt auch: Privates Engagement kann staatliche Strukturen und Förderung nicht ersetzen. Hier ist die Politik in der Pflicht. Gerade bei knappen Kassen muss der Senat Schwerpunkte auf der Grundlage eines kulturpolitischen Konzeptes setzen. Das Versäumnis, dies nicht zu tun, hat mit zur Verwirrung der letzten Zeit beigetragen. Wir brauchen endlich einen „Masterplan Kultur“! Von den Kulturschaffenden darf dabei erwartet werden, dass sie – bei gut gesetzten Rahmenbedingungen – alle Anstrengungen unternehmen, mit ihren Budgets effizient umzugehen. Kreativität, künstlerische Freiheit und Experimentierfreude sind Grundlage für kulturelles Wirken. Das darf aber kein Gegensatz zu effizientem Management und Kundenorientierung sein!
Wie die Kultur ist auch der Sport ein beachtenswerter Standortfaktor. Als Sportstadt erwacht ist Hamburg allerdings erst mit der 2001 einsetzenden Olympiabewerbung. Nachdem dieses Ziel nicht direkt erreichbar war, hat unsere Handelskammer in ihrem vor wenigen Wochen veröffentlichten Standpunktepapier „Auf Leistung setzen – der Sport als Wirtschaftsfaktor Hamburgs“ Wege aufgezeigt, wie wir die Sportstadt und die Sportwirtschaft weiter entwickeln können:
Dabei wollen wir die Sportwirtschaft auch mit der Einrichtung eines „Sportclusters Hamburg“ fördern. Unser langfristiges Ziel muss eine erfolgreiche Bewerbung um die nächsten nach Europa vergebenen Olympischen Sommerspiele sein, die wir in der dritten Dekade dieses Jahrhunderts – also zwischen 2020 und 2030 – erwarten. Um den Zuschlag zu erhalten, ist jahrelange Vorarbeit und Kontinuität im sportpolitischen Kurs der Stadt erforderlich. Dieser Kurs muss eingeschlagen und gehalten werden. Dann und nur dann werden wir einst die Früchte eines olympischen Sieges ernten können.
Zur Lebensqualität gehört für mich schließlich und unverzichtbar ein hohes Maß an innerer Sicherheit. Auch wenn die objektive Lage besser ist als noch vor zehn Jahren, wird zu Recht wieder verstärkt über die innere Sicherheit diskutiert. Dies hat seine Ursachen nicht zuletzt in sinnlosen Gewalttaten von Jugendlichen, in brennenden Autos und in zunehmenden Angriffen gegen Polizisten.
Auch die Politik in Hamburg muss sich fragen lassen, ob sie verfügbare Mittel für mehr Sicherheit tatsächlich nutzt und effektiv einsetzt. So hat Videoüberwachung erwiesenermaßen zu Erfolgen bei der Aufklärung gerade von Gewalttaten im öffentlichen Raum geführt. Trotzdem gibt es hier immer wieder Diskussionen über Standorte und Überwachungsanlässe.
Lassen Sie es mich deutlich sagen: Denjenigen, die bei Bemühungen um mehr innere Sicherheit reflexartig immer nur allein die Bürgerrechte in Gefahr sehen, sei erwidert: Auch das Recht auf Unversehrtheit ist ein Bürgerrecht!
Im Rückblick auf das Jahr 2010 danke ich dem Senat und seinen Präsidenten, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments, der Bürgerschaft und der Bezirksparlamente, den Behörden des Bundes und der Freien und Hansestadt Hamburg sowie den Organen der Justiz für die vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit im vergangenen Jahr.
Ich schließe in diesen Dank ebenso die Kirchen, das Konsularische Corps, die Bundeswehr, die Polizei, die Feuerwehr, die Verbände, die Kammern, die Gewerkschaften und die Medien ein. Ich danke all denen, die in guter hamburgischer Tradition mit Stiftungen, Spenden, Initiativen und Tatkraft unser Gemeinwesen gefördert und auch geholfen haben, soziale Nöte zu lindern.
Ich danke der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg für ihren Einsatz zu Gunsten ethischer Grundsätze in der Wirtschaft. Sie, lieber Herr Diehl, haben hier in den zehn Jahren Ihres Vorsitzes bleibende Zeichen gesetzt, die weit über Hamburg hinaus wahrgenommen werden. Dazu gehören nicht zuletzt die Erarbeitung des Leitbilds des Ehrbaren Kaufmanns und die intensive Kooperation mit unserer Hamburg School of Business Administration, um die Werte des Ehrbaren Kaufmanns auch in der Managementausbildung zu verankern. Dafür ganz herzlichen Dank!
Dem neuen Vorsitzenden, Herrn Christian Dyckerhoff, wünsche ich Erfolg und eine glückliche Hand.
Dass das große Engagement unserer Wirtschaftsjunioren auch über Hamburg hinaus zu Recht gewürdigt wird, das haben die Auszeichnungen unterstrichen, die unseren Junioren auf norddeutscher und auf Bundesebene einmal mehr für ihre Projekte zuteilwurden. Herzlichen Glückwunsch dazu!
Als Unternehmerin und Unternehmer in Hamburg sind Sie in den kommenden Wochen aufgerufen, das neue Plenum unserer Handelskammer zu wählen. Das Plenum ist Parlament und Sprachrohr der Hamburger Wirtschaft und es setzt den Kurs für die Arbeit unserer Handelskammer, die unabhängig von Partikularinteressen dem wirtschaftlichen Gesamtinteresse verpflichtet ist. Ich rufe deshalb unsere Mitglieder dazu auf: Nutzen Sie Ihre Stimme!
Die Bürgerinnen und Bürger Hamburgs sind mit ihrer Stimme ebenfalls aufgerufen, in sieben Wochen das neue Landesparlament zu wählen. Ich appelliere von dieser Stelle aus an alle Wahlberechtigen: Nutzen Sie Ihr Wahlrecht als eines der wichtigsten demokratischen Grundrechte. Ich appelliere darüber hinaus an unsere Politiker und Parteien: Führen Sie einen sachorientierten und fairen Wahlkampf! Behalten Sie im politischen Wettbewerb immer auch die zentralen Fragen der Zukunftsfähigkeit unserer Stadt im Blick!
Beim Blick auf die Zukunft sollten wir uns an den Worten von Sir Karl Popper orientieren, die da lauten: „Unsere Einstellung der Zukunft gegenüber muss sein: Wir sind jetzt verantwortlich für das, was in der Zukunft geschieht.“ Tatkraft und Optimismus sind deshalb gefordert, um Chancen zu ergreifen und Risiken in den Griff zu bekommen.
Es gilt zu verhindern, dass sich in unserem Land eine „Kultur des Dagegenseins“ entwickelt. Wir müssen vielmehr – orientiert am Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft – die notwendigen Weichenstellungen vornehmen, die unseren Wohlstand und unsere Lebensqualität sichern.
Zum wirtschaftlichen Erfolg gehört zwingend aber zugleich unser aller Einsatz, um die soziale Balance zu wahren und um Chancengerechtigkeit zu ermöglichen. Lassen wir uns in unserem Tun auch von dem Ratschlag des römischen Philosophen Seneca leiten: „Es ist nicht wenig Zeit, die wir zur Verfügung haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.“
Nutzen wir deshalb unsere Zeit! Seien wir als Hamburger Kaufleute Vorbild an unternehmerischer Tatkraft, an sozialer Verantwortung und an gesellschaftlichem Engagement.
Ich wünsche Ihnen allen ein gesundes, erfolgreiches und friedvolles Jahr 2011.