Andreas Jacobs lenkt die Jacobs Holding. Berühmt wurde das Unternehmen durch Kaffee. Heute setzt der Erbe auf andere Geschäfte
Hamburg. Sein Büro ist nie geschlossen. Laptop und Blackberry, viel mehr, sagt der umtriebige Unternehmer, brauche er nicht, um die Geschicke seiner Holding zu lenken. Egal wo er ist. Und er ist oft woanders, ganz weit weg. In den letzten Wochen führten ihn Geschäftsreisen nach China, Vietnam, Kambodscha, Südafrika, England, in die USA. Und immer wieder in die Schweiz zum Hauptsitz der Jacobs AG. Mit Fußballfachmann Günter Netzer hat er in seinen letzten Geburtstag hineingefeiert, mit Werder Bremens Manager Klaus Allofs teilt er sich ein Rennpferd, mit Philipp Lahm kümmert er sich um eine Kinderstiftung in Afrika.
Seinen Wohnort Hamburg sieht er selten. Und Urlaub macht er kaum mal zwei Wochen am Stück. Wenn doch, dann checke er trotzdem täglich die Mails, sagt der Mann, der Familienvater, Vielflieger und als Großunternehmer Herr über Tausende Mitarbeiter ist, die Milliardenumsätze machen: Andreas Jacobs, 47, abwägender und analysierender Global Player, hat vor sieben Jahren die Zügel des legendären Jacobs-Clans, berühmt vor allem durch Kaffee Krönung, in die Hand genommen. Das gar nicht so verflixte siebte Jahr, das sich dem Ende neigt, habe er gut über die Runden gekriegt, sagt er.
Am Zeitarbeitsunternehmen Adecco, in 60 Ländern aktiv, 30 000 Mitarbeiter und weltgrößter Anbieter von Personaldienstleistungen, ist die Jacobs Holding ebenso beteiligt (mit 18,62 Prozent) wie an Barry Callebaut (50,11 Prozent). Die Schweizer Aktiengesellschaft, 7500 Mitarbeiter in 26 Ländern, ist der weltweit führende Hersteller von Kakao- und Schokoladenprodukten. An der Sportmarketingagentur Infront, Überträger der Fußball-Weltmeisterschaften und vieler anderer sportlicher Großereignisse, deren Gesicht, Teilhaber und Verwaltungsratmitglied Günter Netzer ist und deren 500 Mitarbeiter in 24 Niederlassungen und quer über den Globus verstreut arbeiten, besitzt Jacobs 58,40 Prozent.
Nach sieben Jahren an der Spitze der Holding, zu der auch eine Pferdezucht in England und eine Rinder- und Schafzuchtfarm in Argentinien gehören, ist es Zeit für eine Zwischenbilanz, für einen Rückblick und Ausblick. Für das Abendblatt schaufelte sich Andreas Jacobs, der einen älteren Bruder, vier Stiefgeschwister und gemeinsam mit seiner Ehefrau Natalie vier Kinder hat, Termine frei. Für Treffen auf der Galopprennbahn Iffezheim bei Baden-Baden, die er unlängst gekauft hat. Auf dem Familiengestüt Fährhof zwischen Hamburg und Bremen, wo er manchmal mit der Familie verweilt. In seinem Hamburger Büro und in der Schokoladenfabrik in Norderstedt.
Wie er sich selbst als Big Boss sieht? "Ich bin gerne am Ort des Geschehens. Da, wo der Ball rollt. Aber ich bin nicht das klassische Alphatier", sagt Andreas Jacobs und blickt nachdenklich auf den kahlen Baum vor dem Fenster, in dem eine Krähe hockt und aufgeplustert auf die Straße blickt. "Ich bin der Dirigent, der die anderen spielen lässt. Ich beobachte, höre zu und halte mich gerne im Hintergrund. Ich habe Vertrauen in mein Orchester."
Eigenes Geld hat er schon früh selbst verdient. In seiner Geburtsstadt Bremen habe er an vielen Vormittagen die Schule geschwänzt und mit Kumpels Straßenmusik gemacht. Mit Horn und Cello. Und mit der Furcht im Nacken, dass ihnen die Mütter auf die Schliche kommen, Bekannte oder Verwandte sie wegen der Schulschwänzerei verpetzten könnten.
"In zwei, drei Stunden hatten wir meist über hundert Mark im Hut", erinnert sich der Hamburger Unternehmer, dessen Vorgänger und Vater Klaus J. Jacobs einer der reichsten und bekanntesten (Jacobs-Suchard) Industriellen war und im Jahr 2006 der International University Bremen 200 Millionen Euro spendete. So viel Geld hatte bis dahin noch kein europäischer Privatmann einer Hochschule übereignet. 2008 verstarb Klaus J. Jacobs im Alter von 71 Jahren an einem Hirntumor.
Ein verwöhntes Millionärssöhnchen war Andreas trotz seines Elternhauses nicht. "Im Staatsorchester Bremen habe ich manchmal als Aushilfe gespielt, als Hornist. Und Cello meist in Kirchen", sagt der erstaunlich bodenständig gebliebene Kaffeeerbe und Kakaokrösus. Er mache gerne Fahrradausflüge mit seinen Kindern ins Hamburger Umland, sagt er.
Und in seiner eigenen Familie sei jemand anderes der Chef. Er trägt Seitenscheitel, Anzug und keine Krawatte. Die Stimme ist leise, die Hände sind gepflegt, die Lippen und das Gesicht schmal. Die Augen suchen Blickkontakt mit dem Gegenüber. Den Führerschein hat er mit 16 gemacht. Sein Großvater schenkte ihm das erste Auto, einen gebrauchten VW Kombi 1600. Sprit, Unterhalt und Versicherung hat er vor allem mit den Musikeinnahmen finanziert, sagt er.
Als Student wohnte er in WG-Zimmern, trug Klamotten von der Stange
Der dominante Vater, Familienpatriarch und Großunternehmer alter Schule, der sich, als Andreas elf Jahre alt war, von der Familie trennte, von Bremen in die Schweiz zog und neu heiratete, hat ihn weder in einen goldenen Käfig gesperrt noch ihm eine goldene Brücke gebaut. Nach dem Abitur (Notendurchschnitt 2,3) und dem Grundwehrdienst bei den "Stoppelhopsern" - Jägereinheiten in Flensburg und in der Nähe Bremens, zahlte der Vater seinem Zweitältesten nur 1000 Mark Unterhalt im Monat.
Damit konnte der Industriellensohn während des Jurastudiums "in der für mich damals großen, weiten Welt", wie er sagt, in Freiburg, München und Montpellier keine allzu großen Sprünge machen. Er wohnte in WG-Zimmern, kleidete sich mit Klamotten von der Stange, fuhr mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln. Viele seiner Kommilitonen wussten gar nicht, dass er der Jacobs war, der Sohn des steinreichen Kaffeerösters.
"An meinem 21. Geburtstag schickte mir Vater einen Brief", erinnert er sich, Tee (nicht Kaffee) trinkend in seinem Dachgeschossbüro in Hamburg-Harvestehude sitzend. Das Bürohaus in der Heimhuder Straße wurde gerade mit dem Prädikat "Hamburgs schönste Fassade 2010" ausgezeichnet. Unweit, in Alsternähe, bewohnt Andreas Jacobs mit seiner Frau Natalie, gelernte Physiotherapeutin, und mit den vier Kindern, 16, 14, neun und sieben Jahre alt, eine Stadtvilla. Der älteste Sohn besucht ein Internat in England, die anderen drei Sprösslinge gehen in Hamburg zur Schule: "Herzlichen Glückwunsch. Jetzt bist du alt genug und kannst dich von nun an selber finanzieren, schrieb mir Vater kurz und knapp zum Geburtstag. Zum Glück sprang Großvater als mein Studiensponsor ein."
Andreas Jacobs zog die Jurasemester stramm durch, promovierte, machte mit 26 in Fontainebleau den MBA-Abschluss und hatte danach keine Lust, in einer Anwaltskanzlei und schon gar nicht in einem Unternehmen seines Übervaters zu arbeiten. "Mein Ziel war es schon immer, in die Wirtschaft zu gehen, und das Jurastudium sah ich als geeignetes Basisprogramm dafür", sagt er. "Ich wusste, dass ich außerhalb der Familienunternehmen meinen eigenen Weg gehen, meinen Erfolg suchen und mein Glücklichsein finden musste."
Bei der Unternehmensberatung Boston Consulting betrug sein erstes Jahresgehalt 120.000 Mark. Nach zwei Jahren meinte der Vater zum Sohn, es sei an der Zeit, eine eigene Firma zu übernehmen. Nach drei Jahren bei Boston Consulting fühlte Andreas Jacobs sich fit, um im Firmenkonglomerat des Vaters, der Jacobs-Suchard zwischenzeitlich mit dem Kaffeegeschäft für einen Milliardenbetrag an Philip Morris verkauft hatte, erste Schritte zu machen.
Klaus J. Jacobs übertrug dem Sohn ein Kaffeeunternehmen in Kanada. "Das war klein, mit 150 Mitarbeitern. Die Arbeit hat mir Spaß gemacht", sagt Andreas Jacobs. Später verkaufte er die Firma. Zudem bekam er vorzeitig das Erbe ausbezahlt - mehrere Hundert Millionen Schweizer Franken.
Er sanierte Unternehmen, verkaufte sie meist mit Gewinn
Der Jungunternehmer begann in Europa "Firmen, die durch Pleiten, Pech und Pannen in Schieflage geraten waren", zu übernehmen. Keine kostete über zehn Millionen Mark. So schaffte der schlingernde Fischverarbeiter Deutsche See mit Investor Andreas Jacobs rechtzeitig die Wende. Er sanierte und verkaufte die Unternehmen meist mit Gewinn. Eine Firma, Minibar Systems, die viele ihrer Minihotelkühlschränke in chinesischen Fabriken produziert, besitzt er noch heute.
Doch auch vor Rückschlägen war Andreas Jacobs nicht gefeit: Mit der Schuhkette Pasito machte er "kein besonders gutes Geschäft", sagt er. Die Fassadenbaufirma Schmidlin schlitterte sogar in den Konkurs. 300 Mitarbeiter verloren ihren Job. "Das war ein großer Fehler", resümiert Andreas Jacobs. 2004 löste Andreas Jacobs seinen zwei Jahre älteren Bruder Christian in der obersten Verantwortung der Holding ab. Der Bruder hatte sich als Holdingchef ein paar umstrittene Entscheidungen geleistet.
"Es läuft momentan alles recht rund. Doch die Zeit der Finanzkrise war auch für mich hart, teilweise gingen unsere Umsätze um 30 Prozent zurück. Ich machte mir Sorgen, konnte so manche Nacht nicht schlafen. Und wenn das der Fall ist, geht es mir mies. Richtig mies", sagt der Unternehmer und greift nach einer Praline aus eigener Herstellung. Gönnt er sich eigentlich ab und zu mal eine Tasse Jacobs Krönung? "Ich trinke lieber Tee, seltener Kaffee. Aber wenn, dann darf es schon mal die Krönung sein. Muss es aber nicht."
Die Geschäfte brummen längst wieder. Weitere Expansionen stehen an. "Die Welt ist immer wieder neu im Aufbruch", sagt Andreas Jacobs. "Es gibt für die Holding noch viele Länder zu erobern. Ich bleibe am Ball." Auf seiner letzten Asienreise habe ihn das "quirlig-dynamische" Vietnam schwer beeindruckt. Er sieht dort Marktlücken. Er hat vor, sie auszufüllen. Erst mal mit Schokolade und Zeitarbeit.