Nach 44 Jahren SPD-Herrschaft bringt Ole von Beust die CDU 2001 an die Macht. Er prägte die Hansestadt fast ein Jahrzehnt.
Es war ein Start mit fremder Hilfe. Die CDU hat die Macht im Rathaus kurz nach der Jahrtausendwende nicht aus eigener Stärke erobert. Im Gegenteil: Ole von Beust wurde 2001 mit dem zweitschlechtesten Wahlergebnis der CDU Erster Bürgermeister. Möglich war der Regierungswechsel nach 44 Jahren SPD-Herrschaft nur aufgrund eines Machtkalküls des Spitzenkandidaten von Beust: Die Union ließ sich mit den Populisten um Ronald Schill ein, der aus dem Stand fast 20 Prozent der Wählerstimmen holte. Von Beust wurde Bürgermeister von Schills Gnaden.
Die Christdemokraten gewannen erst als Regierungspartei Statur, auch dank der Abgrenzung als seriöse Alternative gegenüber den bisweilen operettenhaften, ja burlesken Auftritten der Schill-Leute und des dritten Koalitionspartners FDP. Die absolute Mehrheit der CDU 2004 im "roten" Hamburg nach dem Rauswurf von Schill und dem Bruch der Koalition war die historische Leistung vor allem von Ole von Beust.
Noch einmal passte der erste Christdemokrat den Kurs der CDU der veränderten Lage an und setzte 2008 das schwarz-grüne Bündnis durch. Doch jetzt - am Ende des Jahrzehnts und nach der Demission des langjährigen Erfolgsgaranten - scheint die Macht den Von-Beust-Erben wie Sand zwischen den Fingern zu zerrinnen. Die CDU wirkt nach dem Bruch des schwarz-grünen Bündnisses durch die GAL personell ausgelaugt, inhaltlich orientierungslos und verunsichert.
Dennoch: Eine Dekade der CDU an den Schalthebeln der Macht ist zu besichtigen. Geprägt wurden die Jahre vom besonderen Verhältnis zwischen der Partei und Ole von Beust, zwischen dem lange unumstrittenen Star und dem Ensemble gewissermaßen. Aber: Ein ausgesprochen liberaler Christdemokrat gab hier einer in Teilen viel konservativeren Partei den Kurs vor.
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Unabhängigkeit war schon früh das Markenzeichen von Beusts gewesen. In die üblichen Parteischemata ließ er sich nur schwer pressen. Er war der geduldete Nonkonformist in einer konformistischen Partei. Er setzte sich für den Betrieb von Fixerstuben ein, als andere in der CDU vor dem Schreckgespenst des "Staats als Dealer" warnten. Und von Beust hatte als einer der ersten Christdemokraten bundesweit seine Fühler in Richtung der Grünen ausgesteckt. Früh sprach er von Deutschland als Einwanderungsland und trat für die Integration ein. Es war die Idee einer modernen, liberalen Großstadtpolitik für Hamburg, die ihn antrieb.
Und dann Schill, der für einen eher anti-liberalen Kurs stand. Eine gewisse inhaltliche Beliebigkeit war von Beust also nicht abzusprechen. Der "nette Ole", wie er genannt wurde, galt gerade nicht als kaltschnäuziger Machtpolitiker, er war nicht einmal durch Karrierestreben aufgefallen. Doch jetzt griff er entschlossen zu, überzeugte sogar die anfangs widerstrebende FDP, sich mit Schill einzulassen. Viele hatten Ole von Beust nicht den Biss zugetraut, den es in Spitzenämtern braucht. Rückblickend sagte er einmal sinngemäß und nur halb im Scherz, dass die CDU damals so verzweifelt war, dass sie jemandem wie ihm erst den Fraktionsvorsitz und dann die Spitzenkandidatur antrug. Schon zu Beginn seiner politischen Karriere, in den Zeiten bei der Jungen Union, hatte er die Fähigkeit, gegen ihn gerichtete Stimmungen zu drehen. Langjährige Weggefährten erinnern sich an seinen Spitznamen von damals: der Zauberer. In dieser Bezeichnung schwingt Bewunderung ebenso mit wie Misstrauen und Distanz. Im Grunde war es so bis kurz vor seinem Rücktritt als Bürgermeister am 18. Juli 2010: Zauberer von Beust konnte fast alles durchsetzen, einschließlich der für die CDU harten Kompromisse bei den schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen im Frühjahr 2008. Die Unions-Basis mag gemurrt haben, aber aufgemuckt hat sie nicht gegen von Beust - solange der Erfolg da war und er selbst als der personifizierte Erfolg.
Dieser Erfolg hatte sich nach der Regierungsübernahme 2001 eingestellt. Zwar war der Start holprig - drei Monate lang fand von Beust keine Kultursenatorin. Aber während sich die Schill-Truppe immer neue Eskapaden leistete, lieferte die Union eine weitgehend solide Regierungsleistung ab. Das lag an dem Team erfahrener Politiker und langjähriger Weggefährten, die von Beust um sich geschart hatte: Wolfgang Peiner als Finanzsenator, Birgit Schnieber-Jastram (Soziales), Gunnar Uldall (Wirtschaft) und Michael Freytag als Fraktionschef in der Bürgerschaft.
Entscheidend war jedoch, dass Ole von Beust mit seinem eher präsidialen Regierungsstil der Stadt ein Angebot machte, das in die Jahre nach der SPD-Ära mit ihrer Erstarrung und Machtarroganz passte: zurückhaltend, unverkrampft und locker, mit Distanz zur eigenen Bedeutung, den Bürgern zugewandt und ein Stück weit überparteilich. Ein Beispiel: Der "rote Filz" hatte im Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt. Doch jetzt räumte von Beust etwa nicht in den Behörden auf und setzte eigene Leute an die Stelle von Sozialdemokraten. Stattdessen sprach von Beust von einem "Vertrauensvorschuss" für Beamte mit rotem Parteibuch und holte mit Klaus Meister einen Sozialdemokraten sogar als Staatsrat in die Sozialbehörde. Die CDU-Basis schäumte, hielt aber - wieder einmal - den Mund. Und die SPD biss sich an diesem Bürgermeister, der ihr wenig Angriffsfläche bot, die Zähne aus.
Scheinbar stoisch ertrug von Beust die immer irrwitzigeren Eskapaden und Inszenierungen eines Ronald Schill. Mal hielt der Innensenator eine revanchistische Rede im Bundestag und blamierte Hamburg, mal legte er sich aus niedrigem Anlass mit den Kirchen an. Ganz nebenbei ließ Schill mit großem öffentlichen Getöse eine Haarprobe nehmen, nachdem der Vorwurf laut geworden war, er habe Kokain konsumiert. Doch das Aus kam jäh, und es zeigte die andere Seite des "netten Ole". Weil von Beust Schills Staatsrat Walter Wellinghausen wegen unerlaubter Nebentätigkeiten entlassen wollte, hatte der Innensenator nach Angaben von Beusts damit gedroht, dessen angebliche Liaison mit Justizsenator Roger Kusch (CDU) öffentlich zu machen. Eine Viertelstunde nach dem Vier-Augen-Gespräch flog Schill hochkant aus dem Senat. Von Beust hatte mit erheblichem persönlichen Risiko kurzen Prozess mit dem irrlichternden Politiker gemacht. Der Erste Bürgermeister wirft den Zweiten raus: Einen solchen Showdown in der Politik hatte die Republik noch nicht erlebt.
Von Beust erwies sich schnell nicht nur als der moralische Sieger, Schill stellte sich selbst ins Abseits. Der CDU-Mann hatte, so sahen es viele, Glaubwürdigkeit und persönliche Integrität über politisch-rationales, auf den Machterhalt gerichtetes Handeln gestellt. Das war der Trumpf, mit dem von Beust in den nächsten Jahren wucherte. Nachdem er auch den liberalen Schulsenator Rudolf Lange entlassen musste und in der Schill-Partei die internen Machtkämpfe immer heftiger wurden, sprach von Beust "Jetzt ist finito" und rief Neuwahlen aus.
Nie hatte von Beust zuvor seine Homosexualität öffentlich gemacht, dank Schill wussten es nun alle in der Stadt. Kusch und von Beust waren Freunde seit Studienzeiten, nicht mehr, versicherten beide. (Randnotiz: Im März 2006 wirft von Beust auch seinen Freund nach diversen Alleingängen aus dem Senat. Begründung: Verlust des Grundvertrauens. Dieser Bürgermeister war personalpolitisch wahrlich nicht zimperlich.)
Das paradoxe Ergebnis des Zwangs-Outings: Hamburg wollte offensichtlich einen schwulen Bürgermeister - noch dazu einen mit CDU-Parteibuch. Der folgende Wahlkampf war ganz auf Ole von Beust zugeschnitten. Die absolute Mehrheit der CDU im Februar 2004 war der Erfolg von Beusts, sie war - in einer Stadt mit einer strukturellen linken Mehrheit - sein politisches Meisterstück.
Was tat von Beust im Augenblick des Triumphs? Er holte mit Udo Nagel (Inneres), Alexandra Dinges-Dierig (Schule) und Karin von Welck (Kultur) gleich drei Parteilose in seinen Senat. Manch Karriereplan in der CDU blieb selbst in Zeiten absoluter Mehrheit ein Blütentraum. Der Bürgermeister machte es seiner Partei nicht leicht. Von Beust wusste, dass die CDU nur an der Macht bleiben würde, solange sie Angebote an diejenigen machte, die normalerweise nicht CDU wählen würden. Aber er machte auch klassische CDU-Privatisierungspolitik: Er setzte sich mit dem Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser an die Asklepios-Kliniken über einen Volksentscheid hinweg. Der Coup, die Deutsche Bahn bei der HHLA einsteigen zu lassen, scheiterte allerdings grandios und sorgte für Ernüchterung. Die groß angelegte Verwaltungsreform wurde wegen des Widerstands aus den Bezirken am Ende mehr ein Reförmchen, da erging es dem Von-Beust-Senat nicht anders als vielen seiner Vorgänger. In den großen Infrastrukturfragen wie der Elbvertiefung setzte die CDU im Wesentlichen die SPD-Politik fort. Bei der Rettung des Traditionsunternehmens Hapag-Lloyd gab es ebenso eine breite Mehrheit wie bei der dramatischen Rettungsaktion für die skandalträchtige HSH Nordbank. Es ist das Verdienst der Union, vor allem von Wolfgang Peiner, mit dem Konzept der Wachsenden Stadt ein Aufbruchssignal gesetzt zu haben, auf das sogar die Sozialdemokraten neidisch waren. Nicht ganz freiwillig am Anfang, dann aber entschlossen, haben die CDU-Senate die Kinderbetreuung ausgebaut. Die Elbphilharmonie wäre wohl auch unter einem SPD-Bürgermeister gebaut worden. Es bleibt allerdings der feste Eindruck, dass zumindest in der Startphase des Projekts die behördlichen Auftraggeber und Kontrolleure allzu harmlos gegenüber den ausgebufften Bau-Leuten von Hochtief waren.
Dass die Union ihre absolute Mehrheit 2008 nicht würde halten können, war von Beust immer klar. Sein Plan B zum Machterhalt lautete Schwarz-Grün. Er war zu weitreichenden Kompromissen bereit und setzte sie in der CDU durch. Der Zauberer von Beust trat noch einmal in Aktion. Am folgenreichsten war der Schritt hin zum längeren gemeinsamen Lernen mit der sechsjährigen Primarschule, die gegen die schulpolitische Grundüberzeugung der Union gerichtet war.
Doch von Beust, der die Primarschule zu seiner persönlichen Angelegenheit machte, hatte sich verschätzt: Es gab keine Mehrheit für die Reform in der Stadt - gegen die Kritiker in den eigenen Reihen. Das Ortungssystem des Bauchpolitikers von Beust, der Stimmungen in der Bevölkerung lange exakt taxieren konnte, hatte versagt.
Zugleich waren die Abnutzungserscheinungen des Bürgermeisters nach fast neun Jahren im Amt unübersehbar. Er mutete seiner Partei einen quälend langen, die Stadt lähmenden Entscheidungsprozess über seine politische Zukunft zu. Dabei war es längst klar: Er wollte, er konnte wohl auch nicht mehr.
Mit dem Abgang des Architekten von Schwarz-Grün war auch das Schicksal dieses historisch einmaligen Bündnisses besiegelt. Was offensichtlich doch nicht zusammengehörte, strebte nun erkennbar auseinander.
Zwar rauften sich die Grünen noch einmal zusammen und wählten Christoph Ahlhaus zum Nachfolger. Doch schon dessen Senatsbildung war aus grüner Sicht misslungen. Es hakte plötzlich an allen Ecken und Enden dieses zuvor als harmonisch geltenden Bündnisses. Als Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) wegen seiner Verstrickung in eine Jahre zurückliegende Finanzaffäre der rheinland-pfälzischen CDU zurücktrat, war für die GAL der Zeitpunkt zum Ausstieg gekommen. Es war nur der Anlass angesichts einer rapide zunehmenden Entfremdung.
Ob sich die Dekade an der Macht für die CDU auszahlen wird, entscheidet sich am 20. Februar, wenn die Wähler das Wort haben. So viel ist klar: Einen kühlen Strategen und kühnen Visionär, der über die engen Parteigrenzen hinweg denkt wie von Beust, hat die CDU nicht mehr. Ahlhaus und Partei- und Fraktionschef Frank Schira wollen die Union mit ihrer konservativen Kernwählerschaft versöhnen. Das klingt stark nach Opposition angesichts des CDU-Potenzials und einer sehr erstarkten SPD. Eine moderne, liberale Großstadtpartei, wie sie von Beust vorschwebte, hätte den Sozialdemokraten auf Dauer gefährlich werden können.