Er hat sich nie verbiegen lassen. Heute wird der Filmstar, Maler und Musiker 80. Die Berlinale schenkt ihm den Goldenen Ehrenbären 2011.
Berlin. Armin Mueller-Stahl hat sich nie verbiegen lassen, weder vom DDR-Regime noch von anderen Regisseuren. Am Freitag wird der Filmstar, Maler und Musiker 80 Jahre alt. Pünktlich zu diesem Tag gibt der Direktor der Berlinale, Dieter Kosslick, bekannt: Armin Mueller-Stahl wird bei den 61. Internationalen Filmfestspielen in Berlin im kommenden Februar mit dem Goldenen Ehrenbären ausgezeichnet. Die Berlinale freue sich, diesem außergewöhnlichen Künstler die Auszeichnung für sein Lebenswerk zu überreichen, sagte Kosslick. Mueller-Stahl sei einer der großen deutschen Stars mit Weltruhm. Der vielfach ausgezeichnete Darsteller habe in seiner mehr als 50-jährigen Laufbahn die unterschiedlichsten Charaktere gespielt und mit namhaften Regisseuren wie Constantin Costa-Gavras, Andrzej Wajda, Jim Jarmusch und Steven Soderbergh zusammengearbeitet.
Mueller-Stahl hatte Rollen in Filmen wie „Nackt unter Wölfen“ (1963), „Jakob der Lügner“ (1974), „Music Box“ (1989) und „Shine“ (1996). Im Jahr 2003 wurde er für seine Rolle als Thomas Mann in Heinrich Breloers TV-Mehrteiler „Die Manns - ein Jahrhundertroman“ mit dem Adolf-Grimme-Preis geehrt. Auf der Leinwand war er zuletzt in der Bestseller-Verfilmung „Illuminati“ (2009) von Ron Howard zu sehen.
Mueller-Stahl war bereits mehrfach Gast der Berlinale: 1992 erhielt er für seine Darstellung in „Utz“ einen Silbernen Bären, 1997 wurde er mit der Berlinale Kamera geehrt. 2006 war der Schauspieler, bildende Künstler und Musiker Mitglied der Internationalen Jury. 2009 war er mit dem Eröffnungsfilm „The International“ von Tom Tykwer im Wettbewerb vertreten. Die 61. Berlinale läuft vom 10. bis 20. Februar. (dpa)
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Muellers Stahl: Einer, der sich nicht verbiegen lässt
Ein Weltstar und doch so bescheiden. Armin Mueller-Stahl ist durch den Seiteneingang gekommen, und nun steht er fast ein bisschen verloren im weiträumigen Foyer des Radisson-Hotels in Lübeck. Fester Händedruck, direkter Blickkontakt, gewinnendes Lächeln. Eigentlich wollte er partout kein Interview geben vor seinem 80. Geburtstag heute. Warum er für das Hamburger Abendblatt eine Ausnahme macht, gibt der Schauspieler erst am Ende des Gesprächs preis. Es gibt Tage ...
Er sei sehr gern gekommen, sagt Mueller-Stahl. Mit seinem Privatwagen aus seinem Wohnort an der Ostsee, rund 30 Kilometer vor den Toren der Hansestadt. Eine Dreiviertelstunde, kaum Glatteis, alles prima. Ohnehin wolle er kein Aufhebens um seinen Geburtstag machen. Ein Essen im kleinen Kreis, das soll's dann auch gewesen sein. Eine große Feier habe es zum 75. in Leipzig gegeben. Im Gewandhaus, mit allem Drum und Dran. Im Mittelpunkt stehen? Nein danke. Erstaunlich für einen, dessen Gesicht hierzulande praktisch jeder kennt.
So steuert AMS, wie Freunde und Kollegen ihn nennen, auch nicht das gut besuchte Café, sondern die mittags eigentlich geschlossene Hotelbar an - vis-à-vis des Holstentors. Eine Kleinigkeit zu essen, Kuchen, Kaffee? Armin Mueller-Stahl grüßt den Kellner höflich, ordert einen Pfefferminztee und lässt das dazu gereichte Gebäck links liegen. Umso mehr reizt das Auftaktthema: "Es gibt Tage ..." Mit dem vor knapp einem Monat unter diesem Titel präsentierten Album gab der gebürtige Ostpreuße sein Debüt als Sänger. Manches der Lieder über eine längst vergangene Epoche wirkt heute noch so aktuell wie vor 45 Jahren, als er sie schrieb. Die Texte erzählen Teile seiner eigenen Geschichte.
Praktisch zeitgleich veröffentlichte AMS das Werk "Die Jahre werden schneller" mit Liedern und Gedichten aus mehreren Jahrzehnten. Diese Autobiografie handelt von Herzenssachen, von den Plagen der Menschheit wie Armut, Krieg, skrupellosen Politikern, von Erfolgen und Niederlagen eines Künstlerlebens. Aber auch von Sternstunden im Rampenlicht und Nächten des Selbstzweifels.
Vielleicht werden noch weitere Lieder folgen: "Meine Frau wollte, dass ich noch mal meine alten Lieder singe. Es gibt noch viel Stoff." Vor 45 Jahren in der DDR habe er intensiv gedichtet und Tagebücher gezeichnet. Auch um die Probleme im Arbeiter- und Bauernstaat zu verarbeiten. Aus diesem Fundus könne er weiter schöpfen. Können, keinesfalls müssen. Schön muss diese Freiheit sein für einen Künstler mit vier Begabungen.
Warum startet einer mit 80 noch mal so richtig durch? "Es bringt mir Spaß und Erfüllung", entgegnet er bedächtig, nippt an seinem Tee und fährt fort: "Ich brauche Freiheit in meinem Umfeld, um mich entfalten zu können." Und genau diese Freiheit habe er sich in den letzten zehn Jahren erarbeitet. "Ursprünglich hat bei mir die Schauspielerei dominiert, dann kamen Malerei und Musik hinzu." Bei einem Neubeginn seiner Karriere würde er es heute in umgekehrter Reihenfolge machen.
Den fragenden Blick beantwortet Deutschlands renommiertester Charakterdarsteller mit einem Plädoyer für die Möglichkeiten der Musik: "Weil sie als Kunstrichtung zwar flüchtig, aber nach vielen Jahren und ein paar Tönen wieder präsent ist - mit allen früher damit verbundenen Gefühlen." Wie auch beim Zeichnen sei man selbst der Regisseur, habe keine Verbote, sondern alle Freiheiten. "Da hängt keiner an deinen Beinen und zieht dich herunter." Als Schauspieler, sagt Mueller-Stahl, "habe ich mich mehr in Fesseln gefühlt." Fünf Jahre auf der Bühne hätten eigentlich ausgereicht.
Das überrascht nun wirklich. Weil diese Worte von einem der ganz wenigen deutschen Stars auf dem internationalen Filmparkett stammen. In seiner über 50 Jahre andauernden Laufbahn gab der Mann mit den stahlblauen Augen unterschiedlichsten Figuren Gestalt. Er brillierte als Thomas Mann in der Fernsehserie "Die Manns" ebenso wie in "Tödliche Versprechen" als freundlich diabolischer Boss der britischen Russenmafia. Insgesamt verlieh AMS rund 90 Kino- und Fernsehfilmen Charakter und Gesicht.
Plötzlich saß der Deutsche in Hollywood und sprach wenig Englisch
Erst im Alter von annähernd 60 Jahren hatte er den Sprung nach Hollywood gewagt - nach erfolgreichen Karrieren in der DDR und, seit der Übersiedelung 1980, auch in der Bundesrepublik. "Dies war ein großes Risiko", meint er heute. "Plötzlich saß ich in Los Angeles, sprach nicht gut Englisch und wagte einen Sprung ins Neuland." Nachdenklich blickt er durch das Panoramafenster in den wolkenverhangenen Himmel. "Ich habe mir gesagt: Armin, was willst du hier? Verrückt das Ganze." Zumal er zuvor die Rolle als Fernseh-Kommissar in "Der Alte" abgesagt hatte. Wie auch den Einsatz als Professor Brinkmann in der "Schwarzwaldklinik". Der Grund? Mit Ehefrau Gabriele, einer Hautärztin, habe er das Drehbuch der Serie gelesen, die dann mit Klausjürgen Wussow so populär wurde. Gemeinsames Fazit: "Flach wie eine Pfütze." Bei diesen Worten muss er lächeln. Es ist ein Ausdruck zwischen Zurückhaltung und Optimismus, und auch voller Weisheit. Keine Frage: Dieser Man weiß, was er geleistet hat und was er darstellt, doch ist er auf dem Boden geblieben.
"Eigentlich habe ich vier unterschiedliche Systeme überstanden", meint er rückblickend: Den Naziterror, das SED-Regime, die westdeutsche Demokratie und zuletzt die Glamourwelt Hollywoods. Armin Mueller-Stahl spielte an der Seite von Nicole Kidman und George Clooney ("Projekt: Peacemaker"), Robin Williams ("Jakob der Lügner") und Michael Douglas ("The Game"), besitzt neben der deutschen auch die US-Staatsbürgerschaft und hält sich einen Teil des Jahres in Kalifornien auf. "In den USA wird man nicht gleich in eine Ecke gestellt", sagt er. "In Deutschland wird ein zweites Talent nicht gern gesehen, da kommt leicht Neid auf."
Er schätze diese gleichfalls prominenten amerikanischen Kollegen grundsätzlich sehr. Punkt. "In meinem Alter verspürt man aber keine große Bewunderung mehr", sagt AMS nach einem weiteren Schluck Pfefferminztee. In Deutschland würden Persönlichkeiten aus den USA zu oft mit einer Verbeugung begrüßt. Dies sei verkehrt. Er bewundere grundsätzlich nur Menschen, "die eine Haltung haben, die im Leben klar Position beziehen".
Nach einer kurzen Pause kommt AMS auf seine Anfänge in der damaligen DDR zu sprechen. Der Bruch mit dem SED-System sei schon ein Jahr vor der Unterzeichnung einer Protestresolution gegen die Ausbürgerung des regimekritischen Liedermachers Wolf Biermann 1976 erfolgt. 1975 war das, als er die Rolle als Kundschafter Achim Detjen in "Das unsichtbare Visier" ablehnte. "Die Konsequenzen waren klar", sagt er leise. Es gibt eben Tage ...
1993, 13 Jahre nach dem Wechsel von West nach Ost und vier Jahre nach dem Mauerfall, las das Ehepaar die Stasi-Akte des vermeintlichen Oppositionellen. Unter dem Aktenzeichen "Operativ-Vorgang Violine" war der Schauspieler jahrelang bespitzelt worden. Leider auch von einem sehr guten Freund, einem Juristen. Trotz tiefer menschlicher Enttäuschung verriet das Opfer den Namen bis heute nicht. "Ich gucke nicht zurück", sagt Mueller-Stahl. "Es ist ja alles gut ausgegangen."
Auch im Westen habe er sich nicht verbiegen lassen. Serien habe er grundsätzlich nicht angenommen, unabhängig von materieller Verlockung. Werbung war für ihn ebenfalls tabu. Einmal allerdings war er drauf und dran, davon eine Ausnahme zu machen. Vor rund zwei Jahrzehnten sei das gewesen. Der Stahl-Konzern Thyssen wollte für ein kleines Vermögen mit dem Konterfei und mit dem zweiten Namensteil des berühmten Schauspielers werben. "Ich hatte schon zugesagt", sagt Mueller-Stahl. "Als ich jedoch von Panzerlieferungen in Krisengebiete hörte, trat ich den Rückzug an." Es war wieder einer dieser wegweisenden Tage, die darüber entscheiden, ob man auch mit 80 Jahren noch aufrecht durchs Leben gehen kann.
An Hamburg beeindruckt ihn vor allem "die preußische Grundhaltung"
Der für das Treffen in Lübeck vereinbarte Zeitrahmen ist längst überschritten, doch gibt es noch so viel zu besprechen. "Natürlich", sagt Mueller-Stahl mit mildem Lächeln. "Gerne."
Werden die Jahre denn wirklich immer schneller? Kopfnicken. Und wird die Zukunft knapp? Kleine Pause. "Es kommt darauf an, was man daraus macht", entgegnet Mueller-Stahl. Er habe noch eine Menge vor, und es gelte, die verbleibende Zeit intensiv zu nutzen. Erneut greift er zum Tee, blickt sinnierend in die Ferne, sagt dann recht unvermittelt: "In meinem Leben gab es viele Holpersteine und viele Fehlentscheidungen." Ein Held sei er nie gewesen. "Aber ich bin nicht nur mit meinen blauen Augen durchgekommen." Jetzt halten beide Seiten einen Moment inne.
Und wie ist das mit der Heimat? Für einen Menschen mit zwei Staatsbürgerschaften und Wohnsitzen in Berlin, an der Ostsee, in Kalifornien? Für einen, der in Tilsit zur Welt kam, 1984 nach Schleswig-Holstein zog und just zum Ehrenbürger dieses Bundeslandes ernannt wurde? "Heimatgefühl ist immer mit Menschen verbunden", antwortet er. "Ich bin Deutscher von Geburt, Weltbürger nach Überzeugung." Ein Zuhause könne man an vielen Stellen finden. Und Schleswig-Holstein? Ein bisschen wie Ostpreußen damals. Die Natur, die Landschaft, die vier Jahreszeiten, die deutsche Sprache.
Und Hamburg? Diesmal zögert er keine Sekunde. "Innerlich stehe ich Hamburg sehr nahe", antwortet AMS. "Die preußische Grundhaltung beeindruckt mich immer wieder." Die Zeit in der Eppendorfer Altbauwohnung Anfang der 90er-Jahre sei glücklich gewesen, auch heute komme er immer wieder gern. Und das Abendblatt zähle zu den Sympathiefaktoren. Handschlag. Nicht tschüs, sondern auf Wiedersehen.