Der Windanlagenbauer Nordex zieht von Norderstedt nach Hamburg. Vorstandschef Thomas Richterich im Interview mit dem Abendblatt.

Hamburg. Mitte Dezember verlagert der Windkraftanlagenbauer Nordex seine Firmenzentrale von Norderstedt nach Hamburg. Das Abendblatt sprach mit Nordex-Chef Thomas Richterich, 48, über die aktuelle Geschäftsentwicklung, neue Jobs und die Rolle der Chinesen im Wettlauf um Aufträge.

Hamburger Abendblatt:

Herr Richterich, der Umzug ihres Unternehmens nach Hamburg dürfte eigentlich ein Grund zum Feiern sein. Doch die Zahlen, die Sie vermelden, lassen keine Partylaune aufkommen. Sie haben Ihre Jahresprognose von 1,2 auf eine Milliarde Euro gesenkt.

Thomas Richterich:

2010 werden wir erstmals nach fünf Jahren unseren Umsatz nicht steigern. Unsere Ergebnisqualität konnten wir im Vergleich zum Vorjahr zwar verbessern, aber der Gewinn wird niedriger ausfallen. Wir haben heute die Situation, dass in einer Reihe von Märkten der Wettbewerbsdruck zugenommen hat und gleichzeitig das Marktvolumen gesunken ist.

Sie eröffnen die neue Unternehmenszentrale ungefähr 800 Meter von der alten entfernt, nur damit ihre Mitarbeiter nun in Hamburg arbeiten dürfen statt in Norderstedt. Warum?

Richterich:

Zunächst ist unsere alte Zentrale inzwischen zu klein geworden und hat uns keine Wachstumschancen mehr geboten. Zudem entwickelt sich Hamburg zur europäischen Metropole der Windkraftindustrie. Vestas ist in die Stadt gekommen, General Electric, Siemens, aber auch Kunden wie die Stromkonzerne EnBW und RWE. Nicht zuletzt spricht für Hamburg, dass hier auch die Banken sitzen, die Windparkprojekte finanzieren.

Welches sind derzeit die größten Probleme der Branche?

Richterich:

Der Markt ist grundsätzlich in Ordnung. Aber wir haben einige Regionen, die langsamer wachsen. In erster Linie betrifft dies den US-Markt, in dem wir gerade eine neue Fabrik eröffnet haben. Das US-Geschäft ist in diesem Jahr um 50 bis 55 Prozent zusammengebrochen von 10 000 Megawatt Neuinstallation auf 5000 oder 4500 Megawatt. Zudem ist die Industrieproduktion und damit der Strompreis drastisch gesunken, mit der Folge, dass die Preise für neue Windanlagen dramatisch gefallen sind. Vor zwei Jahren bekamen die Investoren noch zehn Cent pro ins Netz eingespeister Kilowattstunde Strom, heute sind es zum Teil nur noch vier Cent. Da lohnen sich neue Anlagen nicht mehr. Dennoch wollen wir im kommenden Jahr 140 Windräder dort installieren.

Warum haben Sie das Minus in den USA nicht in Europa oder China ausgleichen können?

Richterich:

Eine ähnliche Entwicklung wie in den USA gibt es auf dem spanischen Markt, der sich annähernd halbiert hat. Auch in Italien ist das Geschäft sehr stark zurückgegangen. Das führt dazu, dass der Markt für Windturbinen mit Ausnahme von China derzeit kein Wachstum hat. China wächst zwar in diesem Jahr um 20 Prozent, aber internationale Wettbewerber haben es nach wie vor dort schwer. Vor vier Jahren lag der Anteil ausländischer Hersteller dort bei 70 Prozent, heute sind es unter 20 Prozent, weil es nun eine Vielzahl chinesischer Produzenten gibt.

In der Solarbranche haben chinesische Anbieter inzwischen den Weltmarkt überrollt. Wann wird Nordex mit Windturbinen "made in China" konkurrieren müssen?

Richterich:

Mittelfristig überhaupt nicht. Die deutsche Windindustrie hat anders als die Solarbranche eine extrem hohe Wertschöpfungstiefe. Und die war schon immer in deutscher Hand, während die deutsche Solarindustrie von Anfang an auf chinesische Zulieferer gesetzt hat. Technik aus Deutschland hat zudem einen hervorragenden Ruf.

Inzwischen gehören drei chinesische Firmen zu den größten Anlagenherstellern der Welt.

Richterich:

Sicher, aber sie sind mit ihrem eigenen Markt so beschäftigt, dass sie nicht exportieren. Ich vergleiche die Position zwischen Deutschland und China immer mit drei Beispielen, nämlich die Container- und die Autoindustrie sowie die Handyherstellung. Die Containerindustrie war früher mit einem Marktanteil von 90 Prozent fest in deutscher Hand. Heute spielen wir in der Branche keine Rolle mehr. Bei Handys waren wir mal gut, aber inzwischen haben internationale Konzerne die Marktführerschaft übernommen. In der Autoindustrie wird schon seit 30 Jahren eine Bedrohung durch China empfunden. Aber das Gegenteil ist der Fall, die Chinesen kaufen immer mehr deutsche Autos. Wie beim Auto geht es bei der Windkraft ums Gesamtsystem, also darum, dass sie Anlagen bauen können, die noch in 20 Jahren verlässlich Strom produzieren. Und da hängen die Chinesen bei der Qualität noch hinterher.

Warum haben Sie selbst als Unternehmen zwei Werke in China?

Richterich:

Wir wollen auf dem Markt präsent sein und kaufen künftig auch Komponenten dort ein, die wir nach Europa oder die USA exportieren. Neue Märkte wie China, Pakistan oder Vietnam muss man hautnah erleben, um sie zu verstehen. Es wäre falsch, nur zu warten, bis die Chinesen eines Tages zu uns kommen.

Wann kommt die erste Nordex-Anlage auf hoher See?

Richterich:

Unsere Ingenieure entwickeln derzeit eine Sechs-Megawatt-Anlage. Sie wird 2012 an Land aufgestellt, und 2014/15 werden wir 70 Anlagen für den Windpark Arcadis vor Rügen aufstellen.

Die Branche klagt über Fachkräftemangel. Wie viele Mitarbeiter könnten Sie sofort einstellen?

Richterich:

Um unser Wachstum zu ermöglichen, müssen wir in den nächsten zwei, drei Jahren die Zahl unserer Ingenieure auf 500 verdoppeln.

Werden Sie diese trotz des Fachkräftemangels anwerben können?

Richterich:

Ich denke schon. Die regenerativen Energien sind als Arbeitgeber begehrt.

Wie wird Nordex aus Ihrer Sicht in fünf Jahren dastehen?

Richterich:

Wir wollen in unseren drei Regionen Europa, Amerika und Asien den Marktanteil anheben und mit jeweils bis zu zehn Prozent zu den großen Playern im Markt werden. Heute haben wir nur in Europa acht bis neun Prozent Marktanteil. Insbesondere in Amerika stehen wir noch am Anfang.