Michel-Hauptpastor Alexander Röder fordert, dass sich die Hamburger mehr um ihre Nächsten und die Nachbarn kümmern
Neustadt. Michel-Hauptpastor Alexander Röder arbeitet regelmäßig mit Obdachlosen. Der Geistliche warnt vor einer Gesellschaft, die immer gleichgültiger wird.
Hamburger Abendblatt:
Sie haben als Michel-Hauptpastor seit Langem Kontakt zu Obdachlosen. Wie ist der?
Alexander Röder:
Wir haben viel mit der Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose Herz As zu tun. Wir machen ein Sommerfest mit Obdachlosen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es ist wichtig, diese Menschen aus der Isolierung zu holen, damit sie nicht nur mit ihresgleichen sprechen. So erfahren wir viel. Zum Beispiel, dass es zwar genügend Übernachtungsplätze gibt, diese aber nicht immer akzeptiert werden. Ich höre, manche Bedingungen seien unzumutbar. Weiterhin haben wir hier am Michel auch Obdachlose, die regelmäßig vor der Tür übernachten. Denen haben wir im vergangenen Winter angeboten, hereinzukommen. Das wollten die nicht. Die schlafen unter den Arkaden des Gemeindehauses. Es sind sechs oder acht, die jeden Abend kommen und jeden morgen gehen.
Kennen Sie Obdachlose persönlich?
Röder:
Ja, einen ehemaligen Obdachlosen: den "Hinz & Kunzt"-Verkäufer Günter. Ich kenne nur den Vornamen. Der wohnt nicht in der Neustadt, hat aber hier sein Revier und verkauft jeden Sonntag die Obdachlosenzeitung. Kürzlich hat er eine Wohnung gefunden. Ich habe mich gefreut, weil er mich fragte, ob ich ihm helfen kann. Das habe ich gern getan und ihm Möbel gegeben, die ich von meiner Mutter übrig hatte. Jetzt hat Günter noch Gardinen von mir bekommen. Das "Hinz & Kunzt"-Projekt ist wichtig, weil darüber soziale Kontakte geknüpft werden. Viele Menschen kaufen nur bei einem bestimmten Verkäufer und kommen so mit ihm ins Gespräch.
Was erfahren diese Menschen?
Röder:
Dass man vor Obdachlosen nicht Angst wie vor ansteckenden Krankheiten haben muss. Dann man mit ihnen reden kann und soziale Kontakte pflegen kann. Wichtig ist auch, dass jeder Mensch sich kümmert. Ich erlebe immer häufiger, dass Menschen auf andere verweisen.
Was heißt das?
Röder:
Das ist wie bei der Geschichte des Sündenfalls, als Gott den Mann fragt: Warum hast du das getan? Und Adam auf Eva verweist, und Eva sagt: Nein, die Schlange war es. Es ist also eine Frage der Eigenverantwortung; man muss sich fragen: Wo kann ich in meinem Umfeld helfen? Das beginnt im Kleinen: Ich erlebe mehr und mehr, dass Menschen ihre Nachbarn nicht kennen. Man interessiert sich nicht, wird gleichgültig. Das ist auch eine Form von sozialer Kälte.
Was hat das mit Obdachlosigkeit zu tun?
Röder:
Sehr viel. Wenn gleichgültige Menschen einem andersartigen begegnen, einem Menschen, der anders angezogen ist, der vielleicht schmutzig ist, dann wird der Andersartige verstärkt abgelehnt.
Gibt es andere Wege, die man gehen sollte?
Röder:
Bein einem Besuch in Amerika lernte ich eine radikale Form des Umgangs mit Obdachlosen kennen. So wird man dort als Betrunkener nicht in einer Einrichtung aufgenommen. Und: Wer Alkohol trinkt, fliegt raus. Wir haben aufgrund unserer Geschichte Schwierigkeiten, diese Radikalität zu zeigen. Und es fehlt das Personal dazu.