Bald sollen Roboter helfen, die Personalnot in der Pflege zu lindern. Ein Kongress führte vor, was möglich ist - und wovor es Ethikern graut.
Der Roboter surrt herbei, dann sagt er mit blecherner Stimme: "Hallo, ich bin Care-O-bot 3, ich werde Ihnen etwas zu trinken bringen." Er dreht sich um, rollt zum Tisch mit den Getränken, fährt vorn seinen Greifarm aus und auf seiner Rückseite ein Tablett. Die metallenen Finger umfassen eine Wasserflasche und stellen sie aufs Tablett. Dann rollt der Roboter wieder heran. "Hier ist Ihr Getränk", sagt er, "bitte bedienen Sie sich."
Birgit Graf nimmt das Wasser und sagt "Danke schön". Die Diplom-Informatikerin ist so etwas wie die Mutter des "Care-O-bot 3". Seit über zehn Jahren entwickelt sie solche Maschinen am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung. Auf dem Markt ist "Care-O-bot 3" noch nicht. "Wir brauchen noch eine Sicherheitsrichtlinie", sagt Birgit Graf. Doch das sei kein Problem. Heute ist mal wieder eine gute Gelegenheit zu zeigen, dass "Care-O-bot 3" lebt.
An diesem grauen Novembertag sind in Duisburg Produktentwickler, Soziologen und Philosophen zusammengekommen. "Assistenz im Alter: Bedarfsorientierte Technikentwicklung" heißt der Titel ihrer Fachtagung. Draußen vor der Fensterfront wirbelt der Herbstwind das letzte braune Laub von den Bäumen - es wirkt wie eine Metapher für das Thema: Bereits jeder vierte Deutsche ist über 60 Jahre alt, im Jahr 2050 wird es schon jeder dritte sein. Heute sind 2,25 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig, 2050 wird sich diese Zahl auf 4,4 Millionen erhöhen, schätzen Experten. Immer mehr Alte, gepflegt von immer weniger Jungen. Schon im Jahr 2030 werden eine halbe Million Pflegekräfte fehlen. Und die geplante Aussetzung der Wehr- und damit auch der Zivildienstpflicht wird das Problem noch erheblich verschärfen.
Ein Soziologe von der Duisburger Uni sagt, dass Roboter etwas gegen den Pflegenotstand ausrichten können. Deshalb gebe es ein Projekt von Forschern und Roboter-Herstellern, der Bund fördert es mit einer Million Euro. Ziel des Projekts sei die Weiterentwicklung des "Care-O-bot 3" sowie des iPhone-gesteuerten Transportfahrzeugs "Casero", das schwere Lasten durch Altenheim-Flure schleppen soll.
Zunächst haben die Forscher akribisch untersucht, was eine Pflegekraft alles leisten muss. Sie waren bei der Frühschicht dabei, bei der Mittel- und der Spätschicht. "Es ist toll zu sehen, was da abgeht", sagt ein euphorischer Wissenschaftler, der sein Geld mit der Entwicklung von Roboter-Systemen für die Pflege verdient. Die Forscher haben aus der Arbeit der Pflegekräfte unterschiedliche Szenarien abgeleitet: Getränke-Szenario, Transport-Szenario, Interaktions-Szenario, Informations-Szenario. Alles, was eine Pflegekraft kann, soll ein Roboter auch können. Theoretisch.
Das Tablett ist zugleich ein Bedienfeld wie auf dem iPhone
Während einer Kaffeepause lässt Birgit Graf im Foyer wieder ihren "Care-O-bot 3" übers Parkett surren. "Er hat taktile Fingerflächen, um die Greifkraft zu dosieren", sagt die Informatikerin. Stereovision-Farbkameras, Laserscanner und 3-D-Tiefenbildkamera erfassen die Umwelt, erkennen Hindernisse, identifizieren Gesichter, finden Gegenstände. Das Getränke-Szenario hatte "Care-O-bot 3" eingangs schon vorgeführt. Man kann ihn auch so programmieren, dass er mit seinem "Manipulator-Arm" zum Beispiel Speisen und Bücher bewegt, bis zu einem Gewicht von fünf Kilo. Es ist das Transport-Szenario. Das Tablett des Roboters ist nicht nur Abstellfläche, sondern auch Bedienfeld. "Ein Touchscreen", sagt Birgit Graf stolz. So kann der Altenheimbewohner per Fingerdruck Befehle für das Interaktionsszenario eingeben. Er kann eine Jukebox in Gang setzen oder Brettspiele starten.
Der Roboter funkt Alarm, wenn ein Patient nicht genügend trinkt
Und alles, was der Roboter tut, wird gespeichert. Die Maschine erkennt Senioren, die nachts auf dem Gang ihres Heims herumirren. Sie hat die Patientenakte parat, wenn ein Patient stürzt, sie führt ein Protokoll über die Flüssigkeit, die ein Patient einnimmt und funkt Alarm, wenn zu wenig getrunken wird. Informations-Szenario: erledigt. Ein "Care-O-bot 3" kostet eine viertel Million Euro.
Barbara Klein, Professorin von der FH Frankfurt, lehrt Soziale Arbeit und Gesundheit, bei ihr kann man "Case Management für ein barrierefreies Leben" studieren, "ein super Studiengang", wie sie findet. Auf der Leinwand hinter ihr im Tagungsraum erscheint ein Roboter, der aussieht wie ein Mensch. "Humanoide sind das", sagt Frau Professor Klein, "sie können sich hinlegen, aufstehen, vorlesen, auf Befehle reagieren. In Japan gibt es Humanoide schon." In der am stärksten alternden Gesellschaft der Welt. Es gebe auch Unterhaltungsroboter, doziert sie und zeigt den Roboter-Hund "Pleo", ein reines Spielzeug. Und es gibt Rehabilitations-Roboter: Anzüge für gelähmte Menschen, die mit Sensoren arbeiten. Die Sensoren erkennen auf der Haut Impulse, die vom Gehirn ausgesendet werden. "So können gelähmte Menschen wieder gehen", sagt Frau Klein.
Bis jetzt nicken die Zuhörer im Saal noch. Doch dann spricht Klein über ihr Lieblingsthema, "emotionale Robotik". In der emotionalen Robotik werden die Roboter zu einer eigenen Persönlichkeit. "Es kommt zu einer gefühlsmäßigen Beziehung", sagt sie und ergänzt, damit es auch alle verstehen: "Nicht vom Roboter zum Menschen, sondern umgekehrt."
Die Professorin drückt einen Knopf, eine Kuscheltier-Robbe erscheint auf der Leinwand. "Das ist Paro", sagt sie. Die Robbe hat 15 Sensoren, zwölf Motoren und ist zu 300 verschiedenen Interaktionen fähig. "Paro" wurde in Japan kreiert, wo sonst. "Sie kann Stimmen erkennen, den Kopf hin und her bewegen. Sie reagiert sogar darauf, wenn man sie streichelt. Auch ihren Gesichtsausdruck kann Paro verändern." Barbara Klein klingt jetzt richtig enthusiastisch. Denn Paro brauche kein Futter und vermisse auch ihr Heimatgewässer nicht; Paro sei immer da, Tag und Nacht, so lange die Batterien halten. Ersetzt Paro auch den menschlichen Kontakt? "Ein so inniger Kontakt kann im professionellen Pflegebereich nicht geleistet werden", sagt sie.
Ein Mann meldet sich. Er ist Technik-Philosoph an der Karlsruher Uni und ziemlich erregt. "Warum gaukeln wir den Menschen vor, dass die Robbe eine eigene Persönlichkeit besitzt und ein Subjekt ist und kein Objekt?", fragt er, sein Kopf ist rot, die Stimme wird immer lauter. "Warum sollen wir alte Menschen auf diese Weise behandeln? Das ist ein zynisches Vorgehen."
Barbara Klein wirkt jetzt ein wenig verschüchtert. Sie erzählt von einer dementen Frau, die den ganzen Tag geschrien habe. Und dass sie ruhiger wurde, als die Robbe Paro auf ihrem Schoß saß. Sie meint: "Wer heilt, hat recht."
Beim Test im Pflegeheim ließen sich die Bewohner kaum beeindrucken
Ein Kölner Altenpfleger meldet sich. "Können Sie sich vorstellen, in 40 Jahren eine elektrifizierte Robbe zu küssen und zu streicheln, Frau Klein?", fragt er. Klein weicht ihm aus, sagt nur, dass die Robbe wirklich "süß" sei. "Wir sollten Pflege wieder richtig lernen", sagt der Pfleger. "Wir sollen menschliche Kontakte aufwerten. Dabei hilft solch ein Roboter nicht."
Die Diskussion ist keine technische mehr, sondern eine ethische. Es geht jetzt um Roboter, die Menschen ersetzen. Um Maschinen, die Demenzkranke versorgen. Um die elektrifizierte Abschiebung von Alten in eine souverän funktionierende Roboter-Ecke.
"Ich hätte da auch eine Frage an Sie", meldet sich wieder der Wissenschaftler, der die Szenarien entwickelt hat. Er spricht jetzt den Philosophen und den Pfleger an. "Finden Sie es auch unethisch, dass Menschen im Altenheim Windeln tragen mit mehreren Litern Aufnahmevermögen, weil das Personal nicht mehr die Zeit hat, mit ihnen auf die Toilette zu gehen oder die Windeln regelmäßig zu wechseln?"
Der Soziologe von der Duisburger Universität ist froh, dass die Mittagspause dazwischenkommt. Irgendwie ist ihm sein Forschungsprojekt selbst ein wenig unheimlich geworden. Dabei gehe es doch nur um das Verfahren, das er wissenschaftlich begleite, sagt er. "Wir beabsichtigen nicht, dass Roboter Menschen komplett versorgen", sagt er. "Sie sollen die Pflegekräfte unterstützen, ihnen Arbeit ersparen, damit sie sich mehr auf ihre Patienten konzentrieren können." Ein Herr im schwarzen Anzug, er kommt vom Bundesforschungsministerium, ergänzt, dass Roboter den Pflegekräften mehr Zeit schenken würden, Zeit zum Spazierengehen mit den Patienten zum Beispiel. "Und währenddessen räumt der Roboter das Zimmer auf." Deutschland dürfe den Anschluss nicht verlieren, sagt er. Noch seien deutsche Forscher in der Robotik ganz vorne dabei. Es geht auch um Jobs in der Industrie, um viel Geld.
Im Foyer hat Birgit Graf jetzt einen Werbefilm über ihren "Care-O-bot 3" gestartet. Er wurde bei einem Test in einem Stuttgarter Altenheim gedreht. Man sieht, wie "Care-O-bot 3" über den Gang zum Wasserspender surrt, Wasser in einen Becher zapft und mit diesem auf seinem Tablett eine Gruppe Senioren ansteuert. Diese wirken nicht gerade beeindruckt. 20-mal hat der Roboter in der Testphase Getränke ausgeliefert. Getrunken haben die Rentner das Wasser nicht, geben die Entwickler zu. Weil die alten Menschen das Ganze irritierend fanden. Und weil ihre Pfleger ihnen schon Wasser gebracht hatten.