Deutschland altert - und entdeckt die Protestgesellschaft.

Was ist los in unserem Land? Die Wirtschaft zieht an, die Arbeitslosigkeit sinkt, aber gefühlt kocht des Volkes Seele über. Die Bürger begehren auf, auffällig oft die älteren. Der Ungehorsam der "Parkschützer" gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 steht stellvertretend für Widerstände allerorten, ob gegen Raucherkneipen in Bayern oder Primarschulen in Hamburg. Allein in diesem Jahr wurden deutschlandweit 5400 Bürgerbegehren in mehr als 3000 Orten gestartet. In Hamburg formiert sich Protest gegen den Abriss der Elbtreppenhäuser oder die von den Grünen geliebte Stadtbahn. Wo kommt der Volkszorn plötzlich her?

Schüren rüstige Alt-68-er den Straßenprotest? Oder ist im wiedervereinten Deutschland eine neue Kultur des Bürgerprotests herangereift, die sich aus den Wurzeln der Wir-sind-das-Volk-Parole nährt und sich inzwischen berauscht vom Geschichtssieg vor 20 Jahren nun in die Niederungen der Politik verirrt? Hinter solchen Erklärungen mag ein Fünkchen Wahrheit liegen. Doch das reicht nicht, um das derzeitige Protest-Phänomen zu verstehen.

Die Gründe liegen tiefer. Tief in den Menschen schlummert eine Angst vor großen Veränderungen, die mit keinem Protest aus der Welt zu schaffen sind. Die Banken- mit der Weltwirtschaftskrise war dafür ein globales Beispiel.

Wir müssen uns ständig auf neue Situationen einstellen und tun das auch, solange uns die Einsicht zwingt, dass wir daran so schnell nichts ändern können. Doch diese Ohnmacht gegenüber dem großen Wandel funktioniert nicht, wenn der Wandel unsere direkte, lieb gewonnene Umgebung betrifft. Wenn sich die Welt im Großen immer schneller dreht, wollen viele wenigstens in der Nachbarschaft bewahren, was ihnen vertraut ist, zum Beispiel uralte Bäume im Stuttgarter Stadtpark.

Diese Gefühlslage trifft vor allem die Generation der Großeltern, besonders aus dem Bürgertum. So wird das Bild revoltierender Rentner keine Ausnahme bleiben. Das bringt die auf den Kopf gestellte Bevölkerungspyramide mit sich.

Leider verspricht es nicht immer Gutes, wenn die Älteren langfristige Zukunftsprojekte blockieren, deren Nutzen sie selbst vermutlich nicht mehr erleben. Für unsere Demokratie, die den gewählten Volksvertretern Macht auf Zeit überträgt, bedeutet das: Regierungen und Parlamente müssen in Zukunft noch viel gründlicher erklären, wie und warum sie unsere Welt verändern möchten.