Es sind ebenso kuriose wie spannende Fälle vor dem Amts- oder Landgericht, die Bettina Mittelacher in ihrer Gerichtskolumne beschreibt.
Hamburg. Sie würde sich am liebsten verkriechen, so scheint es. Oder weglaufen. Irgendwohin. Auf jeden Fall weg von hier, weg aus diesem Gebäude, wo über Schuld und Unschuld entschieden wird. Und wo sie dann eine Strafe bekommen wird. Alles an dieser Frau verrät ihr Unbehagen. Die vor Nervosität verkrampften Hände, der bleiche Teint, die geduckte Haltung. Doch sie hat keine Wahl - sie muss das für sie so peinliche Strafverfahren über sich ergehen lassen. Denn die 42-Jährige hat Schuld auf sich geladen. Sie ist eine Betrügerin.
Nun gibt es gewiefte Betrüger, die es skrupellos und mit Tricks und Kalkül darauf anlegen, andere reinzulegen und sich so zu bereichern. Und es gibt Menschen wie Tina U. Die schlicht überfordert sind, verstört und vielleicht auch gedankenlos. Die gar nicht wirklich überblicken, dass sie Schaden mit ihrem Handeln anrichten.
So jedenfalls erklärt die blonde, stabil gebaute Frau, wie es geschehen konnte, dass sie im vergangenen Jahr insgesamt fast 2500 Euro Sozialhilfe zu Unrecht bezogen hat. Zu Unrecht deshalb, weil sie aus dem Verkauf eines Hauses rund 100 000 Euro erzielt und dies der Arbeitsagentur verschwiegen hatte. Dabei hätte sie dieses Vermögen bei einem Antrag auf Fortzahlung der Sozialhilfe unbedingt angeben müssen. Es wäre angerechnet worden - und ihr Anspruch damit hinfällig.
Sie habe zu der Zeit nicht wirklich klar denken können, erzählt die Angeklagte in der Verhandlung vor dem Amtsgericht. Das baufällige Haus habe sie am Ende verkaufen müssen, sie sei dann zu ihrer Mutter gezogen. "Außerdem lief meine Scheidung, und ich hatte Existenzangst." Das Geld aus dem Hausverkauf habe sie vollständig in das renovierungsbedürftige Heim der Mutter gesteckt und obendrein noch einen Kredit aufnehmen müssen, um alle Kosten tragen zu können.
Ob sie denn nicht daran gedacht habe, sich eine Wohnung zu mieten, hakt die Amtsrichterin nach. "Nein", antwortet Tina U. leise. "Es war ja Eigentum vorhanden. Es ist mein Elternhaus, und das wollte ich erhalten."
Noch während der Umbau lief, hat sie einen neuen Antrag auf Sozialhilfe gestellt, zitiert die Richterin aus den Akten und mahnt: "Da hätten Sie die Wahrheit sagen müssen." "Es war ein Fehler, das weiß ich", gesteht die Mutter zweier Kinder mit dünner Stimme ein, und es klingt, als habe sie sich dies selber schon unzählige Male vorgehalten. "Ich habe mittlerweile auch alles zurückgezahlt. Dafür habe ich einen Kredit aufgenommen."
Überhaupt scheint die 42-Jährige ihre Finanzen allmählich wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Nach mehrjähriger Tätigkeit im medizinischen Bereich, etlichen kleineren Jobs und zuletzt langer Arbeitslosigkeit hat sie wieder eine Teilzeitbeschäftigung in einem Unternehmen gefunden. Und privat ihr neues Glück. Sie hat zum zweiten Mal geheiratet, einen Mann, der fest zu ihr steht. Auch hier in den Prozess hat er sie begleitet. Ihr Fels in der Brandung.
Sie scheint es zu brauchen. Der gesenkte Kopf, die im Schoß gefalteten Hände - die Schuld und ihr schlechtes Gewissen scheinen die Angeklagte geradezu niederzudrücken. "Es tut mir sehr leid, und es wird nicht wieder vorkommen", verspricht Tina U. am Ende der Staatsanwältin und der Richterin. In beiden findet sie zugewandte, aber zugleich mahnende Vertreter des Rechts. Dass sie ihr Elternhaus habe erhalten wollen, sei "menschlich verständlich", sagt die Anklägerin.
Und auch die Richterin hält dies für "menschlich nachvollziehbar. Am Elternhaus hängen viele Emotionen." Allerdings liege bei Tina U. nun mal keine Bedürftigkeit vor. "So kann der Sozialstaat nicht funktionieren. Was Sie gemacht haben, ist keine Kleinigkeit, sondern echter Betrug, durch den echter Schaden am Sozialstaat entstanden ist." Denn wer Vermögen besitze, dürfe"nicht Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Im Interesse derer, die wirklich kein Geld haben, kann der Sozialstaat das nicht hinnehmen", mahnt die Richterin und verhängt gegen die Angeklagte eine viermonatige Haftstrafe - zur Bewährung. Sie gehe davon aus, dass Tina U. keine weiteren Straftaten begehen werde. "Wir sehen uns hoffentlich nicht wieder." Die Angeklagte nickt bekümmert. Mit gesenktem Kopf verlässt sie den Saal. Dort lässt sie sich in die Arme ihres Mannes fallen und klammert sich an ihm fest. Jetzt ist es mit ihrer Fassung endgültig vorbei. Tina U. beginnt bitterlich zu weinen.