Werner Marnette, 64, Ex-Affinerie-Chef und bis 2009 Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein.
Hamburger Abendblatt:
1. Mit Ian Karan wechselt ein Unternehmer in den Hamburger Senat. Auch Sie wurden ohne Parteikarriere Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. War das ein Kulturschock?
Werner Marnette:
Nein, im Gegenteil, mir hat die Position sehr viel Freude bereitet, und ich habe einiges bewegen können. Begeistert war ich von der hohen Qualität der Mitarbeiter im Ministerium, ohne die Politik nicht funktionieren würde. Ich habe aufgegeben, weil ich meine unternehmerische Erfahrung bei einer sehr kritischen Finanzentscheidung der Landesregierung nicht einbringen durfte, aber diese mitverantworten sollte. Das war allerdings für mich ein Schock.
2. In der Politik mahlen die Mühlen langsam. Nervt das nicht, wenn man es gewohnt ist, Entscheidungen sehr schnell zu treffen?
Entscheidungen in der Wirtschaft laufen linear und nach klaren Regeln und Verantwortlichkeiten. Politische Entscheidungen sind in der Regel komplexer und erfordern einen höheren Abstimmungsaufwand, vor allem wenn das Parlament einbezogen ist. Nervig wird es erst, wenn Entscheidungen durch Inkompetenz, Ideologie oder reines Absicherungsdenken verzögert werden.
3. Wird ein Mann der Praxis als Wirtschaftssenator ernster genommen als ein Berufspolitiker?
Die Wirtschaft begrüßt den Mann aus der Praxis. Sie wird aber sehr schnell hohe Erwartungen an ihn herantragen. Die Berufspolitik wird den Seiteneinsteiger zunächst kritisch beobachten und sich abwartend verhalten. Letztlich gilt die Regel: Form schlägt Klasse, aber Klasse setzt sich durch. Da mache ich mir bei Ian Karan keine Sorgen.
4. Philipp Rösler ist Arzt, tut sich als Gesundheitsminister aber schwer. Ist es möglich, die Erwartungen der eigenen Zunft zu erfüllen?
Philipp Rösler besitzt menschlich, fachlich und politisch eine hohe Qualität. Er gehört zu den jungen Menschen, die Deutschland in der Politik braucht. Auch hat er die Fähigkeiten, das marode Gesundheitswesen zu sanieren. Er wird leider durch Inkompetenz und politische Querschüsse daran gehindert. Hier ist die Unterstützung durch die Kanzlerin gefordert, weil ein Scheitern potenzielle Seiteneinsteiger abschrecken würde. Dann würden wir nie in den Parlamenten und Regierungen zu einer gesunden Mischung aus unternehmerischem, praxisorientiertem und politischem Denken und Handeln kommen.
5. Der Gestaltungsspielraum für Wirtschaftspolitik auf Landesebene gilt als begrenzt. Was kann ein Wirtschaftssenator bewegen?
Hamburg bietet hervorragende Gestaltungsmöglichkeiten für einen fähigen Wirtschaftssenator, besonders wenn er aus der maritimen und internationalen Wirtschaft stammt. Leider hat die Position zuletzt aus machtpolitischen Gründen erhebliche Kompetenzen abgeben müssen. Dies war zum Nachteil der Stadt. Wichtige Projekte sind so verschleppt und verhindert worden.