Die Intendantin der Kulturfabrik Kampnagel sieht darin eine Schlüsselaufgabe für die Stadtgesellschaft unserer Zeit, denn die Potenziale der Kunst würden ignoriert
In Hamburgs Kulturlandschaft hat Jammern derzeit Konjunktur. Untergangsszenarios sind en vogue. Beklagt wird, unisono von Künstlern und Medien, die Pfeffersackmentalität, der Fokus auf Geld und Handel, die Konzentration auf Repräsentationskultur, mangelnde Fürsorge für die Kulturschaffenden, allzu kleine Förderung der Subkulturen und der freien Kunstszene. Die Klage mündet in Thesen wie "Hamburg ist keine Kulturstadt", betreibe "kulturlose Kulturpolitik" oder "Die Kulturpolitik hier ist ein Desaster". Die Abwanderung von Künstlern nach Berlin scheint die ultimative Schmach für die "wachsende Stadt" zu sein.
In den 80ern hatte die Kultur in Hamburg scheinbar eine größere Bedeutung. Hafenstraße, Parc Fiction oder Bambule waren vielgestaltige Aktionen von Künstlern und Aktivisten, die in Teilen der Bevölkerung große Sympathien, in anderen Teilen heftigste Ablehnung hervorriefen. Sie haben sich in die Legende der Stadt eingeschrieben.
"Damals", raunt es aus Künstlerkreisen, war in Hamburg richtig was los, damals gab es noch erfolgreiche Gegenwehr, damals waren die wichtigsten Künstler in Hamburg, damals wurde Kampnagel gegründet, und auch dort waren die Anfangszeiten Zeiten des Kampfes um das Gelände. Man kann von einer Sehnsucht nach alten Zeiten, nach Unordnung und Protest sprechen.
Das "Heute" bleibt vonseiten der Kunstszene vielfach undefiniert, und die Abwanderung vieler Künstlerinnen und Künstler nach Berlin schwächte die Szene nicht nur in ihrer Substanz, sondern auch in ihrem Selbstbewusstsein. Hier muss eine junge Generation von Künstlerinnen und Künstlern neu ansetzen und tut es auch. Das Gängeviertel ist dafür nur das prominenteste von vielen Beispielen.
Die Hamburger Kunstszene muss neue und zukunftsweisende Definitionsstrategien finden, sollte sich in migrantischen Milieus vernetzen, sich internationalisieren und internationale Künstler in die Stadt holen. Gerade Künstlerinnen und Künstler haben die Möglichkeit, aus Potenzialen der trans-kulturellen Realität einer Großstadt wie Hamburg zu schöpfen und wie durch eine Lupe auf die Gegenwart zu schauen. Die Hamburger Kunstszene muss sich gegenüber Berlin abgrenzen, aber auch eine entspannte Neudefinition des Verhältnisses zur Hauptstadt finden.
Die Politik muss ihr Verhältnis zur Kunstszene neu definieren, das die enormen Potenziale von Kunst und Kultur weitgehend ignoriert. Kunstförderung ist Investition in die Zukunft, sie muss umsichtig und strategisch durchdacht ausgebaut werden. Seit Richard Florida einen Zusammenhang zwischen der Kreativen Klasse und dem wirtschaftlichen Erfolg hergestellt hat, wurde auch in Hamburg begonnen, vorsichtig das Image der Stadt zu ändern. Roland Berger, der Gigant unter den Regierungen betreuenden Unternehmensberatern, schließt sich in seinen Studien zum Kreativitätsindex Florida an und verknüpft das Vorhandensein von kreativen Milieus und Netzwerken mit der Zukunftsfähigkeit von Städten. Das Hamburgische Stadtmarketing hat diese Erkenntnisse rasch in seine Strategien integriert. Seine Werbebroschüren setzen auf den perfekten Mix: auf der einen Seite die HafenCity mit der Elbphilharmonie als spektakulärer Leuchtturm, auf der anderen - ganz im Sinne Floridas - die vitale Kultur- und Undergroundszene, Graffitikunst, angesagte Klubs und die legendäre Musikszene.
Trotz der Erkenntnis der Notwendigkeit einer gesunden Durchmischung liegt der Fokus durch Politik und Marketing ganz eindeutig auf der Förderung der Elbphilharmonie, die zum neuen Wahrzeichen der Stadt werden soll. Demgegenüber schrumpft die Wichtigkeit der Subkulturen, internationaler Häuser und der traditionellen Institutionen. Beispielhaft sei die unsägliche Debatte um die Galerie der Gegenwart genannt. Für die Zukunft ist hier eine neue Balance zu finden.
Kunst und Kultur ist ein Feld, in dem sich Investitionen lohnen, ein Zukunftsfeld, in das dringend investiert werden muss. Hamburg braucht eine dynamische Kulturpolitik und notwendiger Weise eine(n) Kultursenator/-in. Hamburg braucht ein kulturpolitisches Konzept, das zu einem Teil Entwicklungsstrategie von Hamburg wird. Hierfür müssen Prioritäten definiert werden, damit eventuelle Kürzungen nicht nach dem Gießkannenprinzip vollzogen werden. Vor allem aber muss auch und gerade in Zeiten der Krise Neues möglich sein. Aufgabe der Politik für die nächsten Jahre wird es sein, die unterschiedlichen Szenen sichtbar zu fördern, jungen Künstlern Räume und Produktionsmittel zur Verfügung zu stellen und die Internationalisierung der Kunstszenen voranzutreiben. Kunst und Politik besser zu vernetzen wird eine der zentralen Aufgaben der Kulturpolitik sein. Die Politik muss begreifen, dass Kulturpolitik eine der Schlüsselaufgaben für die Stadtgesellschaft des 21. Jahrhunderts ist.