Wer seine Privatsphäre im Netz schützen will, muss jetzt handeln.
Es war ein erster leiser Aufschrei. Als die Fahrzeuge des US-Internetgiganten Google durch Deutschland fuhren, um Straßen, Häuser und Gärten zu fotografieren, verweigerten einige Kommunen die Durchfahrt. Denn kein anderes Projekt rüttelt so plakativ an den Grundfesten der Privatsphäre des Menschen wie Street View: Die eigenen vier Wände als frei zugängliches Dokument im Netz - es wird zum Sinnbild einer Gesellschaft, in der die Menschen dabei sind, ihre Identität Konzernen wie Google oder Facebook preiszugeben. Und viele lassen es geschehen. Ohne zu murren.
Jeden Tag verarbeiten die Konzerne Milliarden Daten ihrer Nutzer, speichern sie, bilden ein Raster an Informationen. Google kennt die Websites, die wir besuchen. Google weiß Details über unsere Hobbys, unsere Gesundheit, unsere Fantasien. Zugespitzt: Google kennt unsere Identität. Und das Unternehmen macht damit Geld. Mithilfe dieser Informationen werden Verkaufsstrategien zielgenau ausgerichtet. Auch Street View ist vor allem eine Werbeplattform. Dabei sind wir selbst es, die der Datenmaschine den Stoff liefern, den sie braucht. Freiwillig, mit jedem Foto, das wir bei Facebook hochladen, mit jeder Suchanfrage bei Google.
Dem Menschen droht der Ausverkauf seiner Identität - und erst allmählich formiert sich Protest: Wer Einspruch bei Google erhebt, kann sein Haus bei Street View schwärzen lassen. Doch im Umgang mit den Internetkonzernen mischt sich vielerorts Ratlosigkeit mit Aktionismus - auch in der Politik. Belächelt wird eine Verbraucherministerin, die ihre Seite bei Facebook löscht. Dabei muss die Regierung endlich ernsthaft auf die Geschäfte mit den Daten reagieren. Warum sollte es nicht sogar ein eigenes Internetministerium geben, das sich mit Potenzial und Risiken im Netz befasst?
Politik kann einen Datenmissbrauch mit Gesetzen erschweren. Wer aber seine Privatsphäre schützen will, muss selbst handeln. Und das bedeutet vor allem eines: Verzicht. Klar, Google erleichtert unseren Alltag, wir suchen nach Rezepten, surfen in Gesundheitsforen. Wir haben sogar Freunde in sozialen Netzwerken, wir schreiben an unserem Profil. Gerade weil wir uns so intensiv in der virtuellen Welt bewegen, ist sie Teil unserer Identität. Und gerade deshalb fällt es uns so schwer, das aufzugeben. Dieses Dilemma gilt es zu durchbrechen. Wer wieder lernt, maßvoll mit den Angeboten des Internets umzugehen, rettet am Ende auch seine Identität. Sicher nicht die virtuelle, aber die reale: das eigene Haus genauso wie die eigenen Fantasien und Ängste.