Wenn der Fluss zur Leidenschaft wird: Fragt man passionierte Elbsegler nach ihrem Hobby, kommen sie aus dem Schwärmen nicht mehr heraus.
Hamburg. Sie begleitet ihn vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Neben ihr wacht er auf. Sie bringt ihn ins Büro. Während seines Arbeitstages lässt er sie nicht aus den Augen, gewissermaßen verdient er mit ihrer Hilfe sogar sein Geld. Und nachdem sie ihn auch wieder nach Hause getrieben hat, begleitet sie ihn in den Schlaf - die Elbe. Der große Fluss ist die ganze Leidenschaft von Harald Baum. "Das Segeln und die Elbe sind mein Leben", sagt er und blickt auf den Sandtorhafen vor seinem Bürofenster. Aus dem Mund des Unternehmers klingen diese Worte gar nicht pathetisch, sondern einfach nur ehrlich.
Der große, schlanke Mann wurde 1940 in der Hansestadt geboren, mitten im Zweiten Weltkrieg. Weil es in der Stadt zu unsicher war, hielt sich die Familie in dieser Zeit überwiegend auf ihrem kleinen Schiff, der "Alibi", auf. Floh vor den Bombenangriffen in die heile Welt des Segelns und der Natur. So wuchs der kleine Harald quasi auf der Elbe auf. "Diese Jahre haben mich geprägt wie keine andere Zeit in meinem Leben", sagt er heute über seine Kindheit. Nach dem Krieg lebte er zwischenzeitlich mit seiner Familie ganz auf dem Boot, festgemacht am Anleger Teufelsbrück. "Das war ein paradiesisches Leben, diese Freiheit von damals kann man sich heute kaum mehr vorstellen." Beinahe zwangsläufig lernte Baum so den Fluss und den Segelsport lieben. Er machte mit bei Regatten und Wanderfahrten auf dem Fluss. Schnell war der blonde Junge ein Experte für das anspruchsvolle Gewässer.
Wenige Seemeilen weiter die Elbe hinab trainieren an diesem Nachmittag diejenigen, die das noch werden wollen. Vor dem Mühlenberger Loch üben die Optimisten des Mühlenberger Segel-Clubs (MSC) Wenden, Halsen und erste Regattamanöver. "Raum", ruft Pia Wilcke, 12, aus ihrem "Hermann" heraus, als Mitseglerin Bente Clasen, 12, im "Shockwave" nicht Platz machen will. Und segelt dann nur knapp an dem Heck des kleinen Bootes mit dem eckigen Segel vorbei. Kaum erholt von diesem knappen Manöver, wird es für Pia schon wieder eng, diesmal mit Joshua Bockbreder, 12, in seinem "Wombat". Doch nicht nur auf die anderen Optis müssen sich die Jungen und Mädchen konzentrieren. Ständig fahren große Pötte in den Hamburger Hafen rein und raus. Annette Krüger lässt ihre Schützlinge keine Sekunde aus den Augen. "Das Revier ist ausgesprochen anspruchsvoll, besonders für Anfänger", sagt die ehrenamtliche Trainerin des MSC. "Es gibt aber nicht Schöneres, als zu beobachten, wie die Kinder Stück für Stück ihre Angst verlieren und Vertrauen in Boot, Wasser und Wind entwickeln", schwärmt sie. Der MSC, der mit seinen knapp 50 Jahren Vereinsgeschichte an der Elbe zu den jüngeren Klubs zählt, hat sich ganz auf die Ausbildung des Nachwuchses spezialisiert. Hier wird trainiert und dann auf Regatten in ganz Europa gegen die Konkurrenz gekämpft.
Die Elbe gilt als ideales Revier für Wassersportneulinge. Die sichere Küste ist immer in Sichtweite, eine große Welle kann sich in dem schmalen Gewässer nicht aufbauen. Andererseits kann der Fluss mit Ebbe und Flut, seinen Strudeln, Strömungen und den passierenden Großschiffen ausgesprochen gefährlich werden. Hier kann das Wasser schon mal bis zu fünf Knoten schnell fließen. "Und wenn man das Wasser gegen an hat und dazu noch den Wind, dann wird es schwer, überhaupt voranzukommen", sagt Harald Harmstorf, Vorstand des Hamburger Segler-Verbandes, über das rund 60 Meilen (eine Meile sind 1,852 Kilometer) lange Gebiet zwischen Hamburg und Cuxhaven. So manches Schiff fährt dann mehr rückwärts als in Richtung Ziel. Mit dem Strom hingegen segelt es sich natürlich umso komfortabler.
Besonders anspruchsvoll sind allerdings die letzten Meilen vor der Mündung in die Nordsee. Ein falscher Wind, und das Wasser wird richtig ungemütlich, Wellen türmen sich hoch auf und die Schiffe knallen dann mit voller Wucht in die Wellentäler. "Da kann man das Fürchten kriegen", sagt selbst ein erfahrener Elbsegler wie Harmstorf. "Wenn man nach einem solchen Segeltag dann sicher im Hafen fest ist, ist man zu Recht richtig stolz", so Harmstorf. Deshalb wird er auch nicht müde zu betonen: "Wer auf der Elbe lernt, den kann nichts mehr erschrecken. Der kann in jedem anderen Revier segeln."
Der grauhaarige Mann, der gerade mal wieder nach einem solchen Erlebnis in Cuxhaven festgemacht hat, weiß, wovon er spricht, schließlich ist er genauso wie Harald Baum an der Elbe groß geworden. Kann sich ein Leben ohne die Segelei auf dem Fluss nicht vorstellen. "Die Landschaft ist einfach wunderschön, so abwechslungsreich, und hat sich in den vergangenen Jahren - im Gegensatz zu anderen Revieren - fast nicht verändert", so Harmstorf. Der große Reiz zeige sich auch in den Zahlen der Vereine. In der Hansestadt seien knapp 14 000 Mitglieder in 83 Vereinen registriert. 5000 größere, reviergeeignete Segelschiffe gebe es in Hamburg an der Elbe oder ihren Seitenflüssen. Doch das Besondere sei hier neben dem anspruchsvollen Revier - "wir lieben die Nähe zur Großschifffahrt" - auch der enge Zusammenhalt. "Die Kameradschaft unter Seglern, der Berufsschifffahrt und Wasserschutzpolizei ist nirgends so groß wie hier", sagt er nicht ohne Stolz. Man kennt sich. Hilft sich. Feiert und arbeitet zusammen. Wie eine ganz große Familie.
Eine Familie, die ihre Mitglieder gefangen nimmt. Einmal Elbsegler, immer Elbsegler. Diesen Eindruck wird man nach unzähligen Gesprächen nicht mehr los. Und so wundert es auch nicht, dass der eine oder andere sein Hobby zum Beruf macht. Wie Harald Baum. Er absolvierte eine Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann, später eine weitere zum Versicherungskaufmann. 1963 stieg er bei Pantaenius ein, sieben Jahre später übernahm er das Versicherungsunternehmen. Seitdem hat Baum Pantaenius zum Spezialisten für Yachtversicherungen in Europa ausgebaut. Und damit nicht genug. Er hat sein kleines Motorboot vor dem Bürohaus liegen, um rasch bei seinen Kunden aus der Hafenwirtschaft sein zu können. Oder mal schnell nach Hause zu fahren. Die Schiffe, auf denen er die Elbe rauf und runter segelte, wurden mit den Jahren immer größer. Seine "Elan", eine 14,60 Meter lange Yacht, liegt derzeit im Hafen von Wedel.
Doch der Segelsport auf der Elbe hat sich verändert, wissen Baum und Harmstorf zu berichten. "Früher mussten wir hier auf und ab segeln, weiter kamen wir nicht", so Baum. "Mittlerweile zieht es viele Fahrtensegler in die Nord- und Ostsee." Zudem würden die Schiffe immer größer. "Dafür ist die Elbe mit ihren flachen Sandbänken nicht das richtige Revier", so Baum. Und schließlich das bisher größte Problem für die Segler: Die Häfen und ihre Einfahrten verschlicken immer mehr. Geld für Baggerarbeiten aber fehlt. So appellieren die Wassersportler, die Gewässer besser zu erhalten. "Wir haben diese wunderbare Natur direkt vor der Nase, das muss einfach gefördert werden", sagt Baum.
Und will dann auch wieder los. Das Wochenende steht vor der Tür. Fragen, was er an den zwei Tagen macht, braucht man ihn nicht, die Antwort ist ja sowieso klar.
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