Lange war der Harburger Binnenhafen ein vergessener Ort. Heute wird der Hinterhof des Hafens immer schicker. Besuch bei seinen Lieblingsbewohnern.
Hamburg. Es sind tatsächlich nur 300 Meter bis zum gegenüberliegenden Kai - ganz so, wie er es in einem seiner Lieder beschrieben hat. Und Enten schwimmen hier im Harburger Binnenhafen auch. "Mein kleiner Ozean", so nennt Werner Pfeifer diesen Teil des Hafens. Ein verwinkeltes Areal ganz im Süden der Stadt, abgetrennt durch eine Schleuse von dem mächtigen Auf und Ab der Tide-Elbe. Für Pfeifer, Liedermacher und NDR-Reporter, ist dieses Revier seit mehr als zehn Jahren auch ein Stück Zuhause. 1990 kaufte er eine alte Hadag-Fähre, die "Stadersand". Als eine Art Wohnschiff liegt sie seit vielen Jahren im Binnenhafen, dem Pfeifer nun eine ganze Balladen-Sammlung gewidmet hat. "Kleiner Ozean", so heißt die CD. Manches Lied klingt da ein wenig wehmütig, manches auch schelmisch. Pfeifer singt von den besonderen Typen hier, von rostenden Schiffen und neuen Büros und Wohnungen am Wasser, die nun auch hier in der "kleinen Schwester der HafenCity" gebaut werden sollen.
Da ist etwas dran: Noch ist der Binnenhafen einer der letzten versteckten Winkel im Hamburger Hafen. Ein Teil des etwas rumpeligen Hinterhofes, wenn man so will. Und der drängt sich immer mehr zusammen, weil der moderne Container-Umschlag so gigantisch viel Lagerflächen braucht.
Vor zehn, 20 Jahren gab es noch viele solcher Ecken und kleinen Hafenbecken, die niemand mehr auf der Rechnung zu haben schien. Überall wie im längst zugeschütteten Kohleschiffhafen lagen da die Hausboote und schiffbaren Bastelprojekte. Mancher schraubte an einem rostigen Kahn und wurde nie fertig. Einige wohnten auch auf ihrem schwimmenden Zuhause - obwohl das eigentlich verboten ist.
Lange hat die Hafenverwaltung nicht so genau hingeschaut. In den letzten Jahren aber doch, weil neue Flächen für neue Terminals gebraucht wurden. Auf Romantik nimmt da niemand Rücksicht, die Zahlen müssen stimmen.
Übrig geblieben von diesen besonderen maritimen Nischen des Welthafens ist daher nur noch eine beschauliche Hausboot-Siedlung im Spreehafen, die eine oder andere vergessene Bucht - und vor allem der Harburger Binnenhafen. "Die Falten des Hafens sind weniger, schöner ist er aber nicht geworden", sagt Pfeifer.
Die letzten dieser Falten wollen wir uns heute anschauen: Die "Jula Lynn", Pfeifers Motorboot, ist gleich neben der "Stadersand" festgemacht. Wir werfen die Leinen los, tief brummt die Maschine. Am Heck schaufelt die Schraube erstaunlich klares Wasser hoch: Zwar mag im Untergrund noch manches Fass aus der industriellen Vergangenheit liegen, doch das Heideflüsschen Seeve sorgt hier für frischen Zulauf. Nachbarn von Pfeifer baden im Sommer sogar, wie die IT-Fachfrau, die gegenüber auf gleich zwei Segelyachten wohnt.
Mit dem Motorboot tuckern wir nun am Yachtzentrum Harburg vorbei. Nebenan werkeln Mitglieder des Traditionsschiffvereins Clipper an zwei großen Windjammern. Dann dreht Pfeifer eine Schleife und lässt das Boot auf eine riesige, früher einmal weiße Fähre zugleiten, die mitten im Hafenbecken an Pfählen festgemacht ist. "Ein Spukschloss, von dem niemand weiß, wem sie eigentlich gehört", singt Pfeifer in einer der Balladen.
Er tuckert weiter zur Staatswerft, wo Hamburgs Behördenschiffe gewartet werden. Dahinter ragt ein mächtiges Gebäude auf, das so gar nicht in dieses Gewerbegebiet am Wasser zu passen scheint. "Das ist der Rest vom Harburger Schloss", sagt Pfeifer und erzählt die Geschichte des Binnenhafens: Von der Burg, die im frühen Mittelalter dort stand und zum Schloss umgebaut wurde. Von Harburg, der einst preußischen Stadt, die dort entstand.
Das Schloss wurde zur mächtigen Festung mit einem mehrzackigen Schutzgraben. Aus dem Graben entwickelte sich der Hafen, was die verwinkelte Lage der Hafenbecken erklärt. Im 19. Jahrhundert nahm die Industrialisierung den Binnenhafen in ihren festen Griff. Noch in den 1980er-Jahren wurden hier Schrott, Kies und Fischmehl umgeschlagen. Dann der Niedergang der Industrie und erste neue Pläne. Aus einer Seifenfabrik wurden Büros, Investoren bauten aus alten Silos spektakuläre Bürohäuser. "Und nun geht es hier auf der Schlossinsel weiter", sagt Pfeifer: Auf dem Kai stehen Abrissbagger, ein markanter Speicherbau ist bereits zur Hälfte abgetragen. 160 Wohnungen am Wasser mit eigenem Yachtsteg werden dort gebaut, Teil des städteplanerischen Großprojekts "Sprung über die Elbe", mit dem der Hamburger Senat den Süden der Stadt attraktiver machen will.
Gegenüber wohnt Sänger Gunter Gabriel. Er lädt uns auf einen schnellen Tee ein. "Das ist hier meine Südsee - ohne diese Stimmung hätte ich nie mein Comeback geschafft", grummelt Gabriel. Mit deutsch gesungenen Coverversionen von Johnny-Cash-Songs ist er gerade wieder gut im Geschäft und hat sich erfolgreich aus der Pleite gearbeitet. Aus seinem Wohnzimmer genießt man einen Panoramablick über die alten Schiffe. Lounge-Musik vom BeachClub weht herüber. Auf einer der neuen Büro-Glasfassaden gegenüber spiegelt sich ein blauer Schein. Irgendjemand schweißt in der Nähe an seinem Schiff.
Ob dieser Mix auf Dauer gelingen kann, ob sich alte und neue Hafenbewohner vertragen werden? "Ich weiß es auch nicht", sagt Pfeifer, als wir wieder weiterfahren. Oft hat er Investoren an Bord, versucht, ihnen die besondere Stimmung dieses Hafens zu zeigen. "Ich fühle mich als Vermittler", sagt er. Und in dieser Rolle hat er inzwischen doch einigen Optimismus entwickelt. Zwar werde hier vor allem ein junges urbanes Publikum hinziehen, das wohl auch Geld hat. Doch ohne Liebe zum rauen Charme dieses Hafens, zu dem Ambiente aus perfekt restaurierten Windjammern und gammeligen Fähren, wird man hier nicht wohnen wollen, glaubt Pfeifer. Wie heißt es in einem seiner Song-Texte:
"Ach ich weiß nicht, ob er was bringt - der Sprung über die Elbe,
ob es uns hilft,
ob es uns verschlingt,
aber eines weiß ich ganz genau,
es bleibt spannend hier an diesem Ort,
deshalb bleibe ich und gehe nicht fort".