Die Hüter der grünen Kolonien verteidigen ihre Tradition und sprechen über Erntefreuden und Parzellen in Zeiten des Wohnungsmangels.

Hamburg. Wie viel Wohnungsbau verdrängt wie viele Hamburger Kleingärten? Welche Rolle spielten sie früher, und warum sind sie heute immer noch so gefragt? Sie müssen es wissen: Ingo Kleist, 83, ist seit 1984 Vorsitzender des Landesbundes der Gartenfreunde e. V., Dirk Sielmann, 46, ist seit 2009 Geschäftsführer.

Hamburger Abendblatt: Woher kam Ihre Liebe zum Kleingarten?

Ingo Kleist: Mein Großvater hatte einen auf dem Gleisdreieck beim Rübenkamp. Da waren wir als Kinder immer. Als er starb, hatte ich lange Zeit nichts mit Kleingärten zu tun. Dann hat man mich gefragt, ob ich beim Landesbund Geschäftsführer werden wollte. Als ich hier anfing, habe ich in Ohlsdorf den Kleingarten-Verein Am Kupferteich gegründet. Meine Parzelle hatte ich mehr als 20 Jahre lang. Weil die Stadt dort ein Durchlaufsiel nach Alsterdorf baute, fiel dafür vor sieben Jahren auch mein Garten weg.

Dirk Sielmann: Wir haben einen Garten an unserer Mietwohnung auf St. Pauli. Aber ich komme kaum dazu, viel im Garten zu tun.

Kleist: Das ist auch schwierig, wenn Sie einen Job wie diesen haben. Dann sind Sie am Wochenende nicht im Garten, sondern auf Vereinsveranstaltungen. Ich hatte mir vorgenommen, dass ich jeden meiner über 300 Vereine zumindest einmal besuchen wollte. Das habe ich in 30 Jahren nicht geschafft. In einigen bin ich sehr oft gewesen, in anderen gar nicht. Da, wo es eine friedliche Gemeinschaft gab, hatte ich keine Probleme zu lösen. Als Vorsitzender oder Geschäftsführer ist man ja als eine Art Troubleshooter unterwegs.

Es heißt, im Krieg und in der Nachkriegszeit hätte Hamburg ohne Kleingärten nicht überlebt. Wie war das?

Kleist: Im Krieg hatten sie eine zentrale Versorgungsrolle. Und auch danach hatten wir in Hamburg noch 55 000 Kleingartenparzellen, die zur Selbstversorgung der Bevölkerung voll bewirtschaftet wurden. Mein Großvater hat auf seinen 1000 Quadratmetern alles selbst angebaut, bis hin zum Tabak. Durfte er zwar nicht, aber alle haben es gemacht. Und wir haben in den schlechten Zeiten von dem Garten gelebt. Das war die einzige Möglichkeit klarzukommen, bis es 1948 nach der Währungsreform langsam wieder bergauf ging. Und dann kam die große Kündigungswelle.

Die Stadt hat den Vereinen die Flächen gekündigt?

Kleist: Ja, weil ab den 50er-Jahren dringend Wohnungen gebraucht wurden. Da entstanden die ersten Neubausiedlungen, später die Großsiedlungen wie Mümmelmannsberg und Steilshoop. Das waren alles Kleingartenkolonien gewesen. In den 70ern entstand die City Nord als Gewerbestadt - dafür fielen wieder 2500 Kleingärten weg.

Viele Ausgebombte und Flüchtlinge hatten in Kleingärten eine Bleibe gefunden.

Kleist: Sogar heute wohnen noch mehr als 1000 Menschen in Hamburg dauerhaft legal in Kleingärten. Die zahlen ein Wohnnutzungsentgelt. Die Stadt würde das am liebsten beenden. Aber nehmen Sie mal einen 70- bis 80-Jährigen dort raus und jagen Sie ihn in eine Etagenwohnung. Der stirbt, bevor er dort eingezogen ist, denn das halten die alten Leute gar nicht aus. Deshalb sollte man das so lassen.

Wie viel Kleingartenfläche ist denn seit 1945 in Hamburg verschwunden?

Kleist : Das haben wir nicht ausgerechnet. Seit 1967 hat der Landesbund einen sogenannten Zehntausender-Vertrag, den meine Vorgänger damals mit der Stadt ausgehandelt haben. Der besagt, dass wir 10 000 Parzellen rausgeben und dafür im Gegenzug 10 000 neue hergerichtet bekommen. Nach dem Bundeskleingartengesetz haben wir ja einen Anspruch auf neue Kleingärten. Inzwischen wurde der Vertrag ein paar Mal verlängert und wir haben etwa 15 000 Parzellen herausgegeben. In diesem Jahr endet der Vertrag, und die Stadt ist sehr bemüht, ihn fortzusetzen.

Der Landesbund nicht?

Kleist: Nein, gar nicht so sehr. Der Landesbund hat damals darauf verzichtet, dass Ersatzflächen in unmittelbarer Nähe der wegfallenden Kleingärten geschaffen werden müssen ...

Sielmann: Und das heißt, nach dem Vertrag kann die Stadt die Ersatzflächen zeitverzögert und an anderer Stelle einrichten.

Kleist: Wenn in Eimsbüttel ein Kleingarten verschwindet, können Sie davon ausgehen, dass in Harburg neue Flächen entstehen. Aber das ist nicht der Sinn der Sache. Denn Hamburg ist eine große Stadt. Unsere Klientel, das sind die Mieter in Geschosswohnungen. Und da wollen wir nicht, dass die Leute weite Strecken zurücklegen müssen, um zu ihren Kleingärten zu kommen. Die sollen fußläufig oder mit dem Fahrrad zu erreichen sein.

Sielmann: Heute ziehen immer mehr junge Leute in die Altbauquartiere, wo es keine Gärten gibt. Die Kinder wollen toben. Deshalb fragen alle nach Kleingärten in der Nähe. Das Bedürfnis geht schon so weit, dass Leute auf Parkdecks mobile Gärten errichten, Community Gardens, wie jetzt auf St. Pauli.

Heute steht aber nicht mehr die Selbstversorgung im Vordergrund. Welche Funktion haben Kleingärten heute?

Kleist: Früher hieß es: Je mehr Kartoffeln ich ernte, desto besser kann ich überleben. Ich weiß noch, dass wir als Kinder im Kleingarten meines Großvaters Kohlen bei den Eisenbahnern klauten und abends mit Äpfeln und Kohlen nach Hause kamen. Spielgeräte und Gartenmöbel gab es damals kaum in den Parzellen. Inzwischen haben sich mit den Ansprüchen der Bevölkerung natürlich auch die Kleingärten verändert. Sie sind heute überwiegend Ziergärten, die mehr der Erholung dienen. In unserer schnelllebigen Zeit findet man in einem Kleingarten noch Muße, eigenen Tätigkeiten nachzugehen.

Sind Kleingärten ein Hort des Gartenwissens?

Kleist: Auch das. Unser vollzeitbeschäftigter Fachberater zum Beispiel bildet jedes Jahr rund 50 bis 60 interessierte Mitglieder im Pflanzenschutz aus, mit einer richtigen unabhängigen Prüfung, die im Pflanzenschutzamt stattfindet. Wir bieten auch eine Bodenberatung an. Kleingärtner probieren vieles aus, es gibt ja viele neue Züchtungen, von Radieschen bis zum Obst.

Sielmann: Kleingartenanlagen beherbergen in Deutschland bis zu 2000 verschiedene Arten, das wird in Untersuchungen immer wieder festgestellt. Es gibt in Hamburg keinen Park, der eine solche Vielfalt an Vögeln, Insekten, Pflanzen aufweist.

Wie haben sich Ihre Mitgliederzahlen in den letzten Jahrzehnten entwickelt?

Kleist: Die sind konstant geblieben. Es ist seit vielen Jahren bei ca. 34 000 Pächtern geblieben.

Sielmann: Wir haben eine Belegung von 98 Prozent, zwei Prozent sind Fluktuation. Und in einigen Vereinen gibt es Wartelisten mit mehr als 150 Namen, vor allem in Altona und Eimsbüttel.

Kleist: Wir wüssten da ein paar geeignete zusätzliche Flächen, auch wenn die Stadt noch ein bisschen mauert. Zum Beispiel das neue Projekt "Mitte Altona" oder die östliche HafenCity: Wenn man dort Geschosswohnungen baut, könnte man am Rand auch ein paar Kleingärten einplanen, und seien es nur 50 oder 60.

Herr Kleist, Ihre Partei, die SPD, hat sich traditionell immer für beides eingesetzt: den Wohnungsbau und die Kleingartenidee. Steht beides heute in Konkurrenz?

Kleist: Eigentlich nicht, aber im Moment wird das so praktiziert. Ich bin ja nun nicht mehr in der Politik, vielleicht deshalb. Nachdem zehn Jahre lang nichts gemacht worden ist, sehen wir ein, dass jetzt wieder ein neues Wohnungsbauprogramm nötig ist. Aber es gibt genügend Flächen in Hamburg, die bebaut werden können, ohne dass Kleingärten darunter leiden müssen. Man muss nur bereit sein, beides nebeneinander existieren zu lassen.

Ist die Bereitschaft dazu denn da?

Kleist: Der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte hat gesagt, dass er Wohnungsbauflächen ausweisen will, aber ohne dafür Kleingärten zu opfern. Der Bezirk Nord hingegen will das Hebebrand-Quartier ausbauen, dafür 330 bestehende Kleingärten vernichten und nur 180 neue bauen. Und für die Verbreiterung der Autobahn 7 sollen gerade im Bereich Altona sogar circa 550 Parzellen wegfallen. Geplant ist, die Autobahn dort aus Lärmschutzgründen zu überdeckeln. Auf diesem Deckel will man einen Meter dick Granulat aufschütten und dort neue Kleingärten anlegen. Aber auf einem Meter Granulat können Sie keinen Baum pflanzen, selbst dann nicht, wenn es Mutterboden wäre. Also, da müsste der Senat sich wirklich noch bewegen.

Werden die Hamburger Kleingartenflächen weiter empfindlich schrumpfen?

Sielmann: Nein, das glaube ich nicht. Zumal sich der Erste Bürgermeister Olaf Scholz auf unserer Landesbund-Versammlung in diesem Jahr auch als Anwalt der Kleingärtner gezeigt hat. Er sieht die Notwendigkeit, in Hamburg Kleingärten zu haben.

Kleist: Kleingärten gehören zu einer Großstadt wie die Luft zum Atmen. Beton kann man nämlich nicht atmen.