Sparda-Chef Heinz Wings über seine Kindheit auf dem Lande und bahnbrechende Ideen. Heinz Wings hat ein Trauma. Seit 53 Jahren.
Hamburg. Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für diese Stadt leisten, in Hamburg als Vorbilder gelten. Folge 33: Heinz Wings, Chef der Sparda-Bank. Er bekam den roten Faden von Roger Willemsen.
Heinz Wings hat ein Trauma. Seit 53 Jahren. Müsste er auf dies verzichten, säße er heute nicht auf dem Sessel des Vorstandsvorsitzenden der Sparda-Bank Hamburg. Dann hätte er vielleicht den rollenden Arzthocker unter sich. Denn Wings' Berufswunsch war einst Gynäkologe, das medizinische Fachgebiet interessierte ihn, das Trauma hinderte ihn.
Wie immer liegt es auch beim heute 60-Jährigen tief in der Kindheit: Wings wuchs glücklich und gut behütet im nordrhein-westfälischen Eschweiler-Dürwiß auf. Sein Großvater hatte einen Bauernhof mit vielen Tieren und noch dazu eine der ersten Hähnchenfarmen. Ein Vorreiter, der jedoch noch nicht maschinell produzierte, sondern die Tiere per Hand verarbeiten ließ. "Ich erinnere mich gut daran, dass dort so zehn Frauen standen, die die Tiere gerupft haben", sagt Wings. "Am Ende der Reihe kam ich, weil ich als Siebenjähriger die zartesten Hände hatte, und musste die Innereien der Tiere herausnehmen." Wings macht mit der rechten Hand eine langsame, drehende Bewegung, als greife er konzentriert und beherzt nach Lunge und Leber des Geflügels. "Diese Situation ist bei mir mitnegativen Gefühlen korreliert, seitdem kann ich es nicht einmal haben, wenn ich nur den Geruch von Brathähnchen schnuppere."
Essen geht schon mal gar nicht. Und das medizinische Handwerk, das Fingerfertigkeit erfordert, ebensowenig. Ein bisschen wehmütig schaut er schon, wenn er davon erzählt, dass sein Schwager Frauenheilkundler geworden ist. "Der hat mir nämlich auch gesagt, dass ich tolle schlanke Hände habe", sagt Wings. "Aber das wusste ich ja schon von meinem Opa." Er lacht, wie er es im Gespräch noch oft tun wird. Deutlich wird, dass er ein offener, überraschender Gesprächspartner ist, der sich mit der Situation ausgesöhnt hat und glücklich ist, seinen Weg im Bankwesen gegangen zu sein. Der äußersterfolgreich war und ist.
Wings weiß das. Schließlich bestimmt die Arbeit bei der Genossenschaftsbank sein Leben. Zum Leidwesen seiner Ehefrau Uschi, die seit Jahrzehnten für längeren Urlaub in edlen Hotels plädiert. "Das kommt alles noch", erklärt Wings, der für diese Zeit genauso einen Plan hat wie für allesandere. Denn der Mann mit den pechschwarzen Haaren ist niemand, der sein Weiterkommen dem Zufall überlässt. Dabei wirkt er keineswegs angestrengt, vielmehr ist er entspannt, offen undreflektiert.
Dass er visionäre Gedanken hatte und hat, ist ihm bewusst, er beschreibt sie und spricht stolz darüber, ohne eingebildet zu wirken. Er lässt einfach seine eigenen Interessen, Kenntnisse, Erfahrungen und Vorlieben in den Beruf einfließen. Trennt dabei nicht, sondern forciert das Verschwimmen der Abgrenzungen. Beispiel Internet: Privatmann Wings reizte es schon 1994, mehr über das aufkommende Medium zu erfahren. Er beschäftigte sich früher als andere damit, las darüber, wurde zum Experten in diesem Technologiebereich. So geschah es auf seine Initiative hin, dass die Sparda-Bank Hamburg 1996 das erste Kreditinstitut war, dassicheres Internet-Banking anbieten konnte. 1998 gründete Wings mit anderen Sparda-Banken die netbank AG - Europas erste Bank, die sich ausschließlich auf den Vertriebskanal Internet konzentriert und deren Aufsichtsratsvorsitzender er heute ist. "Und 2002 gingen wir als erste deutsche Bank mit eigenem TV-Format auf Sendung. 2004 haben wir den Voice-Award für den branchenweit besten Sprachcomputer bekommen", sagt er. Beim Telefonbanking setzte Wings auf die Stimme der früheren "Lotto-Fee" Karin Tietze-Ludwig als automatischer Ansagerin von Kontoständen, Umsätzen und Fondszahlen. Nicht weil ihm Experten dazu rieten, sondern weil er sie "angenehm vibrierend" fand, das heißt natürlich ihre Stimme. "Als Kind und Jugendlicher habe ich abends immer auf die Lottozahlen im Fernsehen gewartet und gefiebert, ob wir die Richtigen haben", sagt Wings. "Einmal war es so: fünf Richtige von sechs! Ich hatte sieangekreuzt! Aber leider hatte mein Vater den Schein nicht abgegeben", sagt er. "Nicht so gut."
Aber vielleicht wäre er mit dem Gewinn sonst nie Banker geworden. Oder weniger ehrgeizig gewesen.
Denn ehrgeizig ist Heinz Wings, der seit 25 Jahren bei der Sparda-Bank Hamburg arbeitet. Er hat sich seinen Erfolg Schritt für Schritt erarbeitet: verkürzte Ausbildung zum Bankkaufmann nach der Realschule, Abendgymnasium, dann das Betriebswirtschaftslehre-Studium an der Universität Münster. 1999, mit 47 Jahren, machte er seinen Doktortitel am Informatik-Lehrstuhl der Universität Regensburg. "Es war mir gelungen, noch vor meiner Tochter zu promovieren", sagt Wings fröhlich, doch man spürt, dass ihm diese Tatsache nicht unwichtig ist. Die 35-jährige Sandra ist Anästhesistin und Notärztin in Hannover. "Ich freue mich, dass sie das gemacht hat, was ich einmal machen wollte, Medizin", sagt Wings. Sein Sohn Stefan, 31 Jahre, ist Steuerberater und bereitet sich auf seine Prüfung zum Wirtschaftsprüfer vor.
Wings interessiert sich für das Leben und die Arbeitsinhalte seiner Kinder, ist er doch kein Typ, der das Verharren genießen kann. Er braucht immer etwas zu tun. Oft schreibt er leidenschaftlich Artikel für Fachmagazine, dann denkt er über neue Möglichkeiten der Kundengewinnung für die Bank nach. Bis ihm etwas einfällt. Und das klappt dann immer? "Ja gut, 2002 haben wir Ökostrom verkauft und das mit der Eröffnung eines Girokontos verknüpft", sagt Wings und lächelt nicht mehr. "Diese Kombi war schwierig, und wir haben uns dann dort wieder zurückgezogen. Aber auch da waren wir unserer Zeit voraus, der Trend zum sauberen Strom kam da ja gerade erst auf."
Er blickt aus dem Fenster seines Büros und schaut auf die Gleise des Bahnhofs Altona. Hier kann er die ständige Bewegung, das abwechslungsreiche Kommen und Gehen beobachten. Und wird an die Wurzeln der Bank erinnert: 1903 startete die Sparda-Bank Hamburg, als "Spar- und Darlehnskasse von Eisenbahnbediensteten im Eisenbahndirektionsbezirk Altona". An der Wand hat er ein dunkles Holzbrett mit einem Gleisteil aufgehängt. Darauf steht: "Original Schienenstück der ersten deutschen Eisenbahnstrecke Nürnberg-Fürth 1835". Darüber prangt ein altes Schaffner-Signalhorn. Wings, 1987 von einer Privatbank gewechselt, ist bundesweit der erste Nicht-Eisenbahner im Vorstand, fühlt sich angekommen. "Ich habe von Anfang an die DNA erkannt, und die hat mit meiner Erbmasse übereingestimmt", heißt das bei ihm, der gern anschaulich beschreibt. "Ein Baum, der nicht wächst, stirbt", sagt er und meint den Zwang zu stetiger Weiterentwicklung seiner Bank.
Die Ideen für ebendieses Vorankommen hat Wings unter seiner "Spaßdusche" oder in der eigenen Sauna in seinem Haus in Uetersen. Da fliegen ihm die segensreichen Gedanken nur so zu, abzulesen an Wasser- und Stromrechnung. "Ich bin auch vom Sternzeichen her Wassermann, das ist mein Element. Bei mir muss immer alles im Fluss sein." Doch nur mit Wasser, Ehrgeiz und Einfallsreichtum hätte er es wohl auch nicht so weit gebracht. "Nein, ohne meine Frau wäre ich nicht das, was ich heute bin", sagt Wings.
Auf die Fremdsprachenkorrespondentin, die er schon auf der Abend-schule kennenlernte, kann er sich immer verlassen. "Wenn ich Termine mit ausländischen Geschäftspartnern zum Beispiel im Hafen-Klub habe, dann nehme ich gern meine Frau mit, denn sie kann ja perfekt Englisch und Französisch und dolmetscht dann." Sie habe ihn allerdings in den Klassenarbeiten bei den Sprachen nie abschreiben lassen. Er sie ebenfalls nicht in Mathematik, die er perfekt beherrscht. Doch mit einem gemeinsamen Freund hatten sie eine Lerngruppe, lernten sich dadurch immer besser kennen und lieben und verbrachten viel Zeit zusammen.
Ein Wunsch, den Wings' Frau jetzt auch wieder hat. Und der sich mit den Plänen des Gatten für die Zukunft deckt. "Ich könnte mir für später vorstellen, wirklich drei oder vier Monate des Jahres mit meiner Frau auf Mauritius zu sein und dann vom Strand aus eine Internet-Bank zu führen. Das ist das Banking der Zukunft, unabhängig von Zeit und Raum", sagt er und lacht. "Aber Reiten lernen würde ich auch wirklich sehr gern - und ein weiterer Traum von mir ist, im Hochschulbereich zu lehren und mein Erfahrungswissen weiterzugeben."
Genug Pläne, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Oder an gebratene Hähnchen denken zu müssen.
Der rote Faden geht weiter an Prof. Dr. Reinhard Schneppenheim, Direktor der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie des UKE, "weil wir mit dem Kampf gegen den Kinderkrebs ein gemeinsames Ziel haben. Er als forschender Arzt, wir als Sparda-Bank Hamburg und auch ich persönlich durch finanzielle Hilfe", sagt Wings.