Wulff war kein überzeugender Bundespräsident. Der Ehrensold steht ihm dennoch zu
So viel Unmut war selten: 84 Prozent der Bürger sprechen sich im aktuellen Deutschland-Trend dagegen aus, dem ehemaligen Staatsoberhaupt Christian Wulff bis zu seinem Lebensende 199 000 Euro jährlich zu zahlen. So viele Gegner hatte der Präsident der Schnäppchenjäger zu keinem Zeitpunkt des Affärenreigens. Obwohl fast im Stundentakt neue Vorwürfe - ernste wie lächerliche - erhoben wurden, bröckelte der Rückhalt des einst beliebtesten deutschen Politikers langsam. Bis in den Januar wusste Wulff die Mehrheit hinter sich, noch Anfang Februar lehnten 43 Prozent einen Rücktritt ab.
Bei Geld hört die Freundschaft auf. Offenbar schreckt der Gedanke, ein Politiker streiche einen hohen Ehrensold ein, mehr als die Tatsache, dass sich ein ungeeigneter Politiker an sein Amt klammert. Natürlich ist der Unmut vieler Deutscher über das üppige Ruhegeld auf den ersten Blick verständlich. Knapp 200 000 Euro sind eine Summe, die viele nach einem arbeitsreichen Leben nicht einmal in einem Rentner-Jahrzehnt zusammenbekommen. Wulff darf sich nach nicht einmal 20 Monaten im Schloss Bellevue auf eine jährliche Zahlung dieser Summe freuen. Gerade nach einer, höflich formuliert, unglücklichen Amtszeit hat Wulff in den Augen vieler seinen Ehrensold verwirkt.
Doch was viele für richtig halten, ist nicht automatisch Recht. In einem Rechtsstaat gelten Gesetze - in diesem Fall das Gesetz über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten vom 17. Juni 1953. Demnach steht dem 52-Jährigen die lebenslange Sofortrente zu. Beim Ehrensold handelt es sich nicht um eine Prämie für gute Amtsführung. Die Güte der Arbeit spielt - wie bei Pensionen oder Betriebsrenten - keine Rolle. Daran dürfte auch eine mögliche strafrechtliche Verurteilung nichts ändern. Auch wenn es schwer fällt, wir müssen es akzeptieren.
Dass Wahlkämpfer wie Jürgen Koppelin (FDP) aus Schleswig-Holstein oder der saarländische SPD-Chef Heiko Maas Wulffs Ehrensold infrage stellen, ist nachvollziehbar, politisch klug ist es nicht: Die Demontage des Amtes durch den Amtsinhaber Wulff setzen seine politischen Gegner nun nach dem Rücktritt fort. Und leisten der Politikverdrossenheit Vorschub.
Jürgen Trittin hat Recht: Der Ehrensold ist im Prinzip sinnvoll. Über die Höhe kann man sicherlich streiten. Aber ein Bundespräsident - das Staatsoberhaupt eines 82-Millionen-Volkes - sollte nach seiner Amtszeit finanziell unabhängig bleiben und darf kein Fall für die Agentur für Arbeit werden. Ja, man muss es nach den unwürdigen Wochen in Schloss Bellevue anfügen, der Ehrensold gibt einem Bundespräsidenten möglicherweise erst die finanzielle Freiheit, von einem Amt zurückzutreten.
Zurecht verlangen wir Deutschen viel von dem Amt. Politische Qualität gibt es aber nicht zum Nulltarif. Warum also sollen wir wegen eines falschen Präsidenten den Ehrensold infrage stellen? Und warum neiden wir Politikern, was fast jedem gescheiterten Vorstand eines größeren Unternehmens zugestanden wird?
Die Diskussion bekommt etwas Bigottes: Die Deutschen sehnen sich nach politischer Kompetenz, nach unbestechlichen Charakterköpfen, nach Elite. Doch sie missgönnen ihrem Führungspersonal das Ruhegeld und entlohnen es schlechter als manchen Krankenkassenvorstand. Zugleich hat die Affäre Wulff gezeigt, welche hohen moralischen Maßstäbe an die Politik gestellt werden: Zwar finden viele einem Werbespruch zufolge Geiz offenbar "geil", nicht aber einen Schnorrer als Präsidenten. Für ihn gelten Standards, die viele selbst niemals einzuhalten bereit wären. Mit der Affäre Wulff ist Politik in Deutschland nicht attraktiver geworden. Man darf sich nicht wundern, dass in einem solchen Land eine Durchschnittsbegabung wie Christian Wulff es bis ins Schloss Bellevue schafft.