In unserer neuen Reihe “Die Stadt in der Stadt“ lernen Sie Monat für Monat einen Teil Hamburgs kennen, der für sich genommen wie eine Stadt funktioniert. Diese Mikrokosmen besitzen eine eigene “Regierung“, eine unabhängige Versorgung und eine selbstständige Infrastruktur. In der ersten Folge stellen wir die Universität Hamburg und ihre “Bevölkerung“ vor.
Regierung und Bürgermeister
Seit März 2010 steht ein Erziehungswissenschaftler an der Spitze einer der größten deutschen Hochschulen. "Ich fühle mich außerordentlich wohl an einer Universität, die konsensorientiert ihre Zukunft gestaltet", sagt Dieter Lenzen, Präsident und damit Oberhaupt der Universität Hamburg. Zuvor leitete der 64-Jährige die Freie Universität in Berlin. Die Universität Hamburg versteht sich als "Das Tor zur Welt der Wissenschaft" - und der gebürtige Münsteraner hat sich zur Aufgabe gemacht, "die Öffentlichkeit über den Bildungsauftrag und die Leistungsfähigkeit der Universität aufzuklären". Unterstützt wird er vom Präsidium, der Spitze der Verwaltung. Nur die Behörde für Wissenschaft und Forschung ist dem Präsidium übergeordnet.
Bürgervertretung
Sie gestalten Flugblätter, organisieren Veranstaltungen auf dem Campus und führen vermittelnde Gespräche mit Entscheidungsträgern. Und wenn es alles nichts nützt, dann muss eben demonstriert werden: Der AStA (Allgemeine Studierendenausschuss) macht sich in der Hochschulpolitik für die Belange der Studierenden stark. Ganz vorne mit dabei ist Luise Günther, Mitglied des AStA-Vorstands. "Ich war immer schon sehr motiviert, die Hochschulpolitik mitzugestalten", sagt die Jura-Studentin. "Und im Falle des Falles gehen wir eben auf die Straße und verleihen unserer Stimme in dieser Form Ausdruck."
Bewohner
Täglich bevölkern Tausende Studierende und Mitarbeiter der Universität den Campus im Zentrum der Hansestadt. Rund 39 400 Studierende sind derzeit eingeschrieben, 57 Prozent von ihnen sind weiblich. Etwa zwölf Prozent stammen aus dem Ausland. Bei den Professuren ist die Geschlechterverteilung anders: Nur knapp 24 Prozent der 670 Professoren sind weiblich. Daneben gibt es 4090 wissenschaftliche Mitarbeiter und 6640 Angestellte, die im technischen Bereich arbeiten oder dem Verwaltungspersonal angehören.
Stadtteile
Die Struktur der Universität ist untergliedert in verschiedene Fakultäten, die wiederum alle ein Oberhaupt, den Dekan, haben. Als Volluniversität bildet die Uni Hamburg in Rechtswissenschaft, Medizin, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft, Geisteswissenschaften sowie Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften aus. Die Fakultäten sind wiederum in Fachbereiche aufgeteilt, aus denen heraus den Studierenden 170 Bachelor- und Masterstudiengänge angeboten werden. Schwerpunkte im Bereich der Forschung sind unter anderem die Bereiche "Klima, Erde und Umwelt", "Materie und Universum", aber auch "Neurowissenschaften" und "Mehrsprachigkeit".
Lebensmittelversorgung
Pommes, Schnitzel und Currywurst - die Kantinenklassiker laufen gut in der Mensa Studierendenhaus, die von allen Studenten nur "Schweinemensa" genannt wird. Warum, das weiß keiner so genau. An der Hygiene kann es nicht liegen. Gerade erst wurden die Mensen des Studierendenwerks für ihr gut laufendes Konzept ausgezeichnet. Um die Mittagszeit ist es schwierig, mehr als drei zusammenhängende Plätze in einer der 13 Kantinen, den neun Cafés und sechs Café-Shops des Studierendenwerks zu finden. 85 Prozent der Studierenden nutzen das Angebot regelmäßig, bis zu 21 000 Gäste werden Tag für Tag bedient. Den größten Anteil davon versorgen Andreas Gollers und sein Team aus der größten Mensa an der Schlüterstraße. "Wir bereiten täglich bis zu 2800 Essen zu und haben etwa 3500 Gäste", sagt der Mensa-Chef. An jedem Tag kann aus fünf Gerichten gewählt werden - das günstigste gibt es für 1,20 Euro, das teuerste kostet 4,95 Euro. Die Mensen haben vegetarische und neuerdings auch laktosefreie Menüs im Angebot.
+++ Die Uni Hamburg in Zahlen +++
Infrastruktur
René Scheibes Revier ist der 600 000 Quadratmeter große Campus "Von-Melle-Park" - und der Rest der 170 Gebäude, die kreuz und quer im kompletten Stadtgebiet verteilt sind. "Wenn mal ein Wasserhahn tropft oder eine Glühbirne defekt ist, müssen wir in Aktion treten", sagt der Leiter des Referates Gebäudeinstandhaltung und -service, der mit seinem Team dafür sorgt, dass beispielsweise die Sicherheit auf dem Campus gewährleistet ist, rechtzeitig alle Türen verschlossen sind und die Gebäude regelmäßig gereinigt werden. Eben alles, was nötig ist, damit sich die Studierenden wohlfühlen. Seit dem 1. Februar sind aufgrund mehrerer Einbrüche in den vergangenen Monaten die größeren Gebäude aus Sicherheitsgründen rund um die Uhr bewacht. Grenzen um den Campus herum gibt es nicht. "Einerseits wollen wir die offene Uni weiterhin gewährleisten, da einige Mitarbeiter teilweise bis tief in die Nacht hinein arbeiten", sagt Scheibe. "Andererseits muss aber auch die Sicherheit unbedingt gewährleistet werden - wir suchen gerade nach einem guten Mittelweg."
Post
"An einem Tag können schon einmal 6000 Sendungen rausgehen - an Spitzentagen sind es sogar 10 000", sagt Andreas Kniep. Der Chef der Poststelle kümmert sich gemeinsam mit seinen sechs Mitarbeitern auch um die gesamte eintreffende Post, Päckchen und die Sendungen, die innerhalb der Universitäten zwischen den verschiedenen Abteilungen hin und her geschickt werden. Mehrmals täglich holen Kuriere und Zusteller die Sendungen aus der Poststelle am Allende-Platz ab, fahren sie durch ganz Hamburg. Im Jahr bewältigt das Team rund 700 000 Briefe und Pakete.
Soziale Unterstützung
Rund 70 Millionen Euro zahlen Birte Aye und ihre Kollegen vom Beratungsteam für Studienfinanzierung (BeSt) jährlich an Fördermitteln aus - damit der Wunsch, zu studieren, nicht am Geld scheitert. Das Amt ist Teil des Studierendenwerks und für die Bearbeitung der BAföG-Anträge zuständig. Genügt der staatliche Zuschuss nicht, informiert das BeSt auch über Studienkredite. "Wir beraten bei der Auswahl der jeweils günstigsten Finanzoptionen", sagt Birte Aye, Leiterin des BeSts. "Außerdem begleiten wir die Studierenden in allen Studienphasen und wollen vor allem Mut zum Studium machen."
+++ Die wichtigsten Einrichtungen +++
Leben und Wohnen
Ein möbliertes Zimmer in Hamburg für nicht viel mehr als 200 Euro? Gibt es - und zwar in den Wohnheimen des Studierendenwerks. 22 an der Zahl sind kreuz und quer über die Hansestadt verteilt. Sie bieten etwa 3700 jungen Menschen eine Bleibe. Zehn bis 13 Quadratmeter groß sind die Zimmer in den Flurgemeinschaften, die wie ganz normale WGs funktionieren. Die Wohnzeit ist auf zehn Semester begrenzt. Rund 35 Prozent der Zimmer sind für Studenten aus dem Ausland reserviert. Weil die Nachfrage so groß ist, wird gerade eine weitere Wohnanlage vom Studierendenwerk mit 200 Plätzen in Hammerbrook gebaut.
Kinder
Das große Krabbeln herrscht in der Kita Bornstraße, fünf Minuten zu Fuß vom Campus entfernt. 70 Kinder, größtenteils von Studierenden, aber auch von Familien in der Nachbarschaft, werden täglich von Lizzy Christensen und ihrem Team betreut. "Studieren mit Kind ist angesichts der zunehmenden Belastung eine Herausforderung, die aber mit einem guten Betreuungsangebot zu meistern ist", sagt die Erzieherin, die bereits seit 20 Jahren in der Bornstraße arbeitet. "Die Eltern sollen sich auf ihr Studium konzentrieren können, weil sie ihre Kinder bei uns gut versorgt wissen." Neben der Kita in der Bornstraße gibt es noch vier weitere Betreuungsstätten in unmittelbarer Nähe zum Campus "Von-Melle-Park", in denen insgesamt 370 Kinder täglich betreut werden können.
Kirche
Wenn junge Theologen einen Gottesdienst veranstalten, dann darf auch mal eine szenische Inszenierung dabei sein - oder ein Jazzmusiker. "Angst vorm Sterben, Mut zu Leben" - so heißt das Thema der Universitätsgottesdienste im diesem Semester, angeleitet von Universitätsprediger Hans-Martin Gutmann, der gleichzeitig Professor im Fachbereich Evangelische Theologie ist. "Die Studierenden lernen bei diesen Gottesdiensten die praktische Arbeit kennen, die sie als Theologen in ihrem Arbeitsleben erwarten kann", sagt Gutmann, der vor seiner Universitätskarriere Pastor an der Braunschweiger Landeskirche gewesen ist. Nun hat er sich der Lehre verschrieben und gestaltet mit den Studierenden in seinen Seminaren die Gottesdienste, die im Semester alle zwei Wochen in der Kirche St. Katharinen gefeiert werden und nicht nur bei Angehörigen der Uni beliebt sind.
Technische Versorgung
Das Regionale Rechenzentrum (RZZ) in der Schlüterstraße ist die hochtechnologische Kommandozentrale der Hamburger Universität. "Das Netzwerk reicht vom Botanischen Garten in Klein Flottbek bis hin zur Sternwarte in Bergedorf", sagt Stephan Olbrich, der neben seinem Job als Chef des Rechenzentrums eine Professur im Fachbereich Informatik innehat. "All die Einrichtungen sind mit etwa 200 Kilometer Glasfaser verbunden." 3500 angeschlossene PCs können dadurch zentral von der Schlüterstraße aus verwaltet werden. 1,5 Millionen Mails gehen pro Tag ein. Auf den Servern des Rechenzentrums befindet sich Speicherplatz von etwa 250 Terabyte.
Gesundheitsversorgung
Mit insgesamt 1413 Betten ist das Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) eines der größten Krankenhäuser im Norden - und gleichzeitig die Ausbildungsstätte der Medizinstudenten der Uni Hamburg. Jährlich werden rund 76 000 Patienten stationär aufgenommen, 25 700 werden ambulant versorgt. Dazu kommen noch rund 114 000 Notfälle. Viele Therapien können in Hamburg und Umgebung nur am UKE erfolgen. Unter den rund 8900 Mitarbeitern sind etwa 2000 Ärzte und Wissenschaftler, 2782 Pfleger und Therapeuten.
Freizeitangebote
"Mit unseren Ausstellungen machen wir unsere Forschungsarbeit für die Außenwelt sichtbar", sagt Alexander Haas stolz. Gemeinsam mit ein paar Kollegen betreibt der Wissenschaftler das kleine, aber feine Zoologische Museum, in dem die Besucher beispielsweise herausfinden können, wie sich Leopardenfell und Schlangenhaut wirklich anfühlen. Gleiches gilt für die Ausstellungen im Geologisch-Paläontologischen Museum, dem Museum für Nutzpflanzen im Loki-Schmidt-Haus, dem Botanischen Garten in Klein Flottbek oder im Mineralogischen Museum an der Grindelallee. An den Wochenenden öffnet sogar die Hamburger Sternwarte in Bergedorf ihre Tore für die Öffentlichkeit.
Stadtbücherei
Gabriele Beger ist die Herrin der Bücher. Und zwar wacht sie nicht nur über die traditionellen, gedruckten, sondern auch über die digitalen Bücher - die immer mehr werden in den virtuellen Regalen der insgesamt 46 Bibliotheksstandorte. "Meine Aufgabe ist es, daraus ein Zukunftskonzept zu entwickeln. Und diese Arbeit macht mir sehr viel Spaß", sagt die Leiterin der Staats- und Universitätsbibliothek, kurz "Stabi" genannt. 3,8 Millionen gedruckte Medien sind es in den Lesesälen der Bibliotheken, in denen gelesen, gelernt - und manchmal auch geflucht wird, wenn das benötigte Buch mal wieder ausgeliehen ist.
Erwachsenenbildung
"Man kann nicht mit Mitte 20 aufhören, sich zu bilden, sondern ich bin grundsätzlich der Meinung, dass lebenslanges Lernen sehr wichtig ist", sagt Karin Pauls, zuständig für das Kontaktstudium an der Universität. Besonders Kunstgeschichte, Geschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie sind beliebt bei den sogenannten älteren Erwachsenen, die noch einmal Uni-Luft schnuppern wollen - ganz ohne Prüfungsstress, lediglich um den eigenen Horizont zu erweitern. Ein Angebot, das derzeit 1946 Kontaktstudenten nutzen - und das den Altersdurchschnitt der einen oder anderen Vorlesung um einiges erhöht.
Auswärtiges Amt
"Wir wünschen uns, dass eigentlich jeder Student im Rahmen seiner Ausbildung für mindestens ein Semester ins Ausland gehen sollte", sagt Andrea Schultze, zuständig für den Bereich Internationales an der Uni Hamburg. Sie und ihre Kollegen knüpfen die Kontakte zu Universitäten auf der ganzen Welt. Wichtige Partner sind die Universitäten in St. Petersburg, Bordeaux, Berkeley in Kalifornien und die Universität Stellenbosch in Südafrika. Die internationale Ausrichtung hat hohe Priorität in Hamburg: Immerhin besuchen jährlich rund 4500 Studierende aus dem Ausland die Universität in der Hansestadt. Im Gegenzug sollen auch die Studierenden aus Hamburg die weite Welt kennenlernen. Derzeitige Herausforderung für Andrea Schultze: "Wir müssen besonders in den Bachelor- und Masterstudiengängen Mobilitätsfenster einbauen, die mehr Freiraum für ein Auslandssemester lassen."
Geschichte
Mit einer recht späten Gründung am 1. April 1919 gehört die Universität Hamburg zu den jüngeren deutschen Universitäten. Ihre Wurzeln reichen aber bis ins 17. Jahrhundert zurück. 1613 entstand das Akademische Gymnasium, an dem sich Hamburger, die es sich leisten konnten, eine Grundbildung aneignen sollten. Es bedurfte viel Überzeugungsarbeit des damaligen Bürgermeisters Werner von Melle, die Bürgerschaft von der Notwendigkeit einer Universität in der Hansestadt zu überzeugen. Viele Hamburger Kaufleute vertraten die Meinung, die Stadt solle sich auf ihre Rolle als Handelsmetropole beschränken. Erst 1919 beschloss die Bürgerschaft die Gründung der Hamburger Universität, die am 10. Mai 1919 in der Musikhalle feierlich eröffnet wurde. Der Kaufmann Edmund Siemers stiftete das heutige Hauptgebäude. Seine Widmung "Der Forschung - der Lehre - der Bildung" ist noch heute am Haupteingang zu lesen.
Finanzen
Die einen sind dafür, die anderen dagegen: Kaum etwas an der Uni Hamburg ist so umstritten wie die Studiengebühren. Nach der Einführung 2008 mussten die Studierenden 500 Euro pro Semester zahlen. Dann hat man sich auf einen Kompromiss mit der Stadt geeinigt: 375 Euro müssen derzeit für jedes halbe Jahr an der Uni bezahlt werden. 25 504 845 Euro sind dadurch im vergangenen Jahr in die Kasse der Universität geflossen. Verwaltet wird das Budget - 2011 waren es insgesamt 486 500 494 Euro - von der "Finanzministerin" der Universität. Katrin Vernau ist gleichzeitig Kanzlerin des Präsidiums der Hochschule. Zum Wintersemester 2012/13 fällt die Studiengebühr nach einer Entscheidung der SPD-Alleinregierung wieder komplett weg.
Nächste Folge: In der Reihe "Die Stadt in der Stadt" stellen wir Anfang März den Flughafen vor. Mehr als 13 Millionen Passagiere werden im Airport Hamburg jährlich abgefertigt.