In Griechenland ist eine Art Kulturrevolution erforderlich
Kein Land der Erde hat in den vergangenen Jahren einen derart dramatischen Absturz in seinem Ansehen hinnehmen müssen wie Griechenland. Für Sonnenanbeter klang der Name stets nach flirrender Sonne und warmen Wellen, für Bildungsbürger nach Homer und Akropolis. Und heute? Wer Griechenland sagt, meint meist Misswirtschaft und Korruption. Das ist tragisch, greift zu kurz und ist der Geschichte dieses Landes, der Wiege der Demokratie, nicht angemessen.
Die Griechenland-Krise ist der Lackmus-Test nicht nur für den Euro als gemeinsame Währung, auch für das weltweit einzigartige Friedensprojekt Europäische Union. Natürlich schwillt jedem Bundesbürger der Kamm beim Gedanken, sein sauer erarbeitetes Geld könne im schier bodenlosen Fass der griechischen Chaos-Wirtschaft verschwinden. Die Griechen wiederum, die ihr Land im 19. Jahrhundert in blutigem Kampf aus dem Osmanischen Reich brechen mussten, reagieren sehr empfindlich auf Bevormundung von außen. Insofern war Angela Merkels Idee eines EU-Prokonsuls wenig sensibel vorgetragen - wenn auch in der Sache nicht ganz falsch. Die Griechen müssen erkennen, dass sie sich heillos in einem desolaten System verheddert haben und Hilfe benötigen. Noch aus Zeiten der Obristen-Junta empfinden sie den Staat als Feind und zahlen daher ungern Steuern. Dies muss sich ebenso ändern wie die Fakelaki-Mentalität der Bestechungs-Geldbriefchen, ohne die in Hellas gar nichts geht.
Griechenland benötigt nicht einfach nur Geld - sondern eine kulturelle Revolution. Das kostet Zeit - den Willen dazu vorausgesetzt. Ob EU-Kontrolleure oder gesperrte Konten - der Weg des betreuten Wirtschaftens ist bis dahin wohl alternativlos.
Eine Pleite Griechenlands und einen Austritt aus dem Euro sollte aber niemand ernsthaft erwägen. Es wäre der Offenbarungseid auch für die Idee der europäischen Einigung. Die EU hat bei der Schaffung einer gemeinsamen Währung für unterschiedlich leistungsfähige Volkswirtschaften fraglos gravierende Fehler gemacht. Doch der größte Fehler wäre es, das Projekt Europa bei der ersten Krise scheitern zu lassen.