Ermittlungen im Fall der kleinen Chantal. Jugendamt bringt Kinder der Familie in Sicherheit
Hamburg. Überraschende Wendung im Fall der elfjährigen Chantal aus Wilhelmsburg, die an einer Methadon-Vergiftung gestorben ist: Nach Abendblatt-Informationen nahm das Jugendamt gestern alle Kinder aus der Pflegefamilie. Die beiden zehn und 16 Jahre alten leiblichen Kinder des Paares sowie das verbliebene zweite Pflegekind, das erst sieben Jahre alt ist, kamen in Obhut des Jugendamtes und wurden in einem Kinderschutzhaus untergebracht. Zuvor hatte das Bezirksamt keine Versäumnisse bei den Eltern gesehen und auch das Kindeswohl nicht als gefährdet bewertet.
Am frühen Morgen hatten die Ermittler die Wohnung der Pflegeeltern an der Fährstraße, die Arbeitsstelle des Pflegevaters und die Wohnung der ältesten Tochter des Ehepaares durchsucht. Von den 47 und 51 Jahre alten Pflegeeltern und ihrer 27 Jahre alten Tochter wurden Blut- und Urinproben genommen. Bei der Razzia sollen auch Drogenhunde eingesetzt worden sein. An allen drei Orten wurden Beweismittel sichergestellt.
Wie berichtet, war die 27-Jährige im Laufe der Ermittlungen ins Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft geraten. Sie soll wegen Drogendelikten vorbestraft sein. Möglicherweise kam der Heroin-Ersatzstoff Methadon, an dem Chantal starb, von ihr. Die Wohnung des leiblichen Vaters von Chantal war bereits unmittelbar nach dem Tod der Elfjährigen durchsucht worden. Die Polizei geht allerdings nicht davon aus, dass das Methadon von ihm stammt.
Dass Chantal 2008 in die Wilhelmsburger Pflegefamilie kam, war die Entscheidung des "Verbundes Sozialtherapeutischer Einrichtungen" (VSE). Der Verein der Jugendhilfe, der vom Jugendamt des Bezirks Mitte mit der Betreuung von Pflegekindern beauftragt ist, hielt die Familie offensichtlich für geeignet. Inzwischen gibt es aber starke Indizien für eine Verwahrlosung. Der Verein verweigerte gestern eine Stellungnahme.
Der Fall wird in der kommenden Woche auch die Bürgerschaft beschäftigen. Die SPD-Fraktion kündigte an, dass sich der Familienausschuss mit dem tragischen Tod des Mädchens befassen werde. Dann dürfte auch die Rolle des Jugendamtes des Bezirks Mitte in den Fokus geraten.
Christoph de Vries, familienpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, sagte, es sei "auffällig", dass nach dem Tod der unterernährten Lara-Mia im März 2009 innerhalb von knapp drei Jahren erneut in Wilhelmsburg ein Kind gestorben sei, das unter Obhut des Jugendamtes stand. "Das Netz ist zwar engmaschig, aber trotzdem scheinen nicht die richtigen Maßnahmen getroffen worden zu sein."
Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) hält diese Argumentation für nicht zutreffend: "Beides sind sehr tragische Fälle, aber sie lassen sich nicht miteinander vergleichen." Er werde sich nun vom Verein VSE die Akte des Falls vorlegen lassen. Erst nach Abschluss der Untersuchungen könne man Konsequenzen ziehen.