Die Transaktionssteuer ist von hoher Symbolkraft. Sie muss schleunigst kommen
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich festgelegt. Sie will die Transaktionssteuer einführen, die zukünftig im Euro-Raum alle Geschäfte mit Aktien, Anleihen und Währungen verteuern dürfte. Der Plan klingt plausibel. Die Steuer, die der amerikanische Ökonom James Tobin einst ersonnen hatte, soll gleich mehrere Ziele auf einen Streich erreichen: Sie soll die Staaten finanziell stärken, Spekulationen insgesamt erschweren und so die Finanzmärkte beruhigen - und nebenbei auch ein paar Wählerstimmen bringen. Es ist kein Zufall, dass der größte Befürworter der Transaktionssteuer der französische Präsident Nicolas Sarkozy ist, der um sein politisches Überleben kämpft.
Das aber kann im Ernst kein Argument gegen die Einführung der Tobin-Steuer sein. Natürlich wirkt es auf den ersten Blick grotesk, sich für eine Steuererhöhung starkzumachen. Denn eine Transaktionssteuer wird alle treffen, nicht nur die großen Spekulanten, sondern auch die kleinen Sparer, die ihr Geld in Lebensversicherungen oder Fonds anlegen.
Zudem sollte man von dieser Steuer keine Wunder erwarten. Auch mit ihr wird es in Zukunft Finanzkrisen geben, auch mit ihr werden die Staaten ihre Defizite nicht schlagartig ausgleichen können. Zwar erhoffen sich die europäischen Experten 57 Milliarden Euro jährlich, doch fraglich bleibt, wie viel letztlich wirklich in den Kassen hängen bleibt, wenn die Branche ihre Geschäfte in Steueroasen verlagert.
Trotzdem ist der Schritt sinnvoll, ja überfällig. Die Tobin-Steuer, die der Nobelpreisträger im Jahr 1972 in die Diskussion gebracht hatte, ist ein Symbol für eine Politikwende: Sie wäre ein Signal gegen die Allmacht der Finanzindustrie, sie wäre ein Ausrufezeichen, dass nun auch die Verursacher der Krise zur Kasse gebeten werden. Und sie wäre der Durchbruch in einem fatalen Polit-Mikado: Kurz nach der Pleite von Lehman Brothers versprachen die großen Staaten auf dem G20-Gipfel nicht weniger als eine neue Weltordnung, die Finanzkrisen in Zukunft verhindern sollte. Doch aus den groß angekündigten Reformen wurde nichts, weil die Finanzlobby erfolgreich intervenierte und die Staaten gegeneinander ausspielte. Nur weltweit, so hieß es unisono, sei etwa eine Transaktionssteuer durchzusetzen, nationale Alleingänge schadeten nur. Europa wagt nun, den Gegenbeweis anzutreten.
Längst geht es um nicht weniger als die Frage, wer eigentlich wen regiert. Sind es noch die demokratisch legitimierten Regierungen oder sind es die Finanzmärkte, diese undurchsichtige Gesamtheit aus Kleinanlegern und Großinvestoren, diese wirkmächtige Mischung aus Schwarmintelligenz und Massentorheit?
Wer agiert eigentlich?
Und wer reagiert nur noch?
Zuletzt gerieten die Staaten mehr und mehr in die Defensive: Im Abstufungstheater um Standard & Poor's waren sie die Getriebenen, gestern drohten Hedgefonds gar damit, im Falle eines Schuldenschnitts bei griechischen Staatsanleihen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Wer setzt diesem Treiben, so fragen immer mehr Menschen in Europa, eigentlich ein Ende?
Eine Transaktionssteuer wäre immerhin ein Beleg für das Primat der Politik. Bis vor Kurzem hatten nur die Globalisierungsgegner um die Protestbewegung Attac die Tobin-Steuer gefordert, inzwischen haben sich Politiker von der Linkspartei bis zur CSU angeschlossen.
In ganz Europa wächst das Verlangen nach Taten. Der Widerstand ist überschaubar. Allen voran kämpft Großbritannien um die Wirtschaftsinteressen seiner Finanzindustrie, des letzten industriellen Sektors, der der Insel blieb. Hierzulande leistet die FDP Widerstand - und die Finanzlobby. Die Argumente müssen gehört werden. Und doch sollte die FDP sich fragen, ob diese Schlacht zu schlagen lohnt. In der Vergangenheit hat sie die liberale Idee zu wenig vor der Machtergreifung der Finanzmärkte geschützt. Es wäre eine bittere Ironie der Geschichte, wenn sie im aussichtslosen Kampf gegen eine Transaktionssteuer erst die Koalition und dann ihr eigenes Überleben aufs Spiel setzte.