An den Modellschulen in Niendorf und Billstedt läuft noch nicht alles gänzlich rund, doch für Eltern und Schüler überwiegen die Vorteile
Niendorf/Billstedt. Der Gong ertönt. Es ist 13 Uhr. Schulschluss. Sofort ist ordentlich was los in der 3b. Bücher werden zugeklappt, Hefte und Federmäppchen verschwinden in den Ranzen. Nathalie, 8, und Norik, 9, haben schon ihre Jacken an. Wie die meisten Kinder in der Schule Burgunderweg gehen sie aber nicht nach Hause, sondern laufen nur über den Schulhof. Einige weiße Container sind dort zu einer improvisierten Kantine zusammengestellt. Wenige Minuten später sitzen die beiden zwischen ihren Mitschülern an einem der langen Tische. Es gibt Nudeln mit Karotten-Hackfleischsoße. Reden geht jetzt gerade nicht. Macht man schließlich nicht mit vollem Mund.
Seit einem Jahr bietet die Niendorfer Grundschule ganztägige Bildung und Betreuung, kurz GBS, an. "Von 338 Kindern machen 210 mit", sagt Schulleiter Friedhelm Holst. Für den Unterricht am Vormittag sind die Lehrer zuständig, für den Nachmittag die Erzieher des Hamburgischen Schulvereins. "Wir sind keine klassische Ganztagsschule, an der um 14 Uhr Englisch auf dem Stundenplan steht", sagt Holst. Das ist ihm wichtig. Gemeinsam mit der kooperierenden Kita hat sich die Schule ganz bewusst für den Hamburger Weg entschieden. "Die Nachfrage nach Ganztagsbetreuung hier in der Gegend ist riesig", sagt Kita-Chefin Karin Schreck. Entsprechend lang sei die Warteliste im Hort gewesen. Nach der Umstellung auf das neue Modell seien die Eltern zunächst vorsichtig gewesen. Im Laufe des vergangenen Schuljahrs hätten sich aber "ganze Klassen angemeldet", sagt Schreck.
Auch die Klasse 3b wird nach Schulschluss fast geschlossen zur Nachmittagsgruppe "Türkis". "Ich hatte Lust dazu", sagt Norik, der vorher in einem weiter entfernten Hort war. Genau wie Nathalie. "Ich finde es gut hier", sagt sie. "Es ist einfacher, weil ich jetzt nicht mehr so weit laufen muss und alle meine Freundinnen hier sind."
Inzwischen ist es 14 Uhr, und alle Kinder sind wieder in ihrer Klasse eingetrudelt. Die Hausaufgabenzeit beginnt. Norik rechnet. Nathalie hat sich rote Ohrschützer aufgesetzt und arbeitet im Deutsch-Übungsheft. Wenn es Fragen gibt, hilft Erzieherin Kathrin Dürkop, die die Schüler gemeinsam mit Assistent Rene Renaud betreut. Das ist neu seit Anfang des Jahres und eine Reaktion auf die Kritik an den großen Gruppen. Nach 15 Minuten klingelt eine Eieruhr. Fachwechsel. "Insgesamt ist eine halbe Stunde Zeit, dann ist Schluss", sagt Dürkop und zeichnet die Arbeitsbögen ab. Nacharbeiten zu Hause ist tabu. Jetzt beginnt das Nachmittagsprogramm. Dabei kommen die Kooperationspartner den Bedürfnissen der Niendorfer Familien mit flexiblen Abholzeiten entgegen: Dreimal in der Woche müssen die angemeldeten Kinder bis 16 Uhr bleiben, zweimal können sie um 13 Uhr oder um 14.30 Uhr gehen.
Insgesamt arbeiten inzwischen 21 Schulen in Hamburg mit GBS-Angebot. Die ersten Erfahrungen sind gut, auch weil diese Schulen sich bewusst für das Modell entschieden haben und alle Beteiligten an einem Strang ziehen.
Zu den sechs Pionieren, die im Schuljahr 2010/11 gestartet sind, gehört auch die Billstedter Schule am Schleemer Park. Dort nehmen 148 der 260 Grundschüler an dem Ganztagsangebot teil. "Die Tendenz steigt", sagt Schulleiter Jürgen Tiburtius, inzwischen ein Verfechter des Hamburger Ganztagsschulkonzepts. "Für unsere Schüler ist das sinnvoll." Gerade wurde eine weitere Nachmittagsgruppe eingerichtet. In der Gegend mit vielen Hartz-IV-Familien sei der Vorteil des neuen Angebots, "dass alle Kinder kommen können. Auch die, die im alten Gutscheinsystem kein Anrecht auf einen Hortplatz hatten, weil die Eltern arbeitslos sind", sagt Astrid Kasperczyk, Leiterin der kooperierenden städtischen Kita Druckerstraße. "Jetzt sind sie weg von der Straße und vom Fernseher."
Fast alle angemeldeten Schüler bleiben bis 16 Uhr in der Schule - fünf Tage die Woche. Kosten haben die meisten Eltern nicht. Mittagessen und Kursangebote werden über das Bildungs- und Teilhabe-Paket des Bundes beglichen. Gebühren für Frühdienst (ab 6 Uhr) und Spätdienst (bis 18 Uhr) sind reduziert. "Wenn es was kostet, kommen bei uns weniger Kinder", sagt die zuständige Nachmittagsleiterin Cordula Grätz. Besonders kritisch sehen die Billstedter GBS-Pioniere deshalb die Ferienregelung. "Es muss eine Sozialstaffel geben. Die Eltern können sich das sonst einfach nicht leisten", so Schulleiter Tiburtius.
In Niendorf im Burgunderweg müssen drei der insgesamt 21 Nachmittagsangebote extra bezahlt werden. An diesem Nachmittag gehen drei Schüler der Klasse 3b zum - kostenlosen - Entspannungskurs in die Aula. "Ich finde die Kurse eigentlich nicht so gut", sagt Norik. Naja, einen Holz-Kurs für Jungen hat er für das zweite Halbjahr dann doch ausgesucht. "Der ist toll." Es gibt auch Tanzen, Abenteuerturnen, Basketball oder Keyboard - teilweise in Kooperation mit dem Sportverein und der Jugendmusikschule. "Die Kinder machen das ganz problemlos", sagt Erzieherin Dürkop.
Auch sie habe sich schnell an die neuen Arbeitsbedingungen in der Schule gewöhnt. Dabei hilft, dass sie sich mit Klassenlehrerin Irene Karl gut versteht. "Wir haben uns zusammengesetzt und überlegt, wie wir damit umgehen, dass wir den Klassenraum gemeinsam nutzen", sagt Karl, die auch stellvertretende Schulleiterin ist. Anders als an anderen Schulen ist für das Team Karl/Dürkop die Doppelnutzung kein Problem. Das liegt auch an den neuen Möbeln, die die Modellschule im Hamburger Norden von einem 50 000-Euro-Zuschuss der Behörde anschaffen konnte. Höhenverstellbare Stühle, Tische, die man unterschiedlich zusammenstellen kann und mit Fächern für vormittags und nachmittags. "Das macht viel aus", sagt Irene Karl. "Und es sind ja den ganzen Tag über die gleichen Kinder. Die haben ein Heimatgefühl und schützen den Raum."
In Billstedt läuft es anders. In der auslaufenden Grund-, Haupt- und Realschule gibt es leer stehende Räume, sodass nur zwei Klassen auch nachmittags genutzt werden. Die Hausaufgabenzeiten sind flexibel, neben den Kursen von Honorarkräften und Vereinen machen auch die Gruppenleiter Nachmittagsangebote für alle. "Die Kinder sind viel unterwegs", sagt Erzieherin Anja Rieck. Hausaufgaben, Förderunterricht, Fußballtraining, draußen toben, basteln - jedes Kind hat eine Wäscheklammer, die es selbstständig an die entsprechende Stelle setzt. "Das funktioniert", heißt es. Verbessert werden soll dagegen die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Erziehern: Nach den Sommerferien will Schulleiter Tiburtius zwischen 12 und 13 Uhr eine regelmäßige Kooperationsstunde im Stundenplan einplanen. "Man kann nicht erwarten, dass alles sofort klappt", sagt er. "Dafür gibt es ja die dreijährige Pilotphase."
An beiden Modellschulen stehen auch die Eltern mehrheitlich hinter dem Konzept, trotz einiger Kritikpunkte, wie etwa dem im Vergleich zum Hort schlechteren Personalschlüssel, der Doppelnutzung der Räume oder der Betreuung von Integrationskindern. "Bei manchen Eltern gibt es Ängste, weil sie nur die möglichen Risiken sehen", sagt der Niendorfer Elternvertreter Martin Riedel angesichts der geplanten flächendeckenden Einführung von GBS. "An unserer Schule sieht man, dass die Vorteile überwiegen."
Und wie sehen das die Schüler? Nathalie und Norik beteuern, dass sie gern nachmittags in der Schule sind. Zumindest meistens. "Ich finde es gut, dass man so gut Hausaufgaben machen kann und immer jemand zum Helfen da ist", sagt Norik.