Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwei weitere Mitarbeiter der Krankenkasse. Gründer Martens wird schwere Untreue vorgeworfen.
Hamburg. Als sei nichts gewesen. Wie üblich fährt Thomas Martens morgens zur Zentrale der Krankenkasse Securvita BKK am Lübeckertordamm in St. Georg. Der Gründer und Verwaltungsratsvorsitzende der gesetzlichen Kasse parkt sein Auto in der Tiefgarage und geht in sein Büro in dem gläsernen Neubau. Ebenso wie Ellis Huber, der Vorstand der Securvita BKK. Ein ganz normaler Arbeitstag für die beiden Männer. Business as usual. Dabei ist es erstaunlich, dass Martens und Huber auch ein Jahr nach dem Bekanntwerden des Skandals bei der Securvita-Krankenkasse nach wie vor dort arbeiten. Seitdem forciert das Bundesversicherungsamt (BVA), die Aufsichtsbehörde der gesetzlichen Kassen, den Rauswurf der beiden - bisher ohne Erfolg.
Noch nicht abgeschlossen sind auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die seit Ende 2010 gegen Thomas Martens, Ellis Huber sowie zwei ehemalige Vorstände laufen. Vor knapp vier Monaten durchforsteten mehr als 80 Beamte und drei Staatsanwälte - ausgestattet mit neun Durchsuchungsbeschlüssen - die Zentrale der Kasse und die Büros sechs weiterer Unternehmen, die zur Securvita-Unternehmensgruppe gehören. Die sichergestellten Unterlagen füllten 30 Umzugskartons, außerdem nahmen die Ermittler Festplatten und andere Datenträger mit. Die Auswertung dauert nach wie vor an. "Damit beschäftigt sind eine Staatsanwältin, zwei Polizeibeamtinnen und eine Wirtschaftsreferentin der Polizei", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. Dennoch werde die Auswertung noch mehrere Monate in Anspruch nehmen. Die juristische Hängepartie dauert an. Die Securvita BKK wollte sich Ende September mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht zu der Durchsuchung äußern.
Das Abendblatt berichtete exklusiv über die Vorwürfe des BVA: Thomas Martens soll die Interessen der Krankenkasse nicht angemessen vertreten und den 170 000 Versicherten erheblichen Schaden zugefügt haben. Aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtungen gebe es eine Interessenkollision zwischen der Securvita-Krankenkasse und der von Martens beherrschten Securvita-Unternehmensgruppe. Vor allem geht es um den Mietvertrag für die Krankenkassen-Zentrale. Den Neubau geplant hatte die L.T.D. Lübeckertordamm Entwicklungs-GmbH. Die Gesellschaft hatte auch den Mietvertrag über 20 Jahre mit der Krankenversicherung abgeschlossen. Pikant: Bereits bei Mietabschluss soll klar gewesen sein, dass die Krankenversicherung Büroflächen weit über Bedarf angemietet hatte. Und: Martens war Mitgesellschafter der Vermieter-Gesellschaft. Er soll besonders profitiert haben. Nach Vertragsabschluss verkaufte er seine Anteile in Höhe von 50.000 Euro für 4,225 Millionen Euro.
Seit knapp einem Jahr kämpft das BVA dafür, dass Thomas Martens und Ellis Huber ihrer Ämter enthoben werden. Mit sogenannten Verpflichtungsbescheiden hat die Behörde den Verwaltungsrat der Securvita BKK mehrfach dazu aufgefordert. Beim Verpflichtungsbescheid zu Martens' Amtsenthebung ordnete das BVA sogar den sofortigen Vollzug an. Doch die Kasse wehrt sich vehement. Sie erhob vorm Landessozialgericht (LSG) Hamburg Klage. Ende November 2011 entschied das Gericht, dass es keinen Grund gebe, Thomas Martens sofort seines Amtes zu entheben. "Das Gericht hat allerdings keine Entscheidung getroffen, ob die vom BVA geforderte Amtsenthebung rechtmäßig ist", sagt BVA-Sprecher Tobias Schmidt. "Hier bleibt das Hauptsacheverfahren abzuwarten." Das dürfte in den kommenden Monaten beginnen.
Die Staatanwaltschaft hat ihre Ermittlungen inzwischen von vier auf sechs Personen erweitert. Zum einen handelt es sich um Birgit R., ehemaliger Vorstand der Krankenkasse, zum anderen um Jan B., der seit Ende Januar 2010 Vorstand ist.
Am 26. April 2010 - wenige Wochen bevor das BVA Anzeige wegen schwerer Untreue erstattete - schrieb B. dem damaligen Anti-Korruptionsbeauftragten der Kasse einen Brief, der dem Abendblatt vorliegt. Schon damals stand intern der Verdacht im Raum, dass sich Martens und Huber strafbar gemacht haben. In dem Schreiben ist die Rede davon, dass ein Rechtsanwalt die Staatsanwaltschaft über den Anfangsverdacht gegen zwei ehemalige Vorstände unterrichten werde. Dem Anti-Korruptionsbeauftragten verbietet B. jedoch, mit der Staatsanwaltschaft zu sprechen. In dem Brief heißt es: "Ich untersage Ihnen eine Kontaktaufnahme mit Staatsanwaltschaft oder der Polizei und erwarte, dass den Gegenstand des jeweiligen Verdachts betreffende Erörterungen mit einem der Beschuldigten oder dritten Personen unterbleiben." Es ist eine Anweisung, mit der sich B. selbst strafbar gemacht haben könnte. Denn ein Anti-Korruptionsbeauftragter ist dafür da, Missstände aufzudecken.
Das BVA wollte im September 2011 B. seines Amtes entheben - wegen nicht vorhandener Qualifikation. Da er keinen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss vorweisen könne, dürfe er die Geschäfte der gesetzlichen Krankenkasse nicht führen. Quasi ein Pilot ohne Führerschein. Im Amt ist B. nach wie vor. Nach Angaben des BVA hat er die erforderliche Ausbildung nachgeholt. Und so wird auch B. weiter jeden Tag in sein Büro fahren. Zumindest bis auf Weiteres.
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