Lesen Sie hier die Rede zum Abendblatt-Neujahrsempfang 2012 von Chefredakteur Lars Haider im Wortlaut.

Hamburg. Vor fast genau einem Jahr habe ich um diese Zeit im Bett eines Hotels in Neuseeland gelegen. Das Haus hatte zum Glück WLAN, und so loggte ich mich mit meinem Laptop kurz vor Mitternacht ein, ging auf abendblatt.de und verfolgte die Berichte vom Neujahrsempfang. Ich sah die vielen vertrauten Gesichter aus der Stadt und der Redaktion, und für mich stand fest: 2012 musst du wieder dabei sein, koste es, was es wolle!

Was soll ich sagen: Es hat geklappt! Und diesmal habe ich sogar einen erstaunlich guten Platz erwischt. Das ist nicht leicht beim Neujahrsempfang, und ich glaube, so viele Gäste wie heute hatten wir noch nie. Deshalb will ich mich kurz fassen, damit uns genügend Zeit für Gespräche bleibt.

Sehr geehrte Frau Bürgerschaftspräsidentin ,

sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, und vor allem: liebe Leserinnen und Leser des Hamburger Abendblatts,

eine wichtige Nachricht hat Ihnen Herr Mahlberg bereits verraten: 2012 wäre Axel Springer 100 Jahre alt geworden. Wir freuen uns sehr, heute quasi den Startschuss in dieses besondere Jahr geben zu dürfen. Dass dies auf dem NJE geschieht, passt wunderbar, weil Axel Springer keine Zeitung so geliebt hat wie sein Abendblatt: „Die Abendblattzeit“, hat er gesagt, „war die Zeit meiner eigentlichen Liebe zum Beruf.“ Wenn er noch leben würde, würde ich ihm sagen: So geht es uns in der Redaktion bis heute.

Ich habe Axel Springer leider nie persönlich kennenlernen dürfen, aber ich habe ihm und seinem Hamburger Abendblatt sehr viel zu verdanken. Meine Eltern sind in der Abendblatt-Hochzeitskutsche zu ihrer Trauung gefahren. Auf der Feier ihrer goldenen Hochzeit im vergangenen Jahr gestand mein Onkel, ein radikaler Alt-68er, dass er als junger Mann das Abendblatt ausgetragen habe. Und jetzt dürfen Sie dreimal raten, in welcher Tageszeitung ich meinen ersten Text veröffentlicht und wo ich meine Ausbildung gemacht habe... Mir blieb quasi nichts anderes übrig.

Als Chefredakteur bin ich in den vergangenen Monaten oft gefragt worden, was mein Konzept für das Hamburger Abendblatt sei. Die Antwort ist einfach, weil das Konzept für die Zeitung täglich mit der Zeitung geliefert wird. Es steht im Titelkopf und es stand in Ihrer Einladung zu diesem Neujahrsempfang. Es lautet: „Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen.“

Axel Springer hat diesen Spruch bei Gorch Fock gefunden, und er sagt fast alles über die Zeitung. Wobei – das Hamburger Abendblatt ist ja längst mehr als eine Zeitung, es war auch damals von Springer nie als Zeitung geplant. Das Abendblatt ist ein Stück Hamburg, wie der Hafen oder die Alster, ein Lebensgefühl. Ein Leser schrieb mir neulich: „Wo immer ich das Hamburger Abendblatt aufschlage, ist es, als wäre ich zu Hause“. Das war es, was Axel Springer erreichen wollte, das ist es, was ich erreichen möchte.

Mit der Heimat im Herzen – das heißt für unsere Reporter: Raus aus der Redaktion, rein in die Bezirke, in die Stadtteile, in die Landkreise und Dörfer. Schon jetzt kommen viele Kollegen gar nicht mehr in die Zentrale in der City, sondern sind die ganze Zeit unterwegs. Um die Geschichten von denen zu erfahren, die sie direkt betreffen, von unseren Leserinnen und Lesern.

Wenn Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, wissen wollen, wer bei uns was macht – ein Blick in das heutige Abendblatt genügt. Dort sehen Sie Fotos aller Kollegen und dort erfahren Sie auch, wer Pate für Ihren Stadtteil ist. Ich habe die entsprechende Seite einmal mitgebracht, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob sie die Bilder auch in der letzten Reihe erkennen können. So oder so lohnt es sich, zu Hause noch mal nachzugucken. Denn die Redaktion will Hamburg in diesem Jahr durchdringen wie lange nicht mehr: Mit einer großen Stadtteilserie in der Zeitung, mit eigenen Bezirks-Channels auf abendblatt.de, mit Bezirks-Apps für Ihr iPad – und mit einem großen Hamburg-Buch.

Lassen Sie sich überraschen!

Eine Lokalzeitung muss unablässig im Gespräch sein, war eine Devise Axel Springers, und auch das stimmt bis heute. In diesem Jahr lässt das Abendblatt deshalb auch die zehn schönsten Aktionen seiner Geschichte aufleben: Herr Lombard geht durch die Stadt und beschenkt unsere Leser, das Hamburger Sommerrätsel kehrt zurück, die Hochzeitskutsche fährt wieder, für mich leider fünf Jahre zu spät. Und dann ist da noch die Sache mit dem Abendblatt-Schiff...

Aber bevor ich dazu komme, will ich noch einen Blick auf die großen Themen des Jahres werfen. Das sei die Pflicht jedes Abendblatt-Chefredakteurs, wurde mir vor dem Neujahrsempfang gesagt.

Etwas eingeschüchtert fragte ich zurück: Ich muss am Anfang des Jahres wissen, was im Laufe des Jahres die großen Themen sein werden?

Ja, wurde mir gesagt. Sie sind schließlich der Abendblatt-Chefredakteur!

Nun freut es mich natürlich, was man dem Inhaber dieser Position zutraut. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob ich vor einem Jahr vorausgesagt hätte, dass Deutschland sich 2011 aus der Atomenergie verabschiedet, dass die SPD wirklich in Hamburg allein regiert und dass sämtliche Doktorarbeiten des Landes auf Plagiate untersucht werden. Gut, dass der HSV den Trainer wechselt, hätte ich mit großer Sicherheit prophezeit, und dass die Kosten für die Elbphilharmonie weiter steigen, auch. Aber sonst?

Prognosen sind schwer, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen, und deshalb versuche ich es gar nicht erst. Ich will ihnen stattdessen verraten, was die Themen sind, die unsere Leser am stärksten interessieren.

Da ist zunächst alles, was mit Helmut Schmidt zu tun hat, Sie wissen schon: unserem eigentlichen Staatsoberhaupt. Wie groß dessen Bedeutung heute ist, verrät eine kleine Geschichte aus dem vergangenen Herbst, die ich Ihnen kurz erzählen will. Nach einer Diskussionsrunde in einem Hamburger Hotel spricht ein hochrangiger Banker den Altkanzler an.

„Herr Schmidt“, sagt er etwas nervös, „ist der Euro in Gefahr?“

Schmidt zieht an seiner Zigarette, schaut kurz hoch und sagt:

„Nein.“

Für einen Moment denke ich, der Banker wird dem Altkanzler um den Hals fallen, doch dann sagt er nur seufzend: „Ein Glück! Jetzt wird alles gut.“

Womit bewiesen wäre: Helmut Schmidt löst wirklich jedes Problem.

Zurück zu den stärksten Themen Hamburgs - hier kommen die Top drei:

Auf Platz eins: bezahlbarer Wohnraum. Bürgermeister Olaf Scholz hat richtig erkannt, dass dieses Thema die nächste Bürgerschaftswahl entscheiden könnte. Doch schon in diesem Jahr steht der Senat vor einer schwierigen Frage: Wie verhindert man, dass nahezu jedes neue Wohnprojekt einen Bürgerentscheid provoziert? Wie weit darf, wie weit muss die Bürgerbeteiligung bei der Verwirklichung der Wachsenden Stadt gehen? Das sind Bereiche, um die sich bei uns ab Februar ein eigener Reporter kümmern wird.

Auf Platz zwei: Schulthemen. Volksentscheid hin, Schulfrieden her – die Diskussion über die Qualität der Hamburger Schullandschaft dauert an, und wir sind froh, mit Peter Ulrich Meyer den Hamburger Experten dafür in unseren Reihen zu haben.

Auf Platz drei landet schließlich die Frage, die die Stadt in fast schon folkloristischer Begeisterung eint: Wann eröffnet die Elbphilharmonie und wenn ja, für wie viele Milliarden, vezeihung Millionen? Seien wir ehrlich: Es gibt kein Zurück mehr, wir sollten uns auf das neue Wahrzeichen im Hafen freuen. Und wenn es Verzögerungen geben sollte, denken Sie immer daran: Vorfreude ist die schönste Freude.

Es bleibt für 2012 die Frage, welchen Umgang Politiker und Journalisten pflegen sollten. Wir in Hamburg haben da eine altmodische Einstellung: Natürlich spricht man miteinander, so wie sich das gehört. Mit hohem Respekt vor der demokratischen Funktion des anderen, immer freundlich, nie freundschaftlich. Und meistens rufen die Journalisten die Politiker an. Mein Wunsch wäre, dass das so bleibt.

Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren , wünsche ich ein faires, aufrichtiges und fröhliches neues Jahr in dieser Stadt, die wir Hanseaten in dem uns eigenen Understatement gern und zu Recht als die schönste der Welt bezeichnen. Und damit sie noch schöner wird, haben wir uns entschlossen, ein Schiff zu bauen: das Abendblatt-Schiff soll eine kleine, aber feine neue Attraktion sein, ein Fotomotiv zwischen Hafen, Binnen- und Außenalster, ein Symbol für eine kreative Medienmetropole. Sie sind heute die Ersten, die ein Miniatur-Modell davon erhalten – möge es Sie gut und sicher durch das neue Jahr bringen. Mit der Heimat im Herzen. Danke.