Warum Ursula von der Leyen als Vorbild taugt - auch für Chefs.
Deutschland hat sich längst daran gewöhnt, dass eine Frau an der Spitze der Regierung steht. Ob sie respektiert wird oder nicht, gemocht oder nicht, gewählt oder nicht, hat nichts mehr damit zu tun, dass Angela Merkel eine Frau ist, sondern mit Politikstil, Inhalten, Führungsstärke - oder dem Fehlen dieser Qualitäten. Was auch daran liegt, dass Merkel es weitgehend vermieden hat, besonders feminin aufzutreten oder sich gar "als Frau" zu Wort zu melden. Niemand wird der Kanzlerin unterstellen können, Frauenpower zu fördern - schon aus dem Instinkt heraus, konservative Lager nicht zu verschrecken. Auch im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen war vieles Thema - dass Jürgen Rüttgers gegen eine Frau antrat, war nebensächlich. Gut so.
Beweist also die Tatsache, dass Ursula von der Leyen als aussichtsreichste Kandidatin für den Posten der Bundespräsidentin gehandelt wird, tatsächlich noch einen gesellschaftlichen Wandel? Ja. Natürlich frotzelt der Boulevard, dass "Mutti", wie Merkel im politischen Berlin genannt wird, jetzt die "Mutter der Nation" an die Spitze holt (Spitznamen wie "Birne" waren auch nicht charmant). Dass man aber nicht nur einer kinderlosen Physikerin das Kanzleramt zutraut, sondern auch einer mehrfachen Mutter die Präsidentschaft, bedeutet für alle anderen arbeitenden Frauen - und mehr noch für deren Chefs -, dass eine Mutter in Deutschland jede Führungsposition besetzen kann. Wenn sie es denn kann, also die Anforderungen erfüllt. Denn sollte Ursula von der Leyen doch nicht die Kandidatin werden, dann nicht, weil man ihr die Belastung nicht zutraut, sondern weil man sie für andere verantwortungsvolle Posten will.
Noch ein anderer Aspekt ist in der Konstellation interessant: die allmähliche Veränderung der Position "First Lady". Während "First Lady" über viele Jahre vor allem "die Frau an seiner Seite" bedeutete, die ihren Beruf seiner Karriere zuliebe aufgab, mit ihm und für ihn repräsentierte, hat schon Kanzlergatte Joachim Sauer für ein Umdenken gesorgt. Er hat auch ein eigenes (Arbeits-)Leben. Das ist durchaus ein Vorbild für selbstständig denkende und arbeitende Ehefrauen von Männern in Führungspositionen.
Ganz selbstverständlich ist die Führungsrolle einer Frau in einer von älteren Männern dominierten Karrierewelt natürlich noch nicht - was schon der Umstand beweist, dass Frauen nach wie vor nicht gleichberechtigt bezahlt werden. Aber es wird alltäglicher, unverkrampfter. Immerhin.
Dass es irgendwann ganz normal wird, merkt man spätestens, wenn das Thema keinen Leitartikel mehr wert ist.