Eigentlich fanden wir, unser Schlafzimmer wäre ein guter Landeplatz für einen kleinen Menschen. Doch es hat nicht sollen sein.

Hamburg. Eines der Fotos, die meine Schwägerin an dem Abend gemacht hat, haben wir an Familie und Freunde verschickt. Das Foto zeigt unser Schlafzimmer. Alles rot-gelb-orange - Bettbezüge, Kissen, Licht. Mittendrin, klein, im Bett, meine Frau. Ich sehe ihr die Erschöpfung der vorangegangenen 24 Stunden nicht an. In ihren Armen unser Kind, ein paar Stunden alt. Dieses Foto bewahrt für uns all die Intimität, von der wir geträumt. Denn eigentlich hätte unser Kind hier zur Welt kommen sollen. Umgeben vom roten Licht. Von Wärme. Wir fanden, unser Schlafzimmer wäre ein guter Landeplatz für einen kleinen Menschen, der im Bauch seiner Mutter auch nur rotes Licht und Wärme gespürt haben wird, ehe die Kämpferei des Geborenwerdens losging. Es hat nicht sollen sein.

Als wir im Vorbereitungskurs sagten, wie wir unser Kind bekommen wollten, haben sie uns angeguckt, als hätten wir eine ansteckende Krankheit. Das kurze Gedächtnis der Moderne. Vor 30, 40 Jahren, zur Hochzeit des Feminismus, war das Kinderkriegen zu Hause fast so etwas wie ein zurückerobertes Geburtsrecht der Frau. Tempi passati. Die digitale Boheme hat ein bisschen Angst vor dem Animalischen, Unberechenbaren, das zu jeder Geburt gehört, und fühlt sich im Krankenhaus, umgeben von schützender Technik, besser aufgehoben. Meine Frau ist in der Praxis des Gynäkologen ihrer Mutter zur Welt gekommen. Der Frauenarzt stellte seine Räume zur Verfügung, eine freie Hebamme und die Mutter brachten das Kind zur Welt, der Vater stand dabei und half, so gut er konnte, der Arzt schaute am Ende drauf, ob alles dran und alles drin ist.

Heute gibt es die Praxisentbindung nicht mehr. Heute gehen Frauen, die nicht ins Krankenhaus wollen, in ein Geburtshaus. Manche werdenden Mütter aber sind wie meine Frau: Sie wollen einfach gerne zu Hause gebären. Weil Schwangerschaft keine Krankheit ist, sondern ein Naturereignis. Meine Frau war dafür prädestiniert. Sie hat ihre beiden Schwestern in der elterlichen Wohnung zur Welt kommen sehen. Sie hatte eine tolle Schwangerschaft und hatte alles gelesen, was es zum Thema Hausgeburt zu lesen gibt. Leboyer. Die Stadelmann. Das große Hebammen-Wissen. Michel Odent. Und meine Frau ist undogmatisch. Sie wäre die Letzte, die aus ideologischen Gründen eine Hausgeburt durchziehen würde. Deshalb haben wir uns ein paar Wochen vor dem Stichtag auch im UKE vorgestellt. Man kann ja nie wissen, ob es Komplikationen gibt. Es ist gut, wenn man weiß, wo man hinkommt, wenn es zu Hause nicht mehr weitergeht. Die Frauenärztin dort war sehr freundlich und zeigte uns die Kreißsäle. Wir waren angenehm überrascht - und trotzdem froh, dass unser Kind in unserem roten Kokon zur Welt kommen würde.

Die ersten Wehen in der Geburtsnacht tanzte meine Frau weg. Das werde ich nie vergessen. Es gibt nichts Schöneres als eine hochschwangere Frau, die ihr Kind ins Leben hineintanzt. Ein paar Stunden waren wir zu zweit und taten, was wir im Vorbereitungskurs gelernt hatten. Als es so weit war, die Hebamme zu rufen, hatten wir dieselbe Platte von Alela Diane schon ungefähr sechsmal hintereinander gehört. Leider war die Hebamme, die meine Frau betreut hatte, unpässlich. Die Ersatzhebamme hatten wir erst einmal gesehen. Aber als sie kam, fädelte sie sich wie ein sanfter, bestimmender Wind in unsere von Alela Dianes Schamanen-Singsang geschaukelte Geburtstrance ein, als würden wir uns schon ewig kennen. Sie war ein Segen. Im Schlafzimmer stand ein großes Geburtsbecken, das ich über eine Telefonconnection ausgeliehen und am Vormittag aufgepustet hatte. Es war mit warmem Wasser gefüllt. Meine Frau kniete darin und krallte sich an mir fest, wenn die nächste Wehe kam. Ihre Mutter sorgte dafür, dass das Wasser nicht kalt wurde und hielt ihrer Tochter mit Wassergüssen den Rücken warm.

Ein paar Stunden ging es voran wie im Bilderbuch. Dann war Stillstand. Das Kind wollte nicht. Nicht hier, nicht jetzt. Draußen war längst Vormittag. Wir versuchten allerlei Varianten - auf dem Geburtshocker, im Liegen, im Stehen. Nada. Die Fruchtblase war schon im Wasser geplatzt. Die Hebamme runzelte die Stirn und legte uns den Umzug ins Krankenhaus nahe. Schweren Herzens, aber ohne jede Sentimentalität. Ich fuhr uns nach Eppendorf.

Geburtskliniken in Hamburg

Der Kreißsaal die Gegenwelt: helles Licht. Aufregung. Ärzte. Hebammen. Spritzen, Metallschüsseln, Geklapper. Kittel, Katheter. Die PDA-Maschine einsatzbereit. Aber unsere Hebamme durfte bleiben, die Damen kannten sich, und bald entspannte sich alles. Keiner schalt uns leichtsinnig, niemand trug die Nase hoch. Die Stationshebamme warf ihre jahrelange Erfahrung in die Waagschale, meine Frau arbeitete gut, ich holte mir einen Muskelkater vom Gegenhalten, und nach zweieinhalb Stunden war Kate Julie da. Geboren im UKE, aber ohne PDA, ohne Narkose, ohne Gerätschaften.

Am frühen Abend fuhren wir mit unserer Tochter nach Hause. Stolz, glücklich, erschöpft. Und auch traurig, dass unser Neugeborenes nun doch nicht in unserem roten Kokon zur Welt gekommen war. Vielleicht hat das nächste Kind mehr Lust dazu?