31 Prozent: Die erfolgsverwöhnten Christdemokraten müssen lange zurückdenken bis zu einer Umfrage mit einem derart niedrigen Wert. Genau genommen bis zum 25. Januar 2002, als die "Welt" eine Erhebung des Forsa-Instituts veröffentlichte.

Die Zeit des Schönredens ist vorbei. CDU-Landeschef Michael Freytag sprach von einem "Warnschuss, den wir nicht überhören dürfen". Und die Grün-Alternativen dürfen sich über ihre 16 Prozent angesichts des schwächelnden Koalitionspartners nicht einmal richtig freuen.

Wer den Akteuren auf der politischen Bühne - schwarzen wie grünen - in diesen Tagen zwei Jahre nach der Bürgerschaftswahl 2008 ins Gesicht schaut, der sieht die Anstrengung. An der Miene von Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) lässt sich ablesen, welche Schmerzen ihr die weitreichenden Kompromissangebote an die Adresse der Primarschulgegner der Volksinitiative "Wir wollen lernen" bereitet haben. Position um Position hatte Schwarz-Grün in den Verhandlungen geräumt, um den Kern der Reform - sechs Jahre gemeinsamen Lernens - zu retten und den Volksentscheid zu vermeiden - vergeblich.

Alles in allem und erst recht angesichts des Scheiterns war das kein Ausweis politischer Stärke des Senats. Selbst Bürgermeister Ole von Beust (CDU), eher ein entspannter Politikertypus, ist bisweilen anzumerken, dass Regieren derzeit kaum vergnügungssteuerpflichtig ist.

Anlass für Frust im Senatsgehege und auf Koalitionsseite in der Bürgerschaft gibt es auch über den Streit um die Schulreform hinaus genug: Das HSH-Nordbank-Desaster ist zum traurigen Begleiter dieser Koalition geworden. Der Bau der Elbphilharmonie verschlingt mindestens dreimal so viel Euro wie erwartet. Und dann ist da nicht zuletzt die Wirtschafts- und Finanzkrise, die die Stadt, vor allem den Hafen, voll erfasst hat.

Doch auch im Kleinen läuft es nicht gut: Da verbietet der Senat die beliebten Harley-Days wegen des Lärms, um sie dann nach massiven Protesten plötzlich doch zu erlauben. Da soll das Public-Viewing während der Fußball-WM an die Peripherie verbannt werden. Auch hier nach dem Riesenprotest die Kehrtwende. Und mit dem Winter hat es diese Koalition überhaupt nicht: Die Stadt bekam Schnee und Eis nicht in den Griff, und dann setzte Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU) dem Ganzen noch die Krone auf, indem er mit markigen Telefonaten dafür sorgte, dass ausgerechnet seine Wohnstraße von Schnee und Eis geräumt wurde, während drumherum alle Hamburger schlidderten. Sein fälliger Rücktritt und der Streit um die Nachfolge hätten die CDU beinahe noch in eine Führungskrise gestürzt.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass Schwarz-Grün seit dem Erdrutsch-Erfolg der Primarschulgegner im November außer Tritt geraten ist. Die Koalition wirkt merkwürdig unentschlossen, ja, bisweilen hasenfüßig. Mit einem Wort: Schwarz-Grün hat zur Mitte der Legislaturperiode den Blues. Vielleicht passt auch das Bild des Boxers, der nach einem schweren Treffer durch den Ring taumelt. Die Koalition sucht derzeit die Orientierung. Die 184 500 Stimmen gegen das zentrale Reformwerk Primarschule beim Volksbegehren haben die Koalition unerwartet und ins Mark getroffen.

In anderen Bündnissen hätte die Phase der Selbstzerfleischung längst begonnen. Der politischen Fantasie sind da wenig Grenzen gesetzt: Konservative Christdemokraten, denen die Koalition mit den Grünen immer schon ein Dorn im Auge war, hätten den Koalitionspartner für den eigenen Absturz verantwortlich machen und Schwarz-Grün als Irrweg brandmarken können. Und auf der anderen Seite hätte die GAL-Basis aufmucken können angesichts der Verbiegungen der Koalition bei der Schulreform. Zurück zur reinen Lehre auf beiden Seiten. Doch nichts von alledem bei Schwarz-Grün.

Auf christdemokratischer Seite bleibt Bürgermeister von Beust der Garant für Schwarz-Grün. Er nutzt seine unumstrittene Autorität, um Widerspruch gegen die ungeliebte Schulreform zu deckeln. Von Beusts Machtargument zieht nach wie vor in der CDU: Die Partei hat keine realistische Alternative zu Schwarz-Grün. Das wirkt hoch disziplinierend auch auf Mandatsträger.

Trotz aller objektiven Widrigkeiten und Schwächen kann Schwarz-Grün auch zwei Jahre nach dem Start als das harmonischste Bündnis der vergangenen beiden Jahrzehnte durchgehen. Das liegt in starkem Maße daran, dass das viel gerühmte Klima der Koalition nach wie vor gut und das gegenseitige Vertrauen der engeren Führungsspitze nicht erschüttert ist. Das Krisenmanagement funktioniert - und das lange Tauziehen um die Schulreform und deren ungewisser Ausgang sind eine Krise.

Die Grünen haben zu einer pragmatischen Senatspolitik gefunden, die nach der Maxime handelt, dass über alles geredet werden kann, wenn die grünen Essentials erhalten bleiben. Die Schulreform und die Stadtbahn zählen in jedem Fall dazu. Im engeren Machtzirkel des Rathauses haben sich zwei Grüne als sturmerprobte Troubleshooter herausgeschält: GAL-Fraktionschef Jens Kerstan und Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk.

Mancher schwarz-grüne Dissens, auch das muss gesagt werden, wurde durch Geld gelöst. Selten hat eine Koalition ungehemmter in die Kasse gegriffen, um Interessenkonflikte zu entschärfen. Auf Dauer wird das nicht gut gehen, schon weil eine Kernkompetenz der CDU - ordentlich mit Geld umzugehen - dadurch ausgehöhlt wird.

Im Frühsommer 2009 prognostizierte das Abendblatt ein Jahr der Entscheidung für das Bündnis. Wenn der Senat Mitte 2010 noch handlungsfähig im Amt sei, spreche viel dafür, dass die Koalition auch das Ende der Legislaturperiode 2012 erreiche. Mitte 2010 steht der Volksentscheid über die Schulreform an. Von dessen Ergebnis wird in der Tat viel für die Zukunft der Koalition abhängen.

Doch selbst ein gewonnener Volksentscheid ist noch kein Grund für eine Wiederauflage von Schwarz-Grün. Dem Bündnis fehlt derzeit der rote, pardon, der schwarz-grüne Faden, die zündende Idee. Und das gerade jetzt, wo manche Unionspolitiker (und Grüne) im Bund das zarte Pflänzchen Schwarz-Grün zum Beispiel mit Blick auf die Wahl in Nordrhein-Westfalen zum Blühen bringen wollen.