Schon wieder ein Gewaltexzess: Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Instituts, stellt sich den Fragen des Abendblattes.
Hamburg. Die Brutalität, mit der zwei junge Täter den 19-jährigen Marcel F. zusammengeschlagen haben, macht selbst erfahrene Ermittler fassungslos. Das Abendblatt sprach mit Christian Pfeiffer, den Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen.
Hamburger Abendblatt: Wächst die Zahl der gewalttätigen jungen Männer?
Christian Pfeiffer: Raubdelikte und Tötungsdelikte sind bei Jugendlichen eindeutig rückläufig und auch schwere Körperverletzung ist 2008 - allerdings erstmals seit langer Zeit - rückläufig gewesen. Auch unsere Studien belegen einen langjährigen Rückgang bei schweren Rohheitsdelikten seit 1997 etwa an den Schulen.
Abendblatt: Also nur ein Einzelfall?
Pfeiffer: Nein, es gibt einen kleinen harten Kern von jungen Intensivtätern ohne Skrupel mit hoher Brutalisierung. Diese Täter kommen fast alle aus derselben Ecke, aus kaputten, gewalttätigen Familien. Typisch sind starker Alkohol- und Drogenkonsum: Das ist eine Gruppe von sozial ausgegrenzten jungen Männern. Die büßen ihre Hemmungen ein, wenn sie sich täglich in der virtuellen Welt von Computerspielen als Macho-Helden ausleben. Die stumpfen seelisch ab.
Abendblatt: Kann man da eingreifen?
Pfeiffer: Der Staat unternimmt zu wenig, um gegenzusteuern. Wir müssen den Nachmittag der Jungen am sozialen Rand der Gesellschaft retten, die vergammeln sonst, denen bietet keiner was an. Das ist in Großstädten besonders ausgeprägt. Der wichtigste Faktor für wachsende Gewaltbereitschaft ist, in einer Clique mit anderen bereits gewalttätigen jungen Männern ohne sinnvolle Beschäftigung aufzuwachsen. Wir brauchen Ganztagsschulen, die Lust auf Leben wecken durch Sport, Musik und soziales Lernen. Und wir müssen mehr gegen ungehemmten Alkoholkonsum tun.
Abendblatt: Was heißt das konkret?
Pfeiffer: Niedersachsen ist eines der wenigen Bundesländer, die konsequent mit Testkäufen dagegen halten. Aber wir müssen weitergehen: Ich schlage vor, dass Alkohol in Deutschland wie in vielen anderen Staaten erst ab 18 Jahren in der Öffentlichkeit getrunken und gekauft werden kann. Es ist falsch, dass 16 und 17 Jahre alte Jugendliche öffentlich trinken dürfen, damit leistet der Staat dem Alkoholismus von Jugendlichen Vorschub. Das Verbot muss natürlich auch für Kneipen gelten. Es ist alarmierend, dass im Jahr 2000 rund 9000 Kinder und Jugendliche sturzbetrunken in Krankenhäuser eingeliefert wurden und diese Zahl sich inzwischen mehr als verdoppelt hat.
Abendblatt: Und was ist mit der Alkoholwerbung?
Pfeiffer: Die Forschung hat nachgewiesen, dass Alkoholwerbung im Fernsehen ein Faktor ist, der Jugendliche mächtig animiert, Alkohol wichtig und richtig zu finden. Warum schränken wir die Alkoholwerbung nicht ein auf die Zeit nach 22 Uhr? Und noch etwas:
Ganz wichtig ist es, die Personen öffentlich auszuzeichnen, die da eingeschritten sind. Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung für Courage. Genauso intensiv, wie man die Täter sucht, muss man die Mutigen suchen und ehren.