Die natürlichste Fortbewegungsart ist uns fremd geworden. Dabei wirkt das Wandern Wunder - gegen fast jede Zivilisationskrankheit.
"Ich bin dann mal weg" - spätestens seit Hape Kerkelings Bestseller hat die Nation die Faszination des ausdauernden Fußmarsches wiederentdeckt. Der Weg ist das Ziel. Und ganz nebenbei ist dieser Sport enorm gesund.
Dieser Sport ist allen in die Wiege gelegt. Noch bevor wir die Welt in Worte fassen, erobern wir sie. Und weil Krabbeln uns allein nicht so richtig weiterbringt, beginnen wir zu laufen. Die einfachste und natürlichste Fortbewegungsart aber ist uns fremd geworden. Waren unsere Vorfahren noch 30 bis 40 Kilometer pro Woche zu Fuß unterwegs, ist dieser Wert im 21. Jahrhundert auf knapp fünf Kilometer gefallen. Bis jetzt; nun deutet sich die Trendwende an: Wanderschmöker sind neben Sexbeichten die sicherste Bestsellerstrategie der Verlage - und immer mehr Deutsche bekennen zu wandern. Wie viele es genau sind, lässt das Bundeswirtschaftsministerium derzeit wissenschaftlich erfassen. Schätzungen gehen von 30 bis 40 Millionen Bürgern aus. Sollten Sie noch nicht dazu gehören, ist es höchste Zeit, das zu ändern - Sie tun gut daran.
Die Entdeckung der Langsamkeit in Sport und Reise ist gesund. Fast gegen jede Zivilisationskrankheit wirkt das Wandern Wunder: Es stärkt Herz und Kreislauf, senkt Cholesterinwerte und Blutdruck, macht klug, hilft dem Immunsystem, reduziert die Stresshormone und einer deutschen Studie zufolge sogar das Brust- und Darmkrebsrisiko um 25 beziehungsweise 35 Prozent. "Wer regelmäßig wandert, leidet außerdem weniger an Gelenkproblemen, Übergewicht und psychischen Beeinträchtigungen", sagt Prof. Dr. Christoff Zalpour, Professor für Physiotherapie an der FH Osnabrück. Zudem verbrennt das Wandern Fett und schafft Muskeln, rund 55 Kalorien bleiben pro gewandertem Kilometer auf der Strecke. Was so gesund ist, kann eigentlich keinen Spaß machen, mögen Sie einwenden und sich mit Grausen an den Sonntagsspaziergang aus Kindheitstagen erinnern.
Doch Wandern ist kein Spaziergang. Laut Definition ist damit mehr gemeint als der Gang um den Block oder das Schlendern entlang von Schaufenstern. Wandern beginnt bei einer Dauer von mehreren Stunden und einer Länge von zirka zwölf Kilometern - und doch ist es ganz anders als das schweißtreibende und atemlose Kilometerfressen der Läufer. Wanderer schwitzen durchaus, doch so recht außer Atem kommen sie außerhalb des Hochgebirges nicht. Zu den Spielregeln des Wanderns gehört die der Fitness angemessene Geschwindigkeit: Gut ist, was eine normale Unterhaltung noch ermöglicht.
Das Schöne am Wandern ist aber, das man auch schweigen kann, ja es auf längeren Wegen unweigerlich muss. Vier bis sechs Stundenkilometer ist das menschlichste aller Tempi; nichts rauscht vorbei, alles wird sicht-, spür-, fühlbar. Gerade Deutschland als Land der Mittelgebirge eignet sich wie kaum ein anderes, um sich in Natur und Kultur zu ergehen. Und kein Bier schmeckt besser als das am Ende eines Wandertages.
Modern ist es ohnehin, Wandern ist zum Kern einer Lifestyle- und Wellnessbewegung geworden. "Es wurde immer gewandert", sagt Ingo Seifert-Rösing vom Wanderverband. Schon vor knapp 150 Jahren entstanden die ersten Wanderverbände, zu Beginn des 20. Jahrhunderts gaben sie mit dem Wandervogel sogar einer großen Jugendbewegung ihren Namen. In den 80er-Jahren geriet die Bewegung der Stocknägel und Kniebundhosen in die Krise - bis vor einigen Jahren. "Heute ist das Wandern wieder mehr in den Medien und genießt einen besseren Ruf. Es wird nicht mehr als altbacken und konservativ gesehen, sondern ist positiv besetzt."
Im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten müssen Sie keinen Kleinkredit aufnehmen, um loszulegen. "Das Einzige, worauf man zu Beginn achten muss, sind gute Wanderschuhe", sagt Seifert-Rösing. Stiefel gibt es im Fachhandel ab 100 Euro aufwärts. Weitere sinnvolle Anschaffungen sind Wanderstöcke für mehrtägigen Sportspaß in den Bergen und Funktionswäsche, die man in mehreren Lagen nach dem Zwiebelprinzip übereinander trägt.
Aber Vorsicht: Wandern birgt Suchtpotenzial. Wer mit kleineren Ausflügen beginnt, geht schon bald aufs Ganze und bucht Wanderurlaube. Ausreden gibt es keine: Anders als bei vielen Sportarten, die Vorkenntnisse oder besonderes Geschick erfordern, kann ein jeder wandern. Zu Beginn gilt das einfache Motto, das Seifert-Rösing so formuliert: "Loslaufen und sich nicht überschätzen." Lassen Sie sich nicht gehen, gehen Sie!