Thomas Straubhaars Thesen: Der Staat sollte sich als Nothelfer zurückziehen. Der Norden erholt sich früher als das Land insgesamt.
Hamburg. Infolge der schwersten Finanzkrise seit Jahrzehnten ist die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um rund fünf Prozent eingebrochen. Kein Forschungsinstitut hatte das Ausmaß des Abschwungs vorhergesagt. Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) prognostizierte einen Einbruch von maximal 1,2 Prozent. Über das Versagen der Ökonomen, das erhoffte Anspringen der Weltwirtschaft, die Chancen der Werften, den befürchteten Anstieg der Arbeitslosigkeit, einen möglichen Staatsbankrott in Griechenland und Zukunftsperspektiven sprach das Abendblatt mit dem Direktor des HWWI, Thomas Straubhaar.
Hamburger Abendblatt: Herr Professor Straubhaar, kein Wirtschaftsinstitut hat die Folgen der Krise richtig prognostiziert. Warum hat die Forschung so versagt?
Thomas Straubhaar: Der Einbruch der Weltwirtschaft war historisch ohne Vorbild. Die Rasanz des Abschwungs zeichnete sich nicht in den uns damals vorliegenden Zahlen ab und konnte somit auch nicht durch unsere Modelle erkannt werden. Der Zusammenbruch der Lehman-Bank am 15. September 2008 wirkte auf die Ökonomie wie eine Naturkatastrophe, die in ihrer Auswirkung und Stärke nicht absehbar war.
Abendblatt: Sind neue theoretische Ansätze nötig?
Straubhaar: Kein Prognosemodell kann unerwartete, schockartige Ereignisse vorhersagen. Hier ist eine Grenze der Prognostizierbarkeit erreicht. Klar, wir wussten, dass es eine Immobilienblase gibt, doch niemand konnte ahnen, wann genau diese mit welchen Folgewirkungen platzt.
Abendblatt: Sind Prognosen dann nicht überflüssig?
Straubhaar: Nein, Prognosen sind trotz Ungenauigkeiten unverzichtbar. Sie dienen als tendenzielle Planungsgrundlage für Wirtschaft und Politik. Statt uns auf einen Wert festzulegen, könnten wir natürlich auch Spannbreiten und Wahrscheinlichkeiten angeben. Doch das würde wahrscheinlich nur verwirren.
Abendblatt: Für 2010 erwartet das HWWI 1,5 Prozent Wachstum für Deutschland. Was stimmt Sie so optimistisch?
Straubhaar: 1,5 Prozent ist leider keine berauschende Wachstumsprognose. Die Zahl klingt zwar hoch und wäre in normalen Zeiten ein durchschnittlicher Wert, doch nicht nach dem Einbruch von fast fünf Prozent im Jahr 2009. Es wird mindestens bis 2012 dauern, bis wir die Wirtschaftskraft des Rekordjahres 2008 wieder erreicht haben.
Abendblatt: Reicht das Wachstum, damit neue Jobs entstehen?
Straubhaar: Das Wachstum reicht nicht, um den Arbeitsplatzabbau zu stoppen. Im Gegenteil, der Abbau wird forciert werden. Im Durchschnitt erwarten wir für 2010 3,8 Millionen Arbeitslose, in der Spitze vier Millionen.
Abendblatt: Welche Branchen stehen besonders schlecht da?
Straubhaar: Der Jobabbau wird vor allem in der Industrie, wie im Maschinenbau und der metallverarbeitenden Industrie, voranschreiten. Insbesondere in der Autoindustrie gibt es Überkapazitäten. Die Kurzarbeit sollte deshalb 2010 auf alle Fälle fortgesetzt werden, um das Potenzial der Fachkräfte zu behalten.
Abendblatt: Was erwarten Sie für Norddeutschland und Hamburg?
Straubhaar: Für den Norden bin ich optimistisch, er wird sich 2010 stärker erholen als das Bundesgebiet. Hamburg wurde vom Abschwung der Weltwirtschaft in diesem Jahr überdurchschnittlich stark getroffen - insbesondere der Hafen, die Logistik und der Handel. Allerdings wird die Hansestadt auch wieder als eine der ersten vom Aufschwung der Weltwirtschaft profitieren, den wir für Mitte nächsten Jahres erwarten. Wie wir den Abschwung importiert haben, werden wir auch den Aufschwung importieren. Für den Hafen ist ein Wachstum von zehn Prozent durchaus denkbar - allerdings nach einem Einbruch von 20 Prozent in diesem Jahr.
Abendblatt: Hat der deutsche Schiffbau noch eine Zukunft?
Straubhaar: Der Standardschiffbau hat wenig Zukunft. Chancen sehe ich aber für den Spezialschiffbau - wie Yachten, Fähren, Kreuzfahrtschiffe oder Militärschiffe. Da kann Deutschland ein starker Produzent bleiben.
Abendblatt: Ist der Schwerpunkt Export noch die richtige Positionierung für Deutschland?
Straubhaar: Ohne Zweifel. Deutschland muss an seiner Exportorientierung festhalten. Der deutsche Markt reicht nicht aus, um daraus den hiesigen hohen Lebensstandard zu finanzieren. Er ist gesättigt, seine Bevölkerung schrumpft. Wachstum findet vielmehr in Asien statt. Der Markt dort wächst, ist jung und hat Nachholbedarf. Die deutsche Wirtschaft muss sich künftig stärker nach Osten statt nach Westen orientieren. Statt Englisch ist dann Mandarin gefragt.
Abendblatt: Wo sehen Sie Wachstumsfelder für die Wirtschaft?
Straubhaar: Umweltfreundliche, also grüne Technologien werden boomen. Sie sind ein großes Wachstumsfeld. Innovative, pfiffige Produkte und Problemlösungen können auch künftig in Deutschland produziert und exportiert werden. Energie und Rohstoffe werden immer teurer. Alle Unternehmen sind deshalb selbst daran interessiert, umweltfreundlicher zu produzieren. Dies senkt ihre eigenen Kosten.
Abendblatt: Braucht Deutschland weitere Konjunkturprogramme, um die Wirtschaft anzukurbeln?
Straubhaar: Nein. Weitere Konjunkturprogramme sind nicht notwendig. Die Abwrackprämie hat dieses Jahr zwar verhindert, dass der Konsum zurückging, dafür wird der Konsum voraussichtlich 2010 schrumpfen. Die zweite Hälfte der rund 80 Milliarden schweren Konjunkturprogramme wird erst im nächsten Jahr abgearbeitet, wobei vor allem der Bau profitieren wird. 2010 wird es Zeit, dass sich der Staat als Nothelfer der Wirtschaft wieder zurückzieht.
Abendblatt: Weltweit wurden Banken durch die Krise erschüttert - und wurden mit Milliarden meist vom Staat gerettet. Wie bewerten Sie rückblickend diese Rettungsaktionen?
Straubhaar: Die Hilfen waren dringend notwendig und sinnvoll. Die Banken waren systemrelevant. Ihr Konkurs hätte weitere Unbeteiligte mitgerissen.
Abendblatt: Wäre eine Steuer für Finanzgeschäfte sinnvoll, um Schäden zu bezahlen, die durch die Finanzkrise entstanden sind?
Straubhaar: Nein. Eine solche Steuer würde nicht nur Spekulanten treffen, sondern auch die Finanzierung von Unternehmen erschweren. Dadurch könnte es zu einer Kreditklemme kommen.
Abendblatt: Der Kapitalismus als Wirtschaftsform hat versagt. Ist er deshalb ein Auslaufmodell?
Straubhaar: Nein. Der Kapitalismus muss jedoch aus den Fehlern lernen. Die Finanzaufsicht muss verschärft und zu große Finanzkonzerne verhindert werden.
Abendblatt: Ärgert es Sie, dass manche Banker schon wieder hohe Boni kassieren?
Straubhaar: Dies sehe ich eher nüchtern. Als Aktionär - also Miteigentümer - würde ich für meine Bank eine Höchstgrenze für Boni und Gehälter fordern. Dies ist aber nicht Sache der Politik.
Abendblatt: Ist das Schlimmste der Finanzmarktkrise überstanden?
Straubhaar: Da bin ich sicher. Der Tiefpunkt der Finanzmarktkrise war im Sommer 2009 erreicht. Wenn nicht ein weiterer Kometeneinschlag kommt, geht es jetzt wirtschaftlich bergauf.
Abendblatt: Ein Komet könnte ein Staatsbankrott sein. Zum Beispiel in Griechenland.
Straubhaar: Ja, das stimmt. Die Folgen sind noch nicht absehbar.
Abendblatt: Würde die EU ein Mitgliedsland in die Pleite schlittern lassen? Schließlich muss die EU ihren Mitgliedern bei Haushaltsproblemen nicht helfen.
Straubhaar: Ich denke, man wird Griechenland trotzdem helfen. Hier aber liegt das Problem. Hilft man nicht, wird Griechenland praktisch handlungsunfähig. Wird den Griechen aber geholfen, werden wohl auch bald die Spanier, Italiener und Portugiesen die Hände aufhalten.
Abendblatt: Was bedeutet das für den Euro?
Straubhaar: Die Folgen kann man bereits am sinkenden Euro-Kurs ablesen. Wenn man hart bliebe, könnte dies den Euro langfristig aber sogar stärken. Es wäre ein starkes Signal, wenn die Zahlungsunfähigkeit eines Landes in Kauf genommen wird, die Europäische Zentralbank aber ihrer Währungspolitik treu bliebe.
Zur Person: Der Schweizer Ökonom Professor Thomas Straubhaar (52) leitet seit 2005 das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), von 1999 bis 2006 war er Präsident des Vorgängerinstituts Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA). 2010 will Straubhaar an der Universität in Washington D.C. forschen und dann nach Hamburg zurückkehren.