Prof. Jürgen Mansel von der Universität Bielefeld fürchtet weitere Radikalisierung, wenn es keinen Dialog gibt.

Hamburger Abendblatt:

Woher kommt diese Wut und die extreme Gewaltbereitschaft der Täter?

Prof. Jürgen Mansel:

Das erinnert an die Bilder aus den französischen Vorstädten. Ohne präzise zu wissen, was die konkreten Hintergründe dieser Jugendlichen sind, ist davon auszugehen, dass solche Aktionen primär aus der Perspektivlosigkeit von jungen Menschen geschehen. Dass sie keine Chance sehen, ihr Leben gestaltend in die Hand zu nehmen oder sich auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren. Eine solche massive Desintegration führt häufig zu solchen Gewaltexzessen. Wenn man sich an den Rand geschoben fühlt, versucht man, sich in irgendeiner Art dagegen zur Wehr zu setzen.

Abendblatt:

Gibt es verschiedene Stufen einer solchen "Gewaltkarriere"?

Mansel:

In der Regel beginnt das mit leichter Kriminalität, die sich im Laufe der weiteren Entwicklung verfestigt, wenn man immer wieder die Erfahrung macht, 'ich habe keine Chancen und bin quasi strukturell zur Hoffnungslosigkeit verdammt. Es gibt eben für mich doch nicht den Weg vom Tellerwäscher zum Millionär'. Dann versucht man, mit immer härteren Aktionen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Abendblatt:

Sehen Sie die Schuld ausschließlich bei der Gesellschaft?

Mansel:

Selbstverständlich ist davon auszugehen, dass die Jugendlichen wissen, dass sie Grenzen überschreiten, auch wenn Gewalt häufig aus einer Art Experimentierverhalten heraus entsteht. Klar ist, dass sie mit solchen Gewaltexzessen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die ihnen ansonsten verwehrt bleibt. Wenn sie demonstrieren, heißt es in der Regel, sie haben keine Ahnung von den komplizierten politischen Prozessen. Wie es beispielsweise die Schüler massiv erlebt haben, als sie in Deutschland gegen den Irak-Krieg auf die Straße gegangen sind.

Abendblatt:

Ist diese Gewalt politisch motiviert, oder sind auch kriminelle Krawallmacher mit Spaß an Randale am Werk?

Mansel:

Mag sein, dass da auch Einzelne dabei sind, denen das Vergnügen bereitet. Aber auf die Mehrzahl dürfte es zutreffen, dass ihre Gewalt etwas mit der selbst empfundenen Aussichtslosigkeit zu tun hat.

Abendblatt:

Wie sollte die Gesellschaft reagieren - mit Dialog oder mehr Polizeipräsenz und härteren Strafen?

Mansel:

Ich plädiere für einen konstruktiven, kritischen Dialog mit den Tätern, damit die Spirale der Gewalt unterbrochen wird. Härtere Strafen werden mit Sicherheit nichts bringen. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich daraus gefestigte politische Organisationen wie in den 70er-Jahren die RAF bilden. Repression wird nur dazu führen, dass die Jugendlichen versuchen, sich dem polizeilichen Zugriff zu entziehen - und das wäre der Weg in den Untergrund.

Abendblatt:

Wie kommt man an diese jungen Menschen heran?

Mansel:

Man kann öffentlich sagen, dass dieser Weg der Gewalt nicht weiterführt und dass man gewillt ist, in einen Dialog einzutreten. Der muss dann aber auch umgesetzt werden.