Nachher ist man immer schlauer, besonders in diesen Zeiten. Wer hat geahnt, dass die CDU einmal die Verstaatlichung von Banken betreiben würde?
Wer hat befürchtet, dass es plötzlich kein Karstadt mehr geben könnte oder dass Porsche pleitegeht? Wer hat es den neunmalklugen Wirtschaftsforschern zugetraut, so danebenzuliegen wie jetzt?
Die Marktwirtschaft, die manche auch "Kapitalismus" nennen, bringt jeden Tag neue schreckliche Überraschungen hervor. Die Politik und die Unternehmen müssen darauf mit neuer Flexibilität und entschiedener Orientierung auf das Gemeinwohl reagieren. Warum nur legt sich dann der Bundestag auf ein so total unflexibles Instrument wie die Schuldenbremse fest?
Das wissen nicht nur die Häuslebauer: Wenn das Dach einzustürzen droht, muss man Geld in die Hand nehmen und den Bau zukunftsfest machen, notfalls auf Kredit. Wie sich die Weltwirtschaftskrise noch entwickeln wird, weiß heute kein Mensch. Sollten durch eine schematisch wirkende Schuldenbremse die antizyklisch wirkenden Staatsausgaben zurückgeführt werden, dann wird der Prozess der Erholung der Wirtschaft abgebrochen. Da wir alle nicht wissen, wie lange die Krise dauert, sollte der Staat sich nicht die Zwangsjacke einer dann kontraproduktiven Begrenzung der Staatsverschuldung anlegen. Wenn dann auch noch Steuern gesenkt würden, beraubt der Staat sich vollends seiner Handlungsfähigkeit. Das Ergebnis wäre die größtmögliche Depression unserer Ökonomie. Besser als jede Schuldenbremse wäre eine Steuersenkungsbremse. Denn die massiven Steuersenkungen in der Vergangenheit, gerade für Spitzenverdiener, haben den Staat Einnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe gekostet. Auch das hat dazu geführt, dass Haushalte unausgeglichen sind.
Staatsverschuldung ist kein Generationenproblem. Sie ist allerdings ein Verteilungsproblem: Die Arbeitnehmer und Durchschnittsverdiener tragen die Zinsen über ihre Steuerzahlungen, während die Banken und Großaktionäre die Zinszahlungen erhalten. Um das auszugleichen, brauchen wir dringend eine gerechtere Steuerpolitik. Für die Generationengerechtigkeit kann staatliche Kreditaufnahme sogar geboten sein - nämlich wenn es darum geht, auch der nächsten Generation eine intakte öffentliche Infrastruktur zu hinterlassen, und dafür Sanierungen und Investitionen finanziert werden müssen.
Schulden haben also einen positiven Effekt auf das Wachstum und den Wohlstand gegenwärtiger und kommender Generationen, wenn sie zur Finanzierung von Investitionen in Bildung, Umwelt und Infrastruktur genutzt werden, die in den folgenden Jahren mehr Wohlstand, eine bessere Umwelt und höhere Produktion ermöglichen. Nachhaltigkeit, Zukunftsinvestitionen und Schuldenabbau sind daher keine Gegensätze. Denn auch kommende Generationen brauchen ein sicheres Dach über dem Kopf.
Eine Schuldenbremse würde überdies die Solidarität zwischen den Bundesländern schwächen und den Abstand zwischen den reicheren und den ärmeren Regionen Deutschlands noch größer werden lassen.
Es droht ein weiterer Abbau des Sozialstaats, Personalabbau und Lohndrückerei im öffentlichen Dienst. Die Schuldenbremse ist auch verfassungsrechtlich unzulässig, weil sie die in Art. 109 des Grundgesetzes festgelegte Bindung von Bund und Ländern an das "gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" wieder aufheben würde. Außerdem würde sie in die im Grundgesetz garantierte Finanzhoheit der Länder eingreifen, das heißt den Kernbereich des Föderalismus. Es ist daher zu begrüßen, dass der schleswig-holsteinische Landtag beschlossen hat, gegen die Schuldenbremse zu klagen.
Denn die Regelung entmündigt künftige Parlamente in ihrer Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Sie wäre ein Missbrauch augenblicklicher Mehrheiten zulasten der künftigen Generationen. Die gegenwärtige Bundesregierung wäre dann möglicherweise das letzte Kabinett, das eine eigenständige antizyklische Politik gegen die Krise durchführen könnte. Eine Schuldenbremse würde Deutschland nicht voranbringen. Denn sie würde das tun, was nun einmal die Aufgabe von Bremsen ist: verhindern, dass etwas in Fahrt kommt. Das aber kann Deutschland sich auf lange Zeit nicht leisten.