Schweizer Militärjets im Tiefflug über Hamburg sorgten für heftigen Krach in der Stadt. Was als Attraktion beim 820. Hafengeburtstag geplant war, machte vielen Menschen einfach nur Angst statt Freude.
Erst ist nur ein anschwellendes Fauchen zu hören. Vom Norden der Stadt rast es heran. Dann plötzlich ein fast schmerzhafter Krach am Himmel, der mit einem ähnlichen Fauchen wieder davonschnellt. Wenige Minuten später das gleiche: Erschrocken blicken viele Menschen in der City nach oben: Sechs rot-weiß lackierte Militärjets vom Typ Northtop F-5 Tiger fegen über Innenstadt und Hafen, kommen kurz darauf zurück. Dort, wo unter ihnen Hunderttausende Besucher das größte Hafenfest der Welt feiern, donnern sie in einer festen Formation mit etwa 700 Stundenkilometern über die Elbe: de Patrouille Suisse, eine der berühmtesten Kunstflugstaffeln der Welt, Teil des Schweizer Militärs und einGeschenk der Schweiz zum 820. Hafengeburtstag.
Doch es ist ein Geschenk, das heftige Diskussion ausgelöst hat. "Unfassbar, wie kann man nur Flüge mit Militärjets zulassen? Ich empfinde das als Skandal", sagt Inga Olfen (39), die in der Abendblatt-Redaktion anruft. Den ersten Überflug der Staffel hat sie am Freitag gegen 14 Uhr in einem Büro am Baumwall erlebt. "Die donnerten direkt über uns hinweg, mir hat das Angst gemacht." Erinnerungen an Ramstein, dem Flugschau-Unglück vor 21 Jahren, werden da wach, sagt sie.
Viele in der Stadt denken offenbar so. "Es gab schon gleich Freitag sehr viele Beschwerden bei unseren Polizeikommissariaten", sagt die Hamburger Polizeipressestelle. Auch in der Abendblatt-Redaktion klingelt am Wochenende immer wieder das Telefon. Leser rufen an, beschweren sich über den Lärm, sprechen von ihrer Angst. Vor Ort beim Hafengeburtstag zucken die Menschen auch bei den nächsten Überflügen zusammen, Kinder weinen. Die roten Jets rasen wieder in Formation über das Fest. Schiffshörner, Losbuden-Verkäufer, das Klingeln der Karussells - alles scheint zu verstummen. Das bedrohliche Fauchen am Himmel nimmt alles in seinen Bann.
Auch auf dem Kreuzfahrtschiff "MS Deutschland" am Terminal in der HafenCity überraschen die Tiefflieger. Dort wird die Show von Johannes B. Kerner aufgezeichnet. Es geht um die ZDF-"Traumschiff"-Serie, um Urlaub und Erholung auf dem Wasser, um Schauspieler, Stars und Geschichten der beliebten Folge, die eben auf der "Deutschland" gedreht werden. Doch wegen des Krachs der Flieger muss die Aufzeichnung immer wieder unterbrochen werden. Moderatorin Inka Bause ("Bauer sucht Frau") würde diesmal lieber das Weite suchen. "Das macht mir Angst, am liebsten würde ich unter Deck gehen", sagt sie zu Kerner.
Bei den Fest-Veranstaltern der Hamburg Messe GmbH waren unterdessen schon seit Freitag immer mehr Beschwerden eingegangen und Bedenken aufgekommen. Möglicherweise viel zu spät: Noch Tage zuvor war dort offizielle Freude angesagt über das "einmalige Luftprogramm" in diesem Jahr beim Hafengeburtstag. Und hatte es nicht auch in den Jahren zuvor immer wieder Flugvorführungen gegeben, die auf viel Beifall gestoßen waren? Eine alte JU 52 fliegt regelmäßig bei dem maritimen Volksfest über die Elbe. Hubschrauber simulieren Rettungseinsätze. Kunstflieger waren auch schon dort, die Piloten stiegen dabei sogar während des Fluges aus ihrer Kanzel und stellten sich wie ein Rodeoreiter draußen auf die Flügel. Immer knatterte oder röhrte bei diesem Fest irgendwas auch in der Luft - allerdings keine Militärjets. Doch Fest-Koordinator Michael Jenke sah und sieht darin kein Problem: "Alles ist bestens geprüft, das ist absolut sicher", so Jenke. Außerdem seien die Manöver kein Kunstflug gewesen, sondern nur Formationsflüge, für die weniger strenge Auflagen gelten.
Tatsächlich war die politische Entscheidung über den Einsatz der Schweizer Flieger noch 2006 unter der Ägide des früheren Wirtschaftssenators Gunnar Uldall (CDU) gefallen. "Das ist jetzt sicher nicht aus heiterem Himmel über Hamburg hereingebrochen", so ein Behördenmitarbeiter. Die GAL, jetzt Regierungspartnerin der CDU in Hamburg und nicht gerade als Unterstützerin von Militärflug-Übungen bekannt, reagierte dennoch erst am Wochenende. Von einem "Relikt" der früheren Landesregierung war die Rede, als erste Beschwerden aufkamen. "Wir als Parteivorstand wussten erst sei wenigen Tagen von dem Programmpunkt", sagte Landeschefin Katharina Fegebank. Aus der Fraktion habe sie "unterschiedliche Einschätzungen" bekommen, wann über das Thema zum ersten Mal informiert worden war. Eine solche Flugschau sei aber weder mit der friedenspolitischen Haltung der GAL vereinbar noch mit ihrer Einstellung zum Lärm- und Umweltschutz.
Bedenken kamen auch dem verantwortlichen Amt für Luftverkehr, angesiedelt bei der Wirtschaftsbehörde. Bei einer letzten Expertenrunde im Vorfeld des Festes wurde die Zahl der Überflüge von insgesamt sieben auf drei begrenzt. Statt mehrmals am Tag, sollte es am Sonnabend und Sonntag nur jeweils einen Flug am späten Nachmittag geben. Die Flüge in der Mittagszeit wurden ausnahmslos gestrichen. Die Lärmbelästigung für die Anwohner sei zu groß, so die Begründung.
Später, nach vielen Berichten und Beschwerden, beschlossen die Verantwortlichen eine weitere Restriktion: Die Jets, die am Flughafen Fuhlsbüttel starteten, durften nur noch 800 Fuß (etwa 265 Meter) tief fliegen, zuvor waren es 500 Fuß (etwa 165 Meter). Und die Behörden verlegten in Abstimmung mit den Schweizern die Route weiter nach Süden, weg von den Zuschauern.
So flogen die Eidgenossen am Sonnabend und Sonntag erneut - obwohl die Tiefflüge längst ein Politikum geworden waren und die oppositionelle SPD flugs eine scharfe Anfrage an den Senat formuliert hatte. Rund 15 Minuten dauerten die Vorführungen, dann war es vorbei mit dem Fauchen am Himmel.
"Wir machen unseren Job, da ist seit Jahrzehnten noch nichts passiert", versicherte Staffel-Leader Hauptmann Daniel Siegenthales (37) bei einem Rundgang über das Hafenfest. Die Piloten schlenderten gemeinsam über die Meile. Durchtrainierte Männer in grüner Fliegerkluft.
Die vielen negativen Reaktionen in Hamburg haben sie jedoch überrascht. "Das ist doch eigentlich schade - aber die Menschen hier sind das wohl nicht mehr gewohnt, bei uns in der Schweiz gibt es solche Flüge viel häufiger", sagt Commander Daniel Hösli (51).
Und es gibt auch Hamburger, denen der Ärger "peinlich" ist, wie etwa dem Flugkapitän und Flug-Sachverständigen Raimund Neuhold. "Da bekommen wir eine der besten Staffeln der Welt als schönes und großzügiges Geschenk der Schweiz - und dann wird das zum Politikum gemacht. Damit haben wir uns jetzt international total blamiert." Ob die Mehrheit der Hamburger so denkt, ist fraglich: Bei einer Internet-Umfrage auf abendblatt.de sind 67 Prozent der Teilnehmer der Meinung, dass Tiefflieger und Hafengeburtstage nicht zusammenpassen. Abendblatt-Leser Andreas Weise drückt dieses Unbehagen so aus: "Ein solcher Nervenkitzel über einer Millionenstadt - dafür habe ich kein Verständnis", schreibt er. Dabei ist er keiner, der vor Flugzeugen Angst hat: Der Mann arbeitet auf dem Flughafen in Hamburg.