Das Udo-Jürgens-Musical feiert heute seinen ersten Geburtstag. Das Abendblatt blickt hinter die Kulissen.
Es erinnert an eines dieser Geschicklichkeitsspiele. An ein überdimensionales Verschiebepuzzle, bei dem man die Positionen der Teile so verändern muss, dass am Ende ein Bild dabei herauskommt. In diesem Fall ein Kreuzfahrtschiff - nur, dass hier statt kleiner Plastiksteinchen acht sogenannte Bühnenwagen punktgenau bewegt werden müssen, von denen jeder mehrere Tonnen wiegt. Abend für Abend, seit einem Jahr, auf der Bühne des Operettenhauses. Zum ersten Geburtstag des Musicals "Ich war noch niemals in New York" ging das Abendblatt dem Geheimnis des Riesen-Bühnenpuzzles auf den Grund.
18.10 Uhr: Noch knapp zwei Stunden bis zur Show. "Mit 16 Meter Höhe bis zum Rollenboden sind wir ein traditionelles Theater. Die Grundfläche der Hauptbühne mit 20 mal 20 Metern ist jedoch eher groß", sagt Knut Krahl (54). Er ist der Technische Leiter des Operettenhauses und ein Theater-Urgestein.
Auf dem Weg hinauf auf den Schnürboden schlägt er mit der flachen Hand gegen die geziegelten Mauern des Treppenhauses. "1954 wurde das Haus rekonstruiert, aus dem Schutt St. Paulis. Wo früher noch acht, neun Leute an Handkonterzügen die Bühnenbilder gezogen haben, arbeiten wir heute mit 27 neuen, computergesteuerten Winden." Auch wenn immer noch gute, alte Handarbeit dabei ist.
Wie beim "Schiffeschubsen". So nennen die technischen Mitarbeiter liebevoll das Wuchten der mächtigen Einzelteile des Schiffsdecks. Zwar kann die Hochzeitssuite mit ihren 23 Tonnen Gewicht, einer Höhe von 7,5 Metern und einem Durchmesser von 14 Metern als einer der größten Wagen, die es je auf einer deutschen Bühne gegeben hat, motorengetrieben und computergesteuert lautlos zwölf Meter vor und zurück bewegt werden. Doch die linearen Decksteile werden wie Eisenbahnwaggons auf eine Länge von 32 Metern aneinandergehängt. Und müssen, weil der Raum auf den Seitenbühnen nicht unendlich ist, nach den hydraulischen "Schiffsbewegungen" an der einen Seite von Hand ab- und an der anderen Seite wieder von Hand angehängt werden. "Wenn die Zuschauer andächtig dem 'Griechischen Wein' lauschen, müssen wir auf Samtpfoten das Schiff hinter dem Vorhang neu zusammenstecken", sagt Krahl und grinst. Um 18.20 Uhr sind alle bewegbaren Bühnenteile von Ober-Schnürmeister Thomas Lemke (49) in ihrer Mobilität geprobt worden. Es folgt der Toncheck. Um 18.30 Uhr kommen die ersten Musiker. Kathinka Koch (43) bereitet sich auf ihre Arbeit vor. Die Stage-Managerin hat heute als sogenannter Caller den Oberbefehl über alle Kommandos. In einem kleinen, dunklen Raum oberhalb der Damengarderobe hat sie zwar keinen Einblick auf die Bühne - aber über fünf Monitore alles fest im Blick. Auch die fünf Seniorinnen in der ersten Reihe, die von ihrem Glück nichts ahnen. Und die nur zwangsläufig ins Visier geraten sind, weil sie hinter Dirigent Christoph Bönecker (32) sitzen. "Auf dessen Einsätze gebe ich Befehle", erklärt Kathinka Koch.
Und tatsächlich: Kaum senkt Bönecker seinen Taktstock, heißt es von ihr "Los". 411 Lichtbefehle und 165 Bewegungsbefehle gibt sie während jeder Show. Für spezielle Einsätze sind zwei weitere Stage-Manager hinter den Kulissen zuständig: Es sind die sogenannten Floater. An diesem Abend sind es Lars Kläning (42) und Julia Pankowski (25). Sie achten unter anderem darauf, dass keiner der Darsteller die tonnenschweren Hänger (die Hintergrundbilder) auf den Kopf bekommt, dass der Kunstnebel an der richtigen Stelle auf die Bühne strömt und dass alles hinter der Bühne seinen Platz hat. Denn dieser ist hier äußerst knapp: Selbst der Schornstein der "Deutschland" muss von Hand eingezogen werden, wenn der entsprechende Bühnenwagen auf die Seitenbühne rollt.
Von all dem bekommen die Zuschauer nichts mit. Das gehört zur Illusion. Nur wenn man ganz genau hinhört, kann man vielleicht einmal das Ankoppeln der Bühnenwagen hören. Damit das Schiff fährt - und fährt ...