Es ist zu spüren: Die 60 eingesetztenBeamten sind Profis. Motto des Abends: Präsenz zeigen,Augen auf, Probleme im Keim ersticken.

22.51 Uhr. Ein Alarmruf verzögert den Beginn der Einsatzbesprechung. Peterwagen rasen mit Blaulicht und Martinshorn zum Nobistor. Auch der Chef ist an Bord. Frank Trawny (40), Hauptkommissar und Dienstgruppenleiter in dieser Sonnabendnacht, will sich ein Bild machen.

Vor einem Geldautomaten wurde ein Mann niedergeschlagen und ausgeraubt. Waffen? Muss noch geklärt werden. Zeitgleich gibt's irgendwo Zoff zwischen Zuhältern. Vorm Silbersack brodelt es, und abseits der Kastanienallee rottet sich dubioses Volk zusammen. Es riecht nach Alkohol und Haue, nach Drogen und Machtkämpfen, nach Randale pur. Alltag auf St. Pauli.

23.12 Uhr. Trawny eilt die Treppe zum ersten Stockwerk hoch. Im "Blauen Salon" haben sich rund 40 Kollegen versammelt. Zwei Einsatzzüge der Bereitschaftspolizei sind zur Verstärkung angerückt. Somit sind rund ums Polizeikommissariat 15 heute etwa 60 Beamte im Einsatz. Wenn der HSV oder St. Pauli kicken, wenn Dom oder mal wieder Bandenkrieg ist, sind es viel mehr.

"Moin, Kollegen!", sagt Trawny, erklärt kurz die Verspätung, legt los. Via Laptop und Wandbild erläutert er die Taktik dieses Sonnabends. An Außenpositionen wie Große Freiheit, Hans-Albers-Platz oder Hamburger Berg wird Position bezogen - bis zum Morgengrauen. Denn wenn andere Fofftein machen, steppt im nicht mal ein Quadratkilometer großen Revier rund um Davidstraße und Spielbudenplatz der Klabautermann. Hauptkommissar Trawny berichtet von Szenekontakten: Eine Bande randalebereiter Politspinner aus einer anderen Hansestadt wolle Rambazamba machen.

Der Hauslautsprecher quäkt dazwischen: "Überfall in Nähe Tankstelle Taubenstraße!" Allmählich geht's los. Ran an die Arbeit. Abschiedsbefehl: "Kollegen, kommt gesund wieder!" Konzentriert, routiniert und ohne viel Gerede geht's ans Werk. Es ist zu spüren: Hier erfüllen Profis ihren Job. Motto: Präsenz zeigen, Augen auf, Probleme im Keim ersticken. Im Zweifel Personenkontrollen, notfalls Platzverweise, Anzeigen. Der Wechsel in der Revierführung ist heute kein Thema. Offiziell nicht.

Derweil sich draußen die Stimmung von Stunde zu Stunde und Bierpulle zu Bierpulle aufheizt, spielt sich im Empfangsraum der Wache, "Rezeption" oder kurz "Rez" genannt, vorübergehend eine Burleske ab. Eine Gruppe ausgedienter Junggesellinnen erbittet zum Andenken einen Stempelabdruck (gibt's), eine junge Zechercrew begehrt für Fotozwecke ein Polizistinnen-Küsschen (gibt's nicht, auch weil allesamt auf Achse), zwei weinselige Touristen aus dem Ruhrpott wollen wissen, "ob hier das Großstadtrevier" gedreht wird (wird natürlich nicht).

Mitternacht, Geisterstunde. Zwei junge Damen, gleichfalls ein bisschen fern der Heimat, beklagen den Verlust ihrer Kreditkarten. Ein Herr radebrecht: Er hat einen gesehen, der ein Portemonnaie klaute, das ein anderer verloren hatte. Allesamt verschwunden. Ein Schluckspecht mit signalroter Bauarbeiterweste und schwarzer Lockenperücke schleppt sich die neun Steinstufen zur Wache hoch und will wissen, wo seine Kumpels stecken. Der ganz normale Wahnsinn also. Gut, dass Wolfgang Arlt in der "Rez" Nerven wie Drahtseile hat.

Das gilt erst recht für die Wachhabenden Michael Schouwer (38) und Jörg Gosch (40). Letzterer ist seit gut elf Jahren "auf" der Davidwache. "Da wundert man sich über gar nichts mehr", sagt er auf seinem schwarzen Drehstuhl in der "Brücke", der Kommandozentrale neben dem Empfangsraum. Acht Monitore, schwarzer Linoleumboden, abgeblendetes Neonlicht, grauer Tresen, Glaswände, Apfelschorle und Eistee. Per Telefon und Funk werden die Einsätze dirigiert. "Vor allem die jüngeren Kiezbesucher trinken viel, viel mehr Alkohol", bilanziert Gosch, "und morgens früh geht's bis in die Puppen." Das Lachen hat er dennoch nicht verlernt.

Das Gros der uniformierten Mitstreiter auch nicht: Trotz des stressigen Jobs und permanenter Einsätze ist die Atmosphäre fröhlich, entspannt, höchst kollegial. Nach einem schnellen, wärmenden Kaffee müssen die Polizeimeister Susann Harden (36) und Sandro Stoll (23) raus ins Außenrevier. Blöde Sprüche, Anmache und Aggressionen seien an der Nachtordnung, die Ohren auf Durchzug zu stellen oft das schlaueste Mittel. Dennoch: Wie fast alle hier haben sie sich gezielt für den Einsatz Davidwache beworben. Langeweile kommt gewiss nicht auf. Und man lernt fürs Leben. Auch wenn man den Glauben an sie verlieren könnte.

Auf der Reeperbahn nachts um halb eins. Ein "Kunde" mit reichlich Marihuana am Mann wird ins Verwahrbuch eingetragen, in eine der sechs Zellen und schließlich ins Präsidium nach Alsterdorf gebracht. Auch sonst von Romantik keine Spur. Kaum einer der Gäste am Lucullus-Grill (Krakauer 2,80 Euro) kann sich gerade auf den Beinen halten. Kein leichtes Leben für die Bordsteinschwalben vor Burger King. Glassplitter ohne Ende; das Flaschenverbot ist in der Praxis ein Witz. Vor einer Disco, berichten fliehende Passanten, rotten sich Hooligans zusammen, um eine Türken-Bar aufzumischen. Oder umgekehrt. Schlägereien werden im Keim erstickt. Gut, dass Deutschland im Fußball 2:1 obsiegte. Hätte sonst zusätzlich Ärger bringen können. "Der Gott des Gemetzels" flimmert in roten Werbelettern über das Laufband vorm St.-Pauli-Theater. Passt irgendwie.

Die Profis des Polizeikommissariats 15, darunter etwa ein Drittel Frauen, betreiben Geschäft wie gewöhnlich: Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, Raubüberfälle, Taschendiebstähle, Drogen. Und wer weiß, was ohne deeskalierende Strategie und in der Regel besonnenes Wirken der Polizei alles passiert wäre? Vor allem zwischen drei und fünf Uhr früh, der kritischsten Zeit.

Die Bilanz der Nacht: 105 Personen an der "Rez". 112 Überprüfungen draußen, elf Zelleninsassen drinnen, ein Haftbefehl. Drei Raubdelikte, sieben gefährliche Körperverletzungen. 22 Platzverweise, ein falscher Hunderter, ein Elektroschocker.

5.45 Uhr. Schichtwechsel. Nach fast zehn Stunden Dienst auf vollen Touren. Hauptkommissar Frank Trawny übergibt an Hauptkommissar Peter Andersen (52): "Ruhige Nacht heute!"

Mann, die Jungs haben Nerven.