Treibt auch das Spezialglas die Baukosten in die Höhe? Die bayerische Firma versichert: “Wir haben alles im Griff.“

Gundelfingen. Eigentlich fehlt nur noch ein Möwenkatapult. So etwas gibt es zwar nicht, wäre aber praktisch, um auch dieses Risiko für die Glasfassade der Elbphilharmonie zu testen. Doch Helmut Ehrmann kann diesen Vorschlag nicht so recht nachvollziehen. Ihm seien langweilige Tests, bei denen nichts passiert, die liebsten, schwäbelt der Fassadentechniker unter seinem Bauhelm.

Wir sind in Gundelfingen, einer 6000-Seelen-Gemeinde. Kirche im Dorf, CSU-Wahlplakate mit Landesvater drumherum. In der rustikalen Kantine der Firma Josef Gartner GmbH hängen unterhalb der von Lehrlingen hergestellten Kronleuchter Bilder von spektakulären Design-Gebäuden und Hochhäusern aus der großen weiten Welt, auf der Speisekarte: Spätzle. Reichliche Portionen. Schaffe, schaffe, Fassadle baue, 140 Jahre Firmentradition, begründet von einem Schlosser. Das schweißt zusammen.

Gartner ist größter Arbeitgeber im Ort - 700 Jobs sind es allein hier - und sehr oft ganz vorn, wenn ein Architekt eine raffinierte Fassade haben möchte und nicht weiß, ob sie sich überhaupt realisieren lässt. Gartner hat den 101 Tower in Taipeh ummantelt, mit 508 Metern der derzeit höchste Wolkenkratzer der Welt. Auch die "BMW-Welt" in München oder das Museum of Modern Art in New York gäbe es ohne die Gundelfinger so nicht. Auf einem Luxus-Boulevard in Tokio steht ein Chanel-Tempel, dessen Gartner-Fassade wie eine Leinwand funktioniert. Auf solche Problem-Fälle ist man spezialisiert und stolz.

Gerade jetzt ist die Hamburger Elbphilharmonie ein Problemfall.

Für die Gartners allerdings nicht. Wir haben, sagen sie, alles im Griff, Technik, Normwerte, Sicherheit. Und die Kosten? Die sowieso. Man ist im Rahmen mit den Rahmen für das gebogene und bedruckte Spezialglas. Was Ende 2006 als Angebot für die 2200 Fassadenelemente abgegeben wurde, gilt nach wie vor. Wir sind hier in Schwaben. Die Führungskräfte lächeln.

Auch die Architekten Herzog & de Meuron, die das Konzerthaus in der HafenCity entworfen haben, sind keine Unbekannten, Gartner hat ihnen eine stellenweise gewölbte Glas-Fassade für einen Prada-Shop in Tokio maßgeschneidert. Für die Hamburger Elbphilharmonie-Planer jedoch zieht es gerade böse durch die Fugen ihrer schnittigen Planung. Wieder mal. Vokabeln wie Kostenexplosion und Krisengipfel, das ganze Sortiment an Scheußlichkeiten und Erklärungsnöten, das tagelang über Verantwortliche herfallen kann, wenn man seine Hausaufgaben nicht ordentlich gemacht hat. Gutes Timing für positive Geschichten sieht entschieden anders aus.

Karl Olaf Petters, Pressesprecher der städtischen Realisierungsgesellschaft, darf deswegen hier in Gundelfingen auch immer wieder in ungestörte Ecken flüchten, um Journalisten übers Handy nicht zu begründen, warum das Vier-Augen-Gespräch zwischen seinem Chef Hartmut Wegener und dem Boss des Baukonzerns Hochtief nicht stattfand und dass man weiter redet und rechnet.

Die Schuld für die akut befürchteten, aber noch nicht fixierten Vielmehrkosten des Hamburger Vorzeigeprojekts in Gundelfingen zu suchen macht eher wenig Sinn. Im letzten vermeintlichen Gesamtfestpreis von 241,3 Millionen Euro war die Gartner-Fassade schon drin, betont Petters zwischen zwei Vorführungen, die zeigen sollen, was diese Fassadenelemente so alles aushalten. Dafür hat man bei Gartner einen Test-Parcours, auf dem sich Fachfremde so vorkommen wie in einer extragroßen Ausgabe der "Knoff-Hoff-Show" ohne Dixieland-Kapelle. Während Ehrmann eine Wand aus sechs 5-mal-3-Meter-Glaselementen präsentiert, wird von rechts eine Beregnungsanlage davorgeschoben, und von links kommt durch eine Hallentür ein Flugzeugmotor auf einem weiteren Gerüst. 14-Zylinder-Doppelsternschiebermotor, Baujahr 1959, 2200 PS. Oha. Es geht um dynamische Winddrucke, garniert mit horizontalem Regen. Zwei Liter pro Quadratmeter und Minute. Typisches Hamburger Schmuddelwetter also, nur ein klein wenig heftiger. Windstärke 11 wird so simuliert.

Der Test ist längst bestanden, die Fassade hält dicht.

"Bei einem Teelöffel Wasser drücken wir noch mal ein Auge zu", feixt Aufsichtsratsvorsitzender Fritz Gartner, bevor er hinter den Test-Scheiben eine Leiter hochkraxelt, um diesen Spaß von weiter oben zu genießen. Bislang sei noch nicht ein einziges Exemplar der Scheiben-Prototypen während der Tests zu Bruch gegangen, wird stolz verkündet. Bei Ehrmann heißt das nur: "Wir verifizieren"; berechnet, dass es klappt, wurde schon ausgiebig vorher.

Eine weitere Anforderung, die den Test-Fassaden auch nichts ausmacht, ist die Sache mit dem Windwiderstand. Bei um die 300 km/h, das wäre in Asien schon ein opulenter Wirbelsturm, darf eine rund drei Meter hohe Scheibe nicht mehr als etwa einen Zentimeter nachgeben. Doch auch so viel Gegenwind stecken die zwei sechs Millimeter dicken Verbundsicherheitsglasscheiben, hergestellt in Polen, anstandslos weg. Eine Folie in der Mitte sorgt dafür, dass selbst bei einseitigen Beschädigungen nichts passieren kann.

Ehrmann und der Projektleiter Stefan Urban haben aber noch andere Dinge in petto. Eine Klimakammer etwa, in der schon seit Monaten unterschiedlich geformte Glasscheiben ein Wechselbad der Temperaturen aushalten müssen. Im Gegensatz zu den Exemplaren vor dem Flugzeugmotor sind diese Scheiben bereits mit dem späteren Siebdruck-Punktmuster versehen. Auf ihrer Innenseite 20 Grad als Raumtemperatur, auf der Außenseite Schwankungen von plus 70 bis minus 30 Grad.

Eine Möglichkeit, die Fassade kleinzukriegen, bleibt noch. Der Pendelschlag. Auch dafür hat man eine launig aussehende Versuchsanordnung parat. Die Aufgabenstellung: Wie stabil ist ein Glaselement, wenn etwas ungebremst dagegenknallt? Diesen Job der roh waltenden Kräfte übernimmt ein 50-Kilo-Zwillingsreifen, der testnormgerecht aus unterschiedlichen Höhen und mit unterschiedlichen Reifendrucken so formschön gegen verschiedene Stellen einer Versuchsscheibe saust wie die Champagnerflasche bei einer Schiffstaufe gegen den Bug.

Während der Rege-Pressesprecher für ein weiteres Dementi in den Weiten der Fabrikhallen verschwindet, übernimmt ein Lehrling die Aufgabe, feierlich die Halterung des Reifens zu durchtrennen. Und was soll man sagen? Die Scheibe hält. Gartner-Geschäftsführer Klaus Lother nutzt die Pause zwischen zwei Reifen, um begeistert von einem Test zu erzählen, der als Beleg für Hurrikantauglichkeit in den USA verlangt wird. Dort beschießt man Hauswände aus einer Panzerfaust mit Holzlatten. So viel zum Thema Möwenkatapult. Die Leistungsschau ist beendet, die Spätzle warten.

Für die Gundelfinger ist die Sache mit der Elbphilharmonie jedenfalls ganz einfach. Sie sind im Zeit- und im Kostenplan, sie könnten termingerecht liefern und loslegen. Rund ein Jahr Montagezeit, und dran wäre die Fassade. "Wir stehen in den Startblöcken."

Wenn der Rest der Elbphilharmonie-Fertigstellung doch auch nur so eindeutig hinzubekommen wäre.