Klausmartin Kretschmer, Eigentümer der Roten Flora, investiert in Kontorhaus auf dem Brandshofer Deich.

Auf dem Dach des alten Kontorhauses, 25 Meter über dem trüben Hafenbecken mit Blick auf die Hafencity, gerät Klausmartin Kretschmer ins Schwärmen: "Ich wollte das Haus schon vor zehn Jahren kaufen, weil es so schön ist", sagt der 50-Jährige auf dem mit Teerpappe gedeckten Dach. Ende Juli hat der Kulturinvestor das vierstöckige Gebäude am Billhafen aus einer Konkursmasse erworben, "ein architektonisches Juwel aus dunkelroten Klinkern, Baujahr um 1925". Das alte Kontorhaus ist wie die kleine Schwester des Chilehauses - die expressionistische, in kleinen Stufen aufsteigende Fassade, die Innenarchitektur im Stil des Art Deco. Einen siebenstelligen Betrag will Kretschmer in das von Otto Hoyer entworfene, stark sanierungsbedürftige Gebäude investieren und so den Erhalt der historischen Bausubstanz sichern. Doch nicht nur das: Er will auch einen Bestandsschutz für Milieu auf dem Brandshofer Deich leisten. Auf dem Areal, das zu Rothenburgsort gehört und auf dem Kretschmers neues Grundstück ein Fünftel der Fläche ausmacht, könnte nach Ansicht des architekturverliebten Millionärs das alternative Zentrum der HafenCity entstehen.

Die Enklave - wie eine Insel durch S-Bahn-Gleise, Autobahn und Hafen vom Rest der Stadt getrennt - ist eines der letzten Refugien für Kunsttreibende, Gestalter und Galerien: Vertrieben durch die Yuppisierung Ottensens, die neuen Bürohäuser in Hammerbrook - angezogen von niedrigen Mieten und weiträumigen Ateliers. Damit steht der Brandshofer Deich mit seinem New Yorker Hinterhof-Charme ganz im Widerspruch zur nahen HafenCity, der dann besonders deutlich wird, wenn ab 2010 gleich gegenüber der Chicago Square entsteht - eine durchgeplante Hochhaussiedlung. Lange habe man den Brandshofer Deich städteplanerisch vernachlässigt, sagt Architekt Paolo Fusi, Professor an der HafenCity-Universität. Heute eine Chance: Mit seinen alten Wohn- und Gewerbeanlagen und der Künstlerkolonie sei er inzwischen wie das "Gedächtnis der Stadt", das zwischen Neuem und Bestehendem vermitteln könne und das erhalten werden müsse - ganz nach dem Beispiel Kretschmers.

Auch die Stadt hat sich längst mit der Gestaltung des Brandshofer Deichs beschäftigt. Schließlich nimmt er eine Schlüsselfunktion für die Entwicklung des Ostens der Stadt ein: Als direkte Verbindung zwischen HafenCity und CitySüd. Doch der "Masterplan Elbbrücken" sieht dort eher neuen Raum für die immergleiche Investorenarchitektur. Dem allerdings hat Kretschmer jetzt einen ersten Riegel vorgeschoben. Und auch Fusis Studenten haben im Sommersemester erste Gestaltungsvorschläge umgesetzt, die der speziellen Entwicklung des Areals Rechnung tragen. Pläne, die auch das Interesse der Stadtentwicklungsbehörde geweckt hätten.

"Die Grenzen der HafenCity dürfen nicht starr sein", sagt Stadtplaner Rolf Kellner vom Architekturbüro ÜberNormalNull. "Eine interessante Stadt braucht solche Milieus." Auch an anderen Orten habe man nur gegen Widerstand alternative Elemente erhalten können - die heute das Bild der Hansestadt prägten.

Kretschmer selbst könnte sich vorstellen, dass das Gelände Teil der HafenCity wird - etwa als HafenCity-Ost. In zwei Monaten wolle er mit den Sanierungsarbeiten beginnen, erklärt er in der imposanten oktogonalen Eingangshalle des Kontorhauses: In jedem der vier Stockwerke sollen drei Ateliers mit einer Größe von etwa 200 Quadratmetern entstehen. Auch die riesige Speditionshalle und das knapp 20 Wohnungen fassende Mietshaus auf dem insgesamt fast einen Hektar großen Kontorhaus-Gelände sollen dann nach den Vorgaben des Denkmalschutzes modernisiert werden. In spätestens zwei Jahren könnten dann die alten, kreativen Mieter wieder einziehen.