Viele halten sie für bocklos und uninteressiert, trauen ihnen freiwilliges Engagement nicht zu. Doch die vermeintliche Spaßgeneration setzt sich mit großem Eifer für andere ein.

Hamburg. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass ihr Name auf Persisch "Blume" bedeutet. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es in der Heimat von Narges Anwari (12), in Afghanistan, kaum Blumen gab. Sie kennt den Grund selbst nicht genau. Wenn man sie fragt, warum sie zusammen mit ihrem Bruder Schahsada (10) in ihrer Freizeit in Billstedt Blumen pflanzt, zuckt sie mit den Schultern. Dann überlegt sie einen Augenblick und sagt: "Weil ich den Stadtteil schöner machen will." Aus diesem Grund ist sie seit vier Jahren "Blumenkind" und pflanzt zusammen mit sieben weiteren Kindern aus dem Schulkinderclub Billbrookdeich überall Blumen im Stadtteil, "wo es hässlich ist". Ehrenamtlich. Auch wenn Narges diesen Begriff selbst noch nie gehört hat. Sie sagt "freiwillig".

Narges tut es nicht, um einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten oder um anderen Gutes zu tun. Sie weiß nicht mal, was all diese Dinge bedeuten. Sie tut es einfach so.

Und sie ist nicht die Einzige. Tausende von Kindern und Jugendlichen in Hamburg und Deutschland engagieren sich ehrenamtlich. Sie helfen im Altenheim oder Sportverein, arbeiten freiwillig in der Kirche oder in Wohlfahrtsverbänden. Ohne sie gebe es keinen Mittagstisch für Bedürftige, keine Nachhilfe für Kinder aus sozial schwachen Familien, keine Badeaufsicht am Baggersee, keine Blumen am Straßenrand und keine Sanitäter an Schulen. Ohne sie wäre Deutschland ein Stück ärmer.

Und trotzdem werden die Kinder und Jugendlichen im Ehrenamt oft kaum beachtet, tauchen noch nicht mal in der Ehrenamt-Statistik auf. Denn in der offiziellen Untersuchung der Bundesregierung zum Freiwilligen Engagement in Deutschland - dem sogenannten Freiwilligensurvey -werden nur Ehrenamtliche erfasst, die wenigstens 14 Jahre alt sind.

Die Befragung von 2000 jungen Erwachsenen zwischen 14 und 24 Jahren hat ergeben, dass sich 36 Prozent in dieser Altersgruppe freiwillig engagieren. Doch die öffentliche Wahrnehmung ist eine andere. Hier werden Kinder und Jugendliche als Ehrenamtliche kaum registriert, gelten meistens immer noch als bocklos und unengagiert. Sie gelten als Spaßgeneration, die alles nehmen will - ohne selbst dafür etwas zu geben: Handys, Partys, und Saufen - und am liebsten alles flatrate.

Freiwilliges Engagement traut man diesen Jugendlichen eher nicht zu - und Kindern schon gar nicht. Dabei ist gerade ihr Engagement für die Gesellschaft genauso groß wie in anderen Altersgruppen - und für die Zukunft des Ehrenamts besonders wichtig.

"Wer sich in jungen Jahren ehrenamtlich betätigt, tut es mit großer Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsener." Dr. Eckhard Priller, Leiter der Projektgruppe Zivilengagement am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin.

Ronja Wolfersdorf war schon mit vier Jahren zum ersten Mal bei den Johannitern und hat ihrer Mutter bei der Arbeit als Rettungssanitäterin zugeschaut. Heute ist Ronja 15 Jahre alt, engagiert sich selbst bei den Johannitern - und hat an ihrer Schule einen eigenen Rettungsdienst aufgebaut. Wenn sich ein Schüler verletzt, werden Ronja und die anderen Sanitäter über Lautsprecher aus dem Unterricht gerufen, um Erste Hilfe zu leisten. "Es ist einfach ein tolles Gefühl, Menschen helfen zu können, wenn es ihnen schlecht geht", sagt Ronja. Sie findet es ganz normal, einmal in der Woche Schulsanitäts-Dienst zu leisten und jeden Donnerstag zum Üben zu gehen. Sie findet es normal, im nächsten Jahr neben der Schule eine 160-stündige Ausbildung zur "Sanitätshelferin" zu machen, damit sie auch im Rettungswagen eingesetzt werden kann. "Endlich", sagt Ronja. Sie ist eine von 180 Jugendlichen, die sich bei den Johannitern in Hamburg engagieren - das sind mehr als jemals zuvor. Doch Ronja ist mehr als eine Zahl in einer Statistik, mehr als ein Name in einer Tabelle. Ihr Engagement - und das der anderen Kindern und Jugendlichen - ist ein Zeichen. Ein Zeichen, dass Großes im Kleinen beginnt.

"Kinder und Jugendliche engagieren sich in erster Linie für andere Kinder und Jugendliche. Daher wird ihre freiwillige Tätigkeit von Erwachsenen oftmals gar nicht wahrgenommen und gewürdigt. Dabei wäre unsere Gesellschaft ohne das Engagement von Kindern und Jugendlichen ein ganzes Stück ärmer." Kerstin Hübner, Leiterin des Geschäftsbereichs Freiwilliges Engagement bei der Bundesvereinigung kulturelle Kinder und Jugendbildung.

"Und jetzt noch die Erde retten" steht auf dem Kapuzenpullover von Charlotte Adler. Ja, das möchte die 15-Jährige: Die Erde retten - oder zumindest ihren Teil dazu beitragen. Dafür engagiert sie sich seit mehr als einem Jahr freiwillig bei der Jugendgruppe des BUNDs - den Bund für Umwelt und Naturschutz. "Ich finde es furchtbar, wie wir unsere Umwelt kaputt machen. Dagegen möchte ich etwas tun", sagt sie.

Seit einigen Monaten ist sie sogar im Vorstand der BUND-Jugendgruppe - mit gerade mal 15 Jahren. Ihre beiden Mitstreiter sind beide Anfang 20. Doch das ist ihr egal. Alter und Hierarchie spielen für sie keine Rolle. Sie will nur etwas bewegen. Die Erde retten eben. Dafür plant sie Aktionen, organisiert Demos und klärt bei konsumkritischen Stadtführungen die Teilnehmer über die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen auf.

Das freiwillige Engagement wurde ihr sprichwörtlich mit in die Wiege gelegt. Früher hat sich Charlottes Mutter in der Anti-Atomkraft-Bewegung engagiert, heute kämpft sie selbst für die Umwelt. "Du kleiner Öko" wird sie deswegen oft genannt. Meistens ist es nett gemeint. Und wenn nicht - dann stört es Charlotte auch nicht.

Sie glaubt daran, dass man die Dinge ändern kann - auch wenn es die anderen Menschen nicht tun. Missionieren will sie zwar niemanden. Aber wenn sich jemand für ihr Engagement interessiert, nimmt sie ihn gerne mit. Auf diese Weise hat sie vor Kurzem sogar ein neues Mitglied gewonnen - und etwas für die Zukunft des Ehrenamtes in Deutschland getan.

"Angesichts des demografischen Wandels war die Gesellschaft selten so angewiesen auf die Tatkraft und Motivation der Jüngeren - auch im Ehrenamt." Sibylle Picot, Sozialforscherin und Expertin des Freiwilligensurveys für die Altersgruppe 14 bis 24 Jahre.

Vielleicht hat es damit zu tun, dass er Tiere so gerne hat, vielleicht liegt es aber auch daran, dass sich sein Vater früher auch ehrenamtlich engagiert hat. Alexander Harder (12) weiß selbst nicht genau, warum er in seiner Freizeit die Tiere der Schule Steinadlerweg versorgt. "Vielleicht, weil es einfach Spaß macht", sagt Alexander und spricht damit aus, was alle ehrenamtlichen Tierpfleger der Grund-, Haupt- und Realschule in Billstedt denken. Die Schule im Grünen, wie sie sich selbst nennt, hat gleich mehrere Tiere, die von den Schülern versorgt werden - freiwillig. In den Pausen, nachmittags, am Wochenende und in den Ferien. Während sich Alexanders Klassenkameradinnen Cathrine und Sabrina um die beiden Ponys kümmert, ist Alexander für den "Wintergarten" verantwortlich, in dem Vögel, Meerschweinchen, Schildkröten und eine Ratte untergebracht sind. "Ich möchte, dass es die Tiere gut haben", sagt Alexander. Sein Vater Frank Harder ist heute Hausmeister der Schule, als Jugendlicher hat er selbst die Tiere am Steinadlerweg versorgt. "Früher war es selbstverständlich, sich ehrenamtlich um die Tiere zu kümmern", sagt Frank Harder. Und das ist auch heute noch so. Jedes Schuljahr melden sich neue Freiwillige, die die Tiere versorgen wollen.

Für die Allgemeinheit ist es nur etwas Kleines, fast Unbedeutendes, das die Schüler für die Gemeinschaft leisten. So wie Rettungshelferin Ronja, die Naturschützerin Charlotte oder die Blumenkinder aus Billstedt. Aber zusammen leisten sie Großes.