Ein lauter Knall kündigt das Unglück an. Die Explosion zerstört die nachmittägliche Alltagsroutine am Hamburger Flughafen. Schwarzer Rauch steigt am Rollfeld auf. Menschen schreien, rennen vom beschädigten Flugzeug weg. Eine Frau liegt im Gras, ihr Körper verdreht, neben ihr ein abgerissener Arm. Nach einer zweiten Benzinexplosion steigt eine Stichflamme in den Himmel. Panik. Dann Sirenengeheul, die Flughafenfeuerwehr rast über das Rollfeld. Feuerwehrleute rennen zu den Verletzten, rufen über Funk Verstärkung. Das Stichwort: großer Flugunfall! Zum Glück ist das gruselige Szenario nur gestellt: Der Flughafen macht eine Notfallübung.
Die Explosionen hat ein Pyrotechniker erzeugt, die Gesichter sind blutig geschminkt. Laut Gesetz muss der Ernstfall alle zwei Jahre geprobt werden. Beteiligt sind dabei 1000 Menschen aus Behörden, Polizei, Feuerwehr, Rotem Kreuz, Zoll, Bundeswehr und Konsulaten. Die imaginäre Ausgangssituation: Ein Charterflug mit 116 Passagieren landet auf Piste 23. Weil ein Fahrwerk klemmt, rast die Maschine mit 265 Kilometern pro Stunde in ein Waldstück. Teile des Flugzeugs brennen, elf Menschen sterben, 105 überleben. "Das Ziel dieser Übung ist zu analysieren, wie unsere Einsatzkräfte mit der Situation umgehen", sagt Holger Poser, Referatsleiter Katastrophenschutz der Innenbehörde. Das heißt: Wie kommunizieren die Retter? Wie schnell werden Verletzte geborgen, identifiziert und versorgt? Wie gut arbeiten alle Einheiten zusammen?
Der fiktive Unfallort am hinteren Teil des Flughafengeländes ist abgesperrt. Eine alte Boeing 707 dient als Unglücksmaschine. Hinter einem schwarz-gelben Absperrungsband beobachten hochrangige Mitglieder von Polizei, Feuer- und Bundeswehr, Behörden und Rettungsdiensten die Notfallübung. Trotz der dramatischen Szenen, die sich vor ihren Augen abspielen, ist die Stimmung gelöst. Eine Pressefrau klagt über Sonnenbrand, ein Polizist scherzt: "Kein Problem, die Feuerwehr kennt sich mit Brandbekämpfung aus." Ein junger Bundeswehrsoldat, der als Verletzter zwischen Bäumen liegt, sorgt sich, ob die Retter ihn finden werden. Sein Oberfeldwebel erwidert: "Na klar, die kommen mit Hunden. Stecken Sie sich einfach ein Steak in die Tasche!"
Währenddessen sind am Flugzeug stundenlang die Retter im Einsatz. Ein Notarzt kniet neben einem Mann, dem eine Rippe aus dem Hemd ragt. Handtaschen, blutverschmierte Kleidung und abgerissene Gliedmaßen liegen im Gras. Eine Frau wimmert: "Where is my suitcase?" (Wo ist mein Koffer?") Feuerwehrleute bergen Passagiere aus dem Flugzeug, bringen sie zu den Rettungswagen. Darüber kreist ein Helikopter mit Wärmebildkamera, eine Rettungshundestaffel durchsucht das nahe Waldstück. Auch die Angehörigen, die im Terminal warten, müssen beruhigt werden. "Ich will zu meiner Tochter!", schluchzt eine blonde Frau hysterisch.
Ganz offensichtlich nehmen die Darsteller ihre Rollen ernst. 99 Soldaten, 54 Polizei-Azubis und 19 DRK-Mitglieder mimen Passagiere und deren Angehörige. Alle sind professionell geschminkt, wissen, welchen Zustand sie spielen sollen. Jammern, schreien, weinen. "Die Darsteller kennen die Krankheitsbilder genau", sagt DRK-Sprecher Rainer Barthel. Auch die elf Toten sehen erschreckend echt aus. Regungslos, mit verdrehten Gliedern, liegen sie stundenlang neben dem Flieger. Kunststück: Es sind lebensgroße Puppen.